Sorj Chalandon - Rückkehr nach Killybegs/Retour à Killybegs

  • Klappentext:
    Tyrone Meehan ist zurückgekehrt, in das Cottage seines Vaters, im irischen Killybegs. Hier wartet er auf die Rache seiner Landsleute, auf seine Erschießung. Er hat sein Land verraten, die IRA, seine Familie 2006 wurde er, ein ranghoher IRA-Kämpfer, als Spion des britischen Geheimdienstes enttarnt. Er war vom MI 5 erpresst worden. In Killybegs will er die Geschichte seines Lebens aufschreiben, weil weder Freunde noch Feinde wissen, wie er zum Verräter geworden ist. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Sorj Chalandon war Journalist bei der Zeitung "Libération". Seine Reportagen über Nordirland und den Barbie-Prozess wurden mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane "Le petit Bonzi" (2005), "Une promesse" (2006, ausgezeichnet mit dem Prix Médicis) und "Mon traître" (2008 ). Sein vierter Roman "La légende de nos pères" (2009) ist sein erstes Buch in deutscher Übersetzung. Der folgende Roman "Retour à Killybegs" (2011) wurde mit dem Grand Prix du roman de l'Académie francaise 2011 ausgezeichnet und war für den Prix Goncourt 2011 nominiert. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Retour à Killybegs
    Erstmals erschienen 2011 bei Éditions Grasset & Fasquelles
    Aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große
    Im Wechsel von Rückblenden und Handlung der Jetztzeit (2006) aus der Ich-Perspektive von Tyrone Meehan erzählt. In Kapitel nach der Chronologie der Jetztzeit aufgeteilt.
    Mit Epilog 316 Seiten


    Inhalt:
    Tyrones Vater hasste die Engländer. Nach dessen Tod zieht die Mutter mit ihren Kindern von Killybegs nach Belfast, wo ihr Bruder ihnen Unterkunft gewährt. Den Jungen dürstet es, gegen die Engländer zu kämpfen, um sie aus seinem Vaterland zu vertreiben. Schon bald schließt er sich der IRA an, beteiligt sich an Straßenscharmützeln und Hinterhalten, nicht nur gegen die Engländer, sondern auch gegen die protestantischen Nordiren. Sein Mut und sein Einsatz lassen ihn in der Bewegung schnell auf höhere Posten klettern, auch nachdem er einen katastrophalen Fehler macht und ihn verschweigt. Aber der MI 5 hat ihn bemerkt und hält Beweise dazu zurück. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten tritt man in Kontakt mit ihm, und Tyrone entscheidet sich für den Verrat. Als sein Geheimnis öffentlich wird, ist er seines Lebens nicht mehr sicher und zieht sich nach Killybegs, das Dorf seiner Kindheit, zurück, um seine Mörder dort zu erwarten und die Geschichte seines Verrats aufzuschreiben.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Ich-Erzähler Tyrone wurde 1925 geboren. Von seiner Kindheit bis zu seinem Fluchtaufenthalt 2006 erzählt er mit seiner Geschichte gleichzeitig die Geschichte seines Heimatlandes. Die Teilung in Nord- und Südirland, in den besetzten und den freien Teil, in Protestanten und Katholiken. Jede Phase seines Lebens wird von Krieg bestimmt, dem zwischen Engländern und Iren, zwischen Iren und Iren, dem Zweiten Weltkrieg. Tyrone zieht den Leser mit durch wechselvolle Epochen, Siege und Niederlagen, Angst und Kameradschaft, Gefängnis und Familienglück. Die IRA und ihre Splittergruppen, Royalisten, Loyalisten, Unierte, sie alle spielen eine große Rolle für den Protagonisten und sein Land. Neben tatsächlichen Anführern der Truppen wie Michael Collins oder Tom Clarke tauchen eine Menge fiktiver Namen auf, die zu unterscheiden nicht leicht sind, denn sie werden stets nur in ihrer Funktion für den Widerstand oder Tyrones Gefechte beschrieben.


    Auch wenn man die Geschichte Irlands kennt, schon Bücher darüber gelesen hat, Zeitzeuge war, fällt, vor allem durch die spätere Zersplitterung der IRA, der Überblick nicht leicht, und mehr als einmal wünscht man sich, dem Buch sei ein ausführliches Hintergrundwissen beigegeben, z.B. in Form eines zusammenfassenden Vor- oder Nachworts. Auch die gälischen Worte und Redewendungen würde man gern in einer Übersetzung (z.B. als Fußnote) lesen.


    „Um ‚Rückkehr nach Killybegs’ zu schreiben, schlüpfte ich für zwei Jahre in die Haut eines Verräters“, zitiert der Covertext den Autor. Man glaubt ihm, denn die größte Stärke liegt in der genauen Wiedergabe der inneren Verfassung des Verräters. Vom ersten Schrecken über die Selbstbeschwichtigung (wird schon nicht so schlimm sein, was der MI 5 von mir verlangt) bis zum Versuch, sich aus der prekären Situation zu lavieren (ich kann ihnen sagen, was ich will, und die brisanten Geheimnisse für mich behalten) von Selbstmitleid und Selbsthass, von der Angst, enttarnt zu werden, bis zur Illusion, durch den Verrat den Frieden mit geschaffen zu haben, von der Flucht bis zum schriftlichen Bekenntnis. Tyrone weiß, dass er sterben wird, dass seine Mörder schon ihre Messer wetzen, ihre Pistolen laden; zu oft war er Beteiligter oder Zeuge der Hinrichtung eines Verräters. Er ist einverstanden, dass Verräter getötet werden müssen, aber nicht, dass es ihm selbst passiert.
    Dass er seine Handlungen seinem Sohn – auch er Kämpfer für die IRA - nicht verständlich machen kann, schmerzt ihn sehr. In einer der bewegendsten Szenen des Buches muss Tyrone seinen Sohn ziehen lassen. Das Motiv führt zurück zum Abschied vom eigenen Vater, dem Tyrone als Kind mit Angst und Ablehnung wegen dessen Trunksucht und Gewaltbereitschaft gegenüber stand.


    Fazit:
    Eine nicht ganz einfache, aber lohnende Lektüre vor allem für diejenigen, die sich für die Geschichte Irlands interessieren.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



    Einmal editiert, zuletzt von Marie ()