Philip Pullman: Grimms Märchen

  • Über den Herausgeber:
    Philip Pullman wurde am 19. Oktober 1946 in Norwich, England, geboren. Er wuchs in Rhodesien, Australien, London und Wales auf. Nach der Schule besuchte er das Exeter College in Oxford, wo er Englisch studierte, und unterrichtete danach an verschiedenen Middle Schools. Jetzt lebt er mit seiner Frau in Oxford und arbeitet nebenberuflich als Literaturdozent am Westminster College. Pullman hat Bilderbücher, Theaterstücke und Thriller geschrieben. Philip Pullman zählt zu den angelsächsischen Autoren, die sich über die Grenzen zwischen literarischen Gattungen ebenso souverän hinwegsetzen wie über die Verteilung der Literatur auf verschiedene Altersschubladen. Er will seine Leser geistreich unterhalten und bedient sich dazu des historischen, des Abenteuer- und des Kriminalromans ebenso wie der Fantasy. Nicht selten vermischt er deren Elemente, wie in seinen historischen Abenteuerromanen und in seiner Fantasy-Trilogie, die auch Freunde eiskalter Thriller für sich entdeckt haben. Für sein Gesamtwerk erhielt Philip Pullman den Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis 2005.
    (Quelle: amazon.de)


    Inhalt und meine Meinung:
    Märchen faszinieren mich schon immer, und deswegen war es für mich klar, dass ich dieses Buch haben musste. Eine englische Version von 53 Märchen der Gebrüder Grimm, das allein fand ich schon interessant, denn mich interessierte, was aus Namen, Zaubersprüchen und anderen Reimen wird, wenn man übersetzt. Hinzu kommt, dass es ja auch Märchen gibt, die eigentlich im Dialekt erzählt werden (zum Beispiel mein geliebter “Fischer un sin Fru”). Was passiert eigentlich damit, wenn übersetzt wird?
    Eigentlich also ganz profane Fragen, auf die dieses Buch Antwort gibt; aber es bietet noch viel mehr. Pullmans Versionen der Märchen sind keine neuen Erzählungen, keine modernen Fassungen, keine Gegendarstellungen irgendwelcher Figuren. Er erzählt die Märchen so, wie die Gebrüder Grimm sie aufgeschrieben haben, nur an sehr wenigen Stellen nimmt er eine kleine Ergänzung oder Erklärung vor oder setzt ein Element ein, das das Märchen in der Grimm-Fassung nicht hat, das dafür aber in einem ähnlichen Märchen (zum Beispiel aus dem britischen oder spanischen Raum) vorkommt. Man merkt es beim Lesen nicht, da wir alle Märchen auf leicht unterschiedlich erzählte Weisen gewöhnt sind. Jedenfalls gelingt es Pullman, sehr märchenhaft und schön zu erzählen – und ich gebe gern zu, dass ich von allen 53 Märchen in diesem Buch nicht alle kannte.
    Was das Lesevergnügen aber besonders macht, ist Pullmans Herangehensweise an diese Märchen. Schon im Vorwort macht er deutlich, dass Märchen auch ihn schon immer begeistert haben, weil sie das Erzählen auf den Kern hinunterbrechen: wir wissen gleich, wer gut und wer böse ist, die Figuren kommen weitgehend ohne Namen aus, sondern werden nach ihren Eigenschaften oder Berufen benannt (Ausnahme sind hier Namen, die früher in Deutschland sehr häufig vorkamen: Hans zum Beispiel), die Handlung wird stetig vorangetrieben, Charakterstudien oder ausufernde Ortsbeschreibungen gibt es nicht. Prinzessinnen sind schön, Wälder dunkel, Stiefmütter böse. Damit hat sich das. Und trotzdem lieben wir Märchen.
    Im Anschluss an jedes Märchen, das Pullman erzählt, gibt es einen kurzen Zusatz zu diesem, und das fand ich immer besonders interessant. Zunächst gibt Pullman an, welche Märchennummer aus dem internationalen Märchenverzeichnis dieses Märchen hat (ich wusste nicht, dass es so etwas gibt), dann welche ähnlichen Märchen es in anderen Kulturkreisen gibt und wie diese heißen, die Quelle, von der die Gebrüder Grimm dieses Märchen haben, und dann einen kurzen Kommentar Pullmans zu dem Märchen selbst.
    Diese Kommentare sind wirklich toll. Sie sind recht kurz, aber sie geben jedes Mal einen interessanten Blick auf die Geschichte: wo eigentlich ein erzählerischer oder logischer Bruch ist, welche Passagen der Geschichte in einem modernen Roman sicherlich ausgeschmückt werden würden, einen Hinweis zur Grausamkeit des Märchens oder zu dem historischen Hintergrund, in dem es entstand. Besonders gut hat mir dort auch gefallen, wenn Pullman Begriffe aus der englischen und deutschen Fassung miteinander vergleicht. Ich kann mir vorstellen, dass es schwieriger ist, Märchen zu übersetzen, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Gerade diese Kommentare machen dieses Märchenbuch definitiv zu etwas Besonderem – ein Buch zum Lesen, Vorlesen und Wiederlesen. Sehr empfehlenswert. Für Märchen ist man einfach nie zu alt.
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  • Das hört sich nach einem wirklich interessanten Buch an. Ich habe Märchen immer geliebt und bei mir gibt es noch immer jede Menge Märchenbücher.
    Dieses sollte man doch aber schon im Original lesen, oder?

    Eine englische Version von 53 Märchen der Gebrüder Grimm, das allein fand ich schon interessant, denn mich interessierte, was aus Namen, Zaubersprüchen und anderen Reimen wird, wenn man übersetzt. Hinzu kommt, dass es ja auch Märchen gibt, die eigentlich im Dialekt erzählt werden (zum Beispiel mein geliebter “Fischer un sin Fru”). Was passiert eigentlich damit, wenn übersetzt wird?

    Denn ich frage mich gerade, was daraus wird, wenn Pullmans Version wieder ins Deutsche übersetzt wird. Wieviel Pullman bleibt da noch übrig :-k

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Dieses sollte man doch aber schon im Original lesen, oder?

    Ich würde diese Fassung auf jeden Fall auf englisch lesen.

    Denn ich frage mich gerade, was daraus wird, wenn Pullmans Version wieder ins Deutsche übersetzt wird. Wieviel Pullman bleibt da noch übrig

    Das frage ich mich auch. Ich war ehrlich erstaunt, dass es davon eine deutsche Fassung gibt. Selbst einige seiner Nachbemerkungen, nämlich die zur Sprache, sind dann ja merkwürdig unpassend. :-k