Original : Französisch, 2013
INHALT :
Mãn aus Saigon wird von ihrer Familie in alter Manier mit einem Exilvietnamesen aus Montreal/Kanada verheiratet und schließt sich ihm dort an. In der ihrer Kultur eigenen Selbstverständlichkeit arbeitet sie ohne Unterlaß in der Küche des Restaurants, sorgt unsichtbar und ohne Aufhebens um ihren schon älteren Mann, der viel früher als einer der « boat people » über Indonesien nach Kanada gekommen war. Zwei Kinder wachsen heran.
Als Julie sich in der Durchreiche des Restaurants bei ihr erkenntlich zeigt wächst eine Freundschaft heran, die ihr Leben verändert und in der sie nach und nach eine gewisse Freiheit, Anerkennung und Kreativität entdeckt. Ihre originelle und traditionsreiche Küche findet immer mehr Anklang : ein Rezeptebuch entsteht, ein Fernsehauftritt folgt, Einladungen zu Gastronomieverantsaltungen in Frankreich. Dort wird sie als schon reifere Frau plötzlich eine Art Liebe zu Luc kennenlernen, die ihr bisher völlig unbekannt war...
BEMERKUNGEN :
Von dieser kanadischen Schiftstellerin vietnamesischen Ursprungs ist der erste Roman (« Der Klang der Fremde ») sehr gut aufgenommen worden und nun kam ein zweiter heraus. Ist sie auch seit ihrem zehnten Lebensjahr in Kanada, und dort auch nun sprachlich im Französischen beheimatet, so sind ihre bisherigen Bücher doch (noch) sehr von ihrer Ursprüngen in Vietnam und dem auch noch sehr davon geprägten Umfeld in Kanada geprägt. Dabei kann man also recht sicher davon ausgehen, dass sie autobiographische Elemente ganz (« Ru ») oder wie hier sich daran inspirierend ausarbeitet.
Die Seiten und Kapitelchen von einer halben bis gerade mal zweieinhalb Seiten werden auf der Seitenspalte von einem vietnamesischen Wort und dessen Übersetzung im Französischen sehr suggestiv begleitet.
Erzählt wird rückblickend vom « Endpunkt » der Geschichte, und die Geschichte fängt bei der Kindheit der Ich-Erzählerin Man an, und geht teils noch weiter zurück insbesondere in das Leben ihrer eigenen Mutter. Diese wurde bei Beginn der Auseinandersetzungen in Vietnam von den Kommunisten « entführt » und lebte jahrelang im Dschungel, bevor sie gar selbst als Spionin tätig wurde. Der Vater von Man blieb unbekannt... In diesem Teil des Romans (und anderswo) werden auf ganz unaufdringliche Weise und ohne Selbstmitleid teils sehr harte Realitäten geschildert...
Später wird die junge Man im alten Stile verheiratet an einen Restaurateur aus Kanada. Jener ist ebenfalls vietnamesischen Ursprungs, doch viel früher geflohen : es tun sich schon kulturelle Unsicherheiten auf. Die im Ausland lebende Generation lebt teils in ihrem eigenen Rahmen weiter, und stehen dennoch schon mit halbem Fuß woanders. Dieses Thema wird dann auch bei Man weiter ausgearbeitet : sie ist stark von den vietnamesischen, konfuzianistischen Vorstellungen (Unterordnung unter den Ehemann, Hierarchiedenken nach Alter, Bescheidenheit, Verzicht...) gezeichnet und stellt diese auch (lange) überhaupt nicht infrage. Sie ist quasi per definitionem die « Erfüllte », gemäß der Wortbedeutung ihres Namens. Die schlüsselhafte Begegnung mit Freundin Julie wird nach und nach eine neue Welt öffnen...
In aller Feinheit geht es hier auch um Fragen wie Kulturschock und Wertesysteme. Ich weiß bis jetzt nicht, ob Man (beziehungsweise Kim Thuy?) nicht auch ein wenig überfordert sind vom anderen Lebensrahmen in mancherlei Hinsicht. Dabei geht es im letzten Drittel eben auch um eine Liebesbeziehung, um das offene Zeigen von zärtlichen Gesten, die es – will man hier der Autorin folgen – in dieser Form in der vietnamesischen Kultur nicht geben kann.
Die Sprache erschien mir ohne Gekünsteltheit und einfach, ja, sie hat einen gewissen Charme. Sie setzt auch größeres Leid oder aber auch erfahrene Liebe nicht in einen wuchtigen, niederschmetternden oder manchmal üblichen voyeuristischen Vordergrund.
Man kann diesen feinen, unaufdringlichen Roman unter mehreren Aspekten schätzen (ich habe jetzt zB noch gar nicht viel von den prächtigen Speisen der vietnamesischen Küche gesprochen! Hm !) und betrachten. Eine kleine Perle. Und in Erwartung der Übersetzung dieses gerade erst auf Französisch erschienen Buches kann man schon mal auf den ersten, mehrfach ausgezeichneten Roman zurückgreifen, den es ja schon auf Deutsch gibt.
AUTORIN :
Kim Thúy (* 1968, Saigon, Vietnam) ist eine kanadische Schriftstellerin französischer Sprache. Sie verbrachte ihre ersten zehn Lebensjahre in Vietnam, bevor sie 1978 mit ihren Eltern und zwei Brüdern als « boat people » nach Kanada floh und sich in Montréal in der Provinz Québec niederließ. Hier begann Thúy ihre Studien an der Université de Montréal in den Fächern Recht (Abschluss 1983), sowie in Sprachwissenschaften und Übersetzung, die sie 1990 abschloss. Sie arbeitete als Übersetzerin und Rechtsanwältin und war Gastronomin und Gastrokritikerin für Radio und Fernsehen. Heute lebt Kim Thúy als Schriftstellerin französischer Sprache mit ihrem Mann und zwei Kindern in Montreal.
Ihr erstes Buch "Ru" (2009) – der Titel bedeutet auf Vietnamesisch "Wiegenlied" und auf Französisch "Bächlein" – war ein internationaler Erfolg und brachte ihr zahlreiche Preise ein. Auf Deutsch erschien es unter dem Titel "Der Klang der Fremde".
Taschenbuch
Verlag: Liana Levi (7. Mai 2013)
Sprache: Französisch
ISBN-10: 2867466792
ISBN-13: 978-2867466793