Michel Houellebecq - Die Möglichkeit einer Insel

  • Inhalt:
    Daniel, seines Zeichens Komiker von Beruf ist auf der Suche nach Lebensglück, Sex und Liebe. Und das auf ziemlich oberflächliche Weise. Nachdem er ständig bei seiner Suche scheitert, lernt er die Elohimiten, eine höchst fragwürdige Sekte, kennen, die er lange genausowenig ernst nimmt wie alle anderen Dinge und Menschen in seinem Leben. Diese Sekte hat nach außen hin sehr unterschiedliche Ziele, Hauptziel ist aber das Klonen von Menschen, die durch die Klons unsterblich werden sollen und viele menschliche Regungen und Gefühle im Laufe ihrer Entwicklung ablegben sollen. Die Geschichte selbst wird aus Daniels Sicht erzählt, unterbrochen durch die Sichtweise von Daniels Klon in der 24 bzw. 25. Generation.


    Über den Autor:
    Michel Houellebecq wurde 1958 auf La Réunion geboren. 1980 erhält er sein Diplom als Agrar-Ingenieur, danach arbeitet er im Informatik-Bereich. Sein erster Roman „Ausweitung der Kampfzone“ sorgte für Aufsehen, wie alle darauffolgenden ebenso. Heute lebt er in Irland.


    Meine Meinung:
    Houellebecq ist durch seine Werke höchst umstritten und wird von den unterschiedlichsten Gruppen, Religionsgemeinschaften und Rassen gehaßt, die ihm Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Verleumdung und vieles mehr vorwerden. Mir persönlich liegt seine Art (vor kurzem hat er seine Mutter einfach für tot erklärt - nur dass das nicht der Wahrheit entspricht..)überhaupt nicht, er ist mir als Person in höchstem Maße unsympathisch.
    Nichtsdestotrotz finde ich sein neues Werk gut - sowohl von der sprachlichen Qualität als auch inhaltlich. Die Story hat sich - bis auf einige Kleinigkeiten, die für mich zu "typisch" Houellebecq waren wie einige Sexbeschreibungen etwa - sehr flüssig und schön gelesen. Durch die abwechselnde Erzählweise ist für mich nie Langeweile aufgekommen.

    Liebe Grüße,
    Azrael


    Aktuelles Buch: "Schwarz zur Erinnerung" von Charlene Thompson

  • hallo,


    heute, 30.9.05, gibt es um 23.10. auf ARTE unter dem Titel "Denken erlaubt" ein Gespräch mit M.Houellebecq über dieses Buch. Scheint sehr interessant zu werden, einmal schlief der Exzentriker bei einem INterview glaublich ein.


    hier

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Azrael


    Mir hat das Buch auch sehr gefallen; ich habe mir auch wieder einige sehr schöne Sätze unterstrichen, beispielsweise "....allein die Tatsache zu leben ist schon ein Unglück." ;)


    Gruß von blackbird

  • Das war mein erster Houellebecq, von den meisten Kritikern total verrissen, hat mir der Roman wider Erwarten sehr gut gefallen.
    Eigentlich hat mich die Science Fiction Thematik zu dem Buch geführt (der Autor hat mich bisher immer abgeschreckt). Die düstere Zukunftsvision - den Untergang der Zivilisation, das trostlose, postapokalyptische Szenario und die Idee des genetisch auf gefühlsarm veränderten Neomenschen, der durch wiederholtes Klonen quasi die „Unsterblichkeit“, aber natürlich auch nicht das Glück, erlangt - finde ich spannend . Interessant ist auch, dass die obskure Sekte aus dem Buch ein reales Vorbild hat - die sogenannten Raelianer. :shock:
    Der Haupteil des Buches spielt aber in unserer Gegenwart bzw. nahen Zukunft. Die Themen Angst vor dem Altern in einer oberflächlichen Spaßgesellschaft, wo scheinbar nur mehr junge, schöne Menschen eine Daseinsberechtigung haben und die allgemeine Unfähigkeit des Menschen wirklich zu lieben und auf Dauer glücklich zu sein, stehen im Mittelpunkt.
    Vieles wird natürlich sehr überspitzt und provokant geschildert und manchmal nervt die Überbetonung des Sexuellen und Daniels Gejammer einfach nur, aber Houllebecqs zynische, negative Lebenseinstellung spricht irgendwie die Pessimistin in mir an... :silent:
    Ich möchte nun noch mehr von ihm lesen, auch wenn man ziemlich desillusioniert zurückbleibt.
    Danke für den Link zu ARTE Rosalita, im Archiv kann man sich immer noch Ausschnitte des Interviews anschauen (und auch mit einigen anderen interessanten Autoren!)
    Noch zur Person Houllebecq Azrael : Man weiß natürlich nie was Imagepflege und was echt ist, aber auf mich wirkt er eigentlich gar nicht so unsympathisch ...und dass er genau so einen Hund wie Fox aus dem Roman hat, finde ich ja fast schon rührend.

    Gruß Bibliomana :cat:
    "Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur!"

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  • Manchmal bin ich etwas schwer von Begriff. Es gibt Bücher, deren wirkliche Bedeutung, deren tatsächliche Absicht erschließt sich mir erst, wenn ich andere Werke lese mit ähnlicher Thematik oder doch zumindest einem ähnlichen Ergebnis. Die Möglichkeit einer Insel ist so ein Buch. Ich habe es vor vier oder fünf Jahren gelesen - und ich mochte es nicht. Ich mochte es überhaupt nicht. Das hing mit dem nervigen, jammernden Protagonisten zusammen, mit der verschachtelten Erzählweise, damit, dass sich die eigentliche Handlung hinter einer vordergründigen Inszenierung versteckt, wie sie greller, aber auch nerviger kaum sein könnte.


    In Die Möglichkeit einer Insel geht es um eine Sekte, die dem Menschen ewiges Leben verleihen möchte und ihn deswegen, mit leichten genetischen Veränderungen, klont. Es geht um den Blick der weitgehend emotionslosen Klone auf die Vergangenheit und vielleicht um die Verlorenheit des emotionalen, gegenwärtigen Menschen in der heutigen Gesellschaft. Diese Handlungsebene erschließt sich aber eher subtil, denn die meiste Zeit beschäftigt sich die Handlung mit einem depressiven Protagonisten, einem Komiker ausgerechnet, der sich ganz arg selbst hasst, darum viel bedeutungslosen Geschlechtsverkehr hat und jede Menge jammert. Bis er zur bereits erwähnten Sekte stößt, dort noch ein bisschen mehr bedeutungslosen Geschlechtsverkehr hat und noch ein bisschen mehr jammert. Die gegenwärtige Ebene ist in leuchtend bunten Farben gezeichnet, laut und dominant. Houellebecq vermischt die Jetzt-Zeit nicht nur mit einer, sondern mit gleich zwei Zukunftsebenen; beide bleiben merkwürdig blass, sind nicht wirklich greifbar, erscheinen tatsächlich wie aus weiter Ferne betrachtet. Diese Diskrepanz zwischen den Ebenen irritierte, verwirrte und ärgerte mich sogar. Noch mehr ärgerte mich das ständige Gejammer des Protagonisten, Bibliomania beschrieb es bereits (typisch Houellebecq halt - ständig diese mittelalten Männer mit ihren Mutterkomplexen, ihren Minderwertigkeitskomplexen, ihrem Selbsthass und ihrer allumgreifenden Lethargie, ich könnte sie gegen die Wand klaschen). Ich war so genervt, dass ich das Buch nach der Lektüre zuschlug, nicht mehr darüber nachdenken wollte und es schließlich verschenkte. Heute ärgere ich mich nun darüber.
    Doch irgendetwas von diesem Roman ist haften geblieben, irgendetwas hat dazu geführt, dass meine Gedanken doch immer einmal wieder zu diesem Buch zurückkehrten. Das ist mehr, als ich von vielen anderen Büchern sagen kann - und im Laufe der Jahre haben sich mir die Handlung und die literarische Kunstfertigkeit weiter und weiter erschlossen. Die Möglichkeit einer Insel ist ein erstaunlich subtiles Buch, Gesellschaftskritik in intelligenter Form, eingebettet in direkte und harte Sprache. Es ärgert manchmal, ist manchmal zäh, ergeht sich manchmal zu sehr in Zitaten von Zitaten von Zitaten (ach, verfluchte Postmoderne) doch das Durchhalten und das Nachdenken lohnen sich.


    Fazit:
    Ein Science-Fiction-Roman, der kein Science-Fiction-Roman ist, sondern eine gekonnte Gegenwartsbetrachtung; ein Buch, das mit den Zeit- und Bedeutungsebenen spielt, in dem zukünftige Neo-Menschen auf die Vergangenheit blicken, während der Leser gleichsam in die Zukunft blickt - ein literarisches Sich-Anstarren, geschickt verwoben und intelligent verpackt.
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