Valerie Martin: Im Haus des Dr. Jekyll

  • Die Autorin:
    Valerie Martin (1948 in Missouri geboren) ist eine amerikanische Schriftstellerin, die bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Sie schloss das MFA Programm für "Poets & Writers" an der Universität von Massachussetts Amherst ab und lehrte später selbst an verschiedenen Universitäten. Ihre Tochter Adrienne wurde 1975 geboren. Valerie Martins Roman "Property" gewann 2003 den Orange Prize. 2012 wurde der Roman von der englischen Zeitung "The Observer" unter die Top 10 der besten historischen Romane gewählt. (von Wikipedia adaptiert)


    Klappentext:
    Faithfully weaving in details from Robert Louis Stevenson's classic, Martin introduces an original and captivating character: Mary is a survivor–scarred but still strong–familiar with evil, yet brimming with devotion and love. As a bond grows between Mary and her tortured employer, she is sent on errands to unsavory districts of London and entrusted with secrets she would rather not know. Unable to confront her hideous suspicions about Dr. Jekyll, Mary ultimately proves the lengths to which she'll go to protect him. Through her astute reflections, we hear the rest of the classic Jekyll and Hyde story, and this familiar tale is made more terrifying than we remember it, more complex than we imagined possible.


    Inhalt:
    Schon als Kind hat Mary es nicht leichtgehabt. Von ihrem eigenen Vater tyrannisiert und misshandelt, ist sie froh, als sie endlich alt genug ist, um als Dienstmädchen zu arbeiten. Mary ist fleißig und sie kennt ihren Platz in der Gesellschaft, auch wenn sie vielen anderen Mädchen und Frauen ihres Standes voraus hat, dass sie lesen und schreiben kann, weil sie ein paar Jahre eine Schule besuchen durfte.
    Als Mary ihre Stelle im Haus von Dr. Jekyll antritt, wird ihr Leben verhältnismäßig einfach. Dr. Henry Jekyll hat keine Familie und lebt die meiste Zeit sehr zurückgezogen, weil er voll und ganz in seiner Arbeit versinkt. Mary und die anderen Angestellten gehen in Ruhe ihren Aufgaben nach und kümmern sich um den Wissenschaftler und sein Haus. Dabei spielt Mary eigentlich eine recht untergeordnete Rolle, denn sie untersteht Mr. Poole, der die Aufgaben an alle Dienstboten verteilt, und der es gar nicht gerne sieht, dass Dr. Jekyll zu Mary eine etwas andere Beziehung zu haben scheint als zu den anderen. Manchmal, wenn Mary das Feuer in seinem Kamin anzündet oder ihm das Essen bringt, stellt Dr. Jekyll Mary Fragen, die zeigen, dass er Wert auf ihre Meinung legt und dass er in ihr nicht einfach nur eine Angestellte sieht.
    Mary bedeutet ihr Arbeitgeber auch viel. Er behandelt sie gut, und sein Wohl liegt ihr wirklich am Herzen. Doch eines Tages wird die Lage im Haus ganz anders, nämlich dann, als der merkwürdige Edward Hyde als Assistent ihres Herrn zu arbeiten beginnt. Nachts sieht Mary ihn durchs Haus schleichen – und jedes Zusammentreffen mit ihm macht ihr und den anderen Bewohnern des Hauses große Angst – Hyde ist ein unangenehmer, furchteinflößender Zeitgenosse, und doch scheint Dr. Jekyll ihn nicht gehen lassen zu wollen. Doch woran kann das liegen? Mary kann ihren Herrn hier überhaupt nicht verstehen.
    Als die Lage sich zuspitzt, und Mary zu verstehen beginnt, was im Hause von Dr. Jekyll vor sich geht, ist es bereits zu spät… denn hat sie wirklich alle Hinweise des Wissenschaftlers richtig gedeutet?


    Meine Meinung:
    Es ist schon eine Weile her, dass ich “Dr. Jekyll und Mr. Hyde” gelesen habe, aber die Idee, die Geschichte aus der Perspektive der Dienstmagd Mary Reilly zu lesen, fand ich spannend. Denn aus einer Geschichte, die eigentlich jeder kennt, ein eigenes, neues Buch zu machen, das seine Leser zu fesseln vermag, das muss man erstmal schaffen.
    Valerie Martin hat das geschafft. “Mary Reilly” ist ein wirklich tolles Buch, ein Roman, der berührt, Angst macht, mit dessen Erzählerin man mitleiden und -fiebern kann, denn genau das schafft diese eindringliche Erzählung. Erzählt wird von Mary selbst, die ein Tagebuch führt, um ihr Leben festzuhalten, wie es ist. Sie hat Angst, dass es durch ihre Erinnerung später in neuem Licht erscheinen könnte, deswegen hält sie fest, was ihr geschieht. Es gelingt Valerie Martin sehr gut, Mary authentisch heraufzubeschwören; sie erschien mir beim Lesen wirklich zu jederzeit glaubwürdig. Sprachlich ist das Ganze ebenfalls wirklich toll gemacht, da man von der Wortwahl und überhaupt dem Stil des Textes her wirklich das Gefühl hat, dass man einen viktorianischen Text vor sich hat. Das ist wirklich überzeugend gelungen und ein besonderes Highlight des Romans.
    Im Nachwort wird erklärt, wie Marys “gefundene Tagebücher” verändert werden mussten, damit sie als Roman veröffentlicht werden konnten. Auch diesen Zusatz fand ich toll, weil es der Autorin an dieser Stelle gut gelingt, Eigenheiten viktorianischer Sprache zu thematisieren, die in diesem Roman vernachlässigt oder eben bewusst genutzt wurden.
    Es ist spannend, Dr. Jekylls Veränderungen durch seine Angestellte zu sehen und mitzuerleben, wie für Mary und die anderen Dienstboten bis zum Schluss überhaupt nicht greifbar ist, was ihr Herr eigentlich geschafft hat und nun durchleben muss. Martin hat einen sehr sensiblen Blick für die zwischenmenschlichen Beziehungen, für Zwischentöne und für Stimmungen, sodass ich abschließend wirklich finde, dass sie “Dr. Jekyll und Mr. Hyde” mit ihrem Roman wirklich – wenn auch kein Denkmal gesetzt hat, das braucht der Klassiker nicht – eine neue Stimme gegeben hat, die es wert ist, gehört bzw. gelesen zu werden.
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