Dina Nayeri - Ein Teelöffel Land und Meer/ A Teaspoon of Earth and Sea

  • Autor: Dina Nayeri
    ISBN: 978-3-86648-013-1
    Verlag: mare
    Originaltitel: A Teaspoon of Earth and Sea
    Seitenanzahl: 528
    Preis: 22,00 Euro


    Inhalt:
    Saba und Mahtab sind Zwillinge und unzertrennlich. Bis zu diesem einen Sommer ihres 11. Lebensjahres. Mahtab und Sabas Mutter verschwinden plötzlich auf mysteriöse Art und Weise aus Sabas Leben. Saba fühlt sich seitdem unvollständig und will unbedingt herausfinden was geschehen ist. Die Nachbarn tuscheln über einen Badeunfall bei dem Mahtab ums Leben gekommen sein soll und eine missglückte Flucht ihrer Mutter aus dem Iran. Doch wie kann das stimmen wenn Saba ihre Mutter zuletzt am Flughafen sah wie sie mit Mahtab in ein Flugzeug nach Amerika stieg? Saba ist überzeugt dass sowohl ihre Schwester als auch ihre Mutter noch leben. Sie glaubt an eine andere Geschichte und mithilfe ihres Zwillingssinnes versucht sie in den folgenden Jahren Mahtabs Leben in Amerika nachzuempfinden.


    Meinung:
    Jeder der Geschwister hat kann wohl eine bestimmte Verbundenheit zu diesen nicht leugnen. Dabei spielt es keine Rolle ob man sich gut oder schlecht mit ihnen versteht denn man gehört trotz allem immer ein Stück weit zusammen ob man will oder nicht. Bei Zwillingen ist diese Verbundenheit besonders stark ausgeprägt. Umso härter trifft es Saba Hafezi als sie mit ansehen muss wie ihre Mutter zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Mahtab in ein Fluzeug nach Amerika steigt. An diesem Tag sieht sie beide zum letzten Mal. Fortan fühlt sie sich unvollständig ohne Mahtab an ihrer Seite. Ihr ist egal wie oft Nachbarn, Freunde und sogar ihr Vater darauf bestehen dass Mahtab nie am Flughafen war. Saba ist sich sicher mit ihrem Zwillingssinn kann sie spüren dass Mahtab den Iran mit der Mutter verlassen hat und nun in Amerika lebt. Sie erfindet Briefe von Mahtab und Geschichten über Mahtabs Leben in Amerika.


    Zitat

    “Als Mahtab in Amerika angekommen ist, musste sie sich erst mal an die neuen Regeln gewöhnen, und wahrscheinlich ist ihr das ziemlich schwergefallen – weil die Hafezis hier in Cheshmeh ja die bedeutendste Familie sind.” ( Seite 48 )


    Auch als Saba älter wird denkt sie nicht daran etwas anderes zu glauben als dass Mahtab nun irgendwo in Amerika lebt. Trost und Verständnis findet sie bei ihren beiden besten Freunden Ponneh und Reza, in den Saba heimlich verliebt ist. Obwohl Ponneh und Reza nicht überzeugt sind von Sabas Geschichten hören sie ihr doch immer wieder voller Begeisterung zu und trösten sie wenn der Schmerz um den Verlust von Mahtab zu stark wird.
    Einen wichtiger Bestandteil des Buches ist, das die Geschichte im Iran spielt und immer wieder wird deutlich wie anders das Aufwachsen und Leben im Iran, speziell den dörflichen Gegenden, doch ist. Regelmäßig besuchen Mullahs (islamische Rechts- und Religionsgelehrte) das Haus der Hafezis um zu überprüfen ob Saba und ihr Vater sich an die Regeln und Vorschriften des Islam halten. Saba fällt es des öfteren schwer sich nach diesen Regeln zu richten, hat doch ihre Mutter sie und Mahtab immer ermahnt Köpfchen zu beweisen als blind diesen, teils nicht nachvollziehbaren, Regeln zu folgen und sich nicht stets als niederes Wesen behandeln zu lassen. Welche Folgen es allerdings haben kann sich Regeln und deren Hütern zu wiedersetzen wird Saba und dem Leser schmerzhaft deutlich vor Augen geführt als Ponneh mit jemandem von der Sittenpolizei in einen Konflikt gerät.


    Zitat

    “Mustafa hebt den Stock und beginnt, auf ihren Rücken einzudreschen. [...] Ponneh weint “Hör auf”, schluchzt sie. [...] Aber Mustafa hört nicht auf. Er steht über sie gebeugt und drischt wie von Sinnen auf sie ein.” (Seite 148 ff.)


    Das Buch fesselt mit einer, nicht nur, spannenden sondern auch berührenden Geschichte. Sabas Bemühen an dem Glauben dass Mahtab in Amerika lebt festzuhalten ist bewegend und mitleiderregend zugleich. Als Leser beginnt man zu rätseln, zu hoffen, Ideen zu entwickeln und wieder zu verwerfen. Vorallem aber kommt man nicht umhin Sabas Geschichten gebannt zu lauschen und immer wieder den Gedanken im Kopf zu haben dass es genau so sein könnte.
    Was den Lesegenuss ein wenig trübt sie die vielen Fremdworte die immer wieder im Buch benutzt werden: Taarof und Bazi sind nur zwei dieser Begriffe. Obwohl manche dieser Wörter sehr oft im Buch genutzt werden fällt es schwer sich alle Erklärungen zu ihnen zu merken. Auch die Erklärungen selbst sind oft nicht sehr aufschlussreich sodass man mehr als einmal vor dem Buch sitzt und krampfhaft versucht sich die Bedeutung des gerade gelesenen Satzes zusammen zu basteln. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen eine Liste der Fremdwörter mit ans Ende oder den Anfang des Buches zu setzen. Davon sollte man sich jedoch keinesfalls abschrecken lassen denn wer über diesen kleinen Schönheitsfehler hinwegsieht, den erwartet eine ganz besondere und fesselnde Geschichte mit viel Herz, Freundschaft und Geschwisterliebe die einen einfach nicht mehr loslässt.


    Fazit:
    Ein Teelöffel Land und Meer ist ein besonderes Buch. Ein Buch das einen packt und mitreisst ohne dabei an fesselnder Handlung zu verlieren. Von Anfang bis Ende rätselt der Leser mit und muss seine Ideen immer wieder neu überdenken. Ein Buch über die Macht des Glaubens und Geschichtenerzählens.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    *~Gibt es etwas Schöneres auf der Welt als Buchstaben?
    Zauberzeichen, Stimmen der Toten, Bausteine für wundersame Welten,
    besser als diese, Trostspender, Vertreiber der Einsamkeit. Hüter von
    Geheimnissen, Verkünder der Wahrheit…~*


    -Cornelia Funke-

  • Saba, ein elfjähriges Mädchen, hat auf einen Schlag ihre Zwillingsschwester Mahtab und ihre Mutter verloren - beide verschwunden. Obwohl man ihr immer wieder versichert, dass sie tot seien, ist Saba auch in den kommenden Jahren fest davon überzeugt, dass den Beiden die Flucht in die USA gelungen ist und sie dort das Leben führen, das Saba sich schon immer wünscht. Der christlichen Minderheit angehörend führen sie und ihr Vater ein zurückgezogenes Leben auf dem Land in einem kleinen Dorf, und trotz ihrer vermögenden Familie ist Saba auf's Engste mit den Menschen dort verbunden. Gemeinsam mit ihren beiden Freunden Reza, in den sie schon immer verliebt war, und der schönen Ponneh, ihrer besten Freundin und fast wie eine Schwester, wächst sie heran und erzählt ihnen immer wieder Geschichten aus dem Leben von Mahtab - ein Leben, wie Saba es gerne selbst führen würde. Wie besessen lernt sie (nicht nur) Englisch, liest nicht erlaubte Bücher aus den USA, hört und sieht verbotene Filme und Musik. Doch sie befindet sich im Iran nach der Revolution - und den Realitäten dieser Gesellschaft kann auch Saba nicht entfliehen.
    Welch ein unglaublich schönes und reiches Land - reich an Geschichten, gutem Essen, Musik, Witz, Poesie und jahrtausende alter Kultur. Wenn, ja, wenn es die Mullahs nicht gäbe mit all ihren Gefolgsleuten, die den Bewohnern und bevorzugt den Bewohnerinnen im Namen Allahs das Leben schwer, wenn nicht sogar unerträglich machen. Dina Nayeri, selbst dort geboren und zehn Jahre gelebt, schildert das alltägliche Grauen, dass trotz aller Rückzugsversuche der Menschen in Geschichten und die kleinen Freuden des Lebens immer wieder mit purer Willkür und brachialer Gewalt über sie hereinbricht. Wie die VertreterInnen des iranischen Gottesstaates die kleinsten scheinbaren Vergehen mit gnadenloser Härte bestrafen. Und dennoch - die Menschen dort behalten ihre Lebensfreude bei.
    Trotz des in großen Teilen bedrückenden Themas ist das Buch ungemein poetisch und macht deutlich, wie wichtig gerade in solchen Zeiten Freundschaft ist, aber auch das Erzählen von Ereignissen, (egal ob wahr oder falsch) und der Glaube daran. Und es zeigt, wie reich der Iran ungeachtet der lähmenden Verhältnisse nicht nur an Geschichten ist - welch ein wundervolles Land könnte es sein!
    PS: Vielleicht könnte man in der nächsten Auflage ein Glossar mit all den herrlichen Ausdrücken anfügen? Das wäre eine wirkliche Bereicherung!

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Autorin
    Dina Nayeri wurde während der Islamischen Revolution im Iran geboren und emigrierte als Zehnjährige nach Oklahoma. In Harvard absolvierte sie ihren MBA und Master of Education, in Princeton ihren BA. Ihr Debütroman „Ein Teelöffel Land und Meer“ wurde bereits in dreizehn Sprachen übersetzt und als "Barnes and NobleDiscover Great New Writers book" ausgewählt.
    Inzwischen arbeitet sie an ihrem zweiten Roman (der sich ebenfalls um eine Familie im Iran dreht). (Quelle:Verlangsseite)
    Kurzbeschreibung
    Saba ist elf, als die islamische Revolution ausbricht und ihre wohlhabende christliche Familie Teheran verlassen muss, um sich, fern von den prüfenden Blicken der Mullahs, auf ihre Ländereien in der Gilan-Provinz zurückzuziehen. Kurz darauf verschwinden Sabas Mutter und ihre Zwillingsschwester Mahtab spurlos. Ihr Vater und die Nachbarn im Dorf behaupten, Mahtab sei bei einem Bad im Kaspischen Meer ertrunken und die Mutter sei bei dem Versuch, den Iran zu verlassen, festgenommen worden. Doch Saba glaubt ihnen nicht. Für sie ist klar, dass ihre geliebte Schwester jenseits des Ozeans ein neues Leben begonnen hat ...(Quelle:Amazon)


    Inhalt und Meinung
    Die Islamische Revolution und kurz danach das Verschwinden ihrer Mutter und Schwester verändern Sebas Leben. Sie ist hin und her gerissen zwischen Anpassung an die neuen Regeln und ihrer westlichen Erziehung (ihren geliebten westlichen Serien, Filmen, Zeitschriften, Musik, die sie sich heimlich auf den Schwarzmarkt besorgt). Zudem fragt sie sich ständig, was mit ihrer Mutter und Schwester geschehen ist. Sie sind spurlos verschwunden. Seba kann und will den Behauptungen der Nachbarn nicht glauben und ihren eigenen Erinnerungen an die Ereignisse kann sie nicht richtig trauen. Es ist alles verschwommen und mysteriös. Sie hofft und möchte auch daran glauben, dass ihre Mutter und Schwester Mahtab in Amerika sicher und glücklich leben. Und so denkt sie sich Geschichten über das Leben ihrer Schwester aus und in ihren Freunden und Nachbarn findet sie willige Zuhörer. Die Geschichten über Mahtabs amerikanisches Leben sind im Grunde das Gegenteil von Sebas wirklichen Leben. Während Mahtab frei und selbstbestimmt lebt, ist Seba in sehr vielen Dingen fremdbestimmt. Es dauert bis Seba den Mut und die Kraft findet sich ihrer Vergangenheit zu stellen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.


    „Ein Teelöffel Land und Meer“ erzählt nicht nur die Geschichte von Sebas Kindheit und Jugend nach der islamischen Revolution. Es ist auch ein Buch über das Geschichtenerzählen, das in Iran einen sehr hohen Stellenwert hat.
    „Sie gehen kreativ mit der Wahrheit um, nicht bloß, weil sie Iraner sind und wissen, dass gute Geschichten ausgeschmückt, Lobesworte übertrieben und die Hälfte aller Einladungen gelogen sein müssen, sondern auch weil sie alt sind […] Menschen, die diese Welt […]bald verlassen werden, versuchen zu verstehen, was das alles zu bedeuten hat. […] Wenn sie die bittere Wahrheit erkennen, dass alles zerbrechlich ist und letztlich verschwindet, erfinden sie eine neue Wirklichkeit, in der das Beste dessen, was verloren ist, irgendwo auf sie wartet.“


    In der Inhaltsbeschreibung steht „fern von prüfenden Blicken der Mullahs“, aber ganz befreit ist Sebas Familie auch in der Provinz von Mullahs nicht. Das bekommt Sebas beste Freundin Ponneh auf schreckliche Weise zu spüren und das nur, weil sie unter ihren dunklen Gewand rote Schuhe getragen hat. Es ist für Seba und Ponneh unbegreiflich, wie man so hassen kann und das nur wegen der Spitze eines roten Schuhs. Aber das ist nur einer der unbegreiflichen Dinge, die Frauen dort passieren können. Die Autorin zeigt deutlich, wie schwierig es ist unter diesem Regime zu leben und wie grausam es ist, insbesondere zu Frauen. Nach der Revolution 1979 waren alle Frauen gezwungen Kopftücher anzuziehen und wurden damit zu "formlosen, verhüllten schwarzen Gestalten". An einer Stelle sagt Ponneh etwas sehr Passendes über das Regime und dessen Schleierzwang für Frauen: "Sie[eine Frauengruppe, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert]haben mir gesagt, dass persische Frauen ein inneres Feuer haben […] Die Mullahs und pasdars wissen das. Und was macht man, wenn man ein Feuer löschen will? Man wirft ein großes schweres Tuch darüber, nimmt ihm den Sauerstoff. Und genau das haben sie mit uns gemacht." Dieses Regime hat nicht nur „Angst“ vor Frauen, sondern auch vor allen schönen Dingen des Lebens, wie Musik und Kunst. „Genau das macht das Regime, sagte ihre Mutter. Sie sperren schöne Dinge an dunkle Orte,damit sie keiner mehr sieht.“ :(
    Aber die Autorin zeigt nicht einfach Iran, den bösen Gottesstaat. Ihre Darstellung ist differenziert. Die Schönheiten dieses Landes und seiner Menschen werden von ihr facettenreich und lebendig beschrieben. Ihre Figuren sind authentisch und menschlich und deren Handlungen und Gedankengänge glaubhaft und nachvollziehbar.
    „Ein Teelöffel Land und Meer“ ist ein ruhiger, aber eindringlicher Roman, der seine Schönheit von Seite zu Seite immer mehr entfaltet. Es ist eine berührende, warmherzige, vielschichtige Geschichte, die in einer unglaublich schönen poetischen Sprache geschrieben ist. Von mir gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: !