Jon Kalman Stefansson schreibt Romane und Texte über die Menschen in Island, ihre Kultur, ihre Arbeit, ihre religiösen Vorstellungen und immer und immer wieder ihr Verhältnis und ihre Bindung zur Natur, insbesondere zum Meer, das Island als Insel von allen Anfängen mit seinem Fisch ernährend und mit seinen Stürmen bedrohend umgibt.
In seinen frühen Romanen "Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit", "Das Knistern der Sterne" und "Sommerlicht, dann kommt die Nacht", hat Stefansson zum Teil autobiographische Erfahrungen verarbeitet, und ich erinnere mich gut, mit welcher Begeisterung ich sie gelesen und besprochen habe.
Mit „Der Schmerz der Engel“ begann Stefansson dann eine Trilogie, die er mit „Himmel und Hölle“ fortsetzte. Dort ging er etwa 100 Jahre zurück und berichtet von der Lebenswelt und den harten Erfahrungen eines jungen Mannes, den er nur "den Jungen" nennt. Früh hat dieser seinen Vater verloren, der beim Fischen im rauen Meer ertrunken ist. Denn obwohl damals so viele Männer täglich mit ihren Ruderbooten zum Fang ausfuhren, schwimmen konnte kaum einer von ihnen. Aus der Perspektive dieser unzähligen Toten wird die Geschichte dieses beeindruckenden Romans erzählt: "Wir befinden uns in jener Zeit, in der wir ganz sicher noch gelebt haben..."
Auch in seinem neuen Buch „Das Herz des Menschen“ das die Trilogie abschließt, erzählt Stefansson die Geschichte eines „Jungen“. Nach einem dramatischen Unglück kommt er Ende des 19. Jahrhunderts in einem Fischerdorf wieder zu sich. Draußen auf dem Meer versinkt ein Handelsschiff und der Junge liest in den Romanen von Charles Dickens. Er lernt die leidenschaftliche Ragnheidur kennen und wird von ihr verführt. Ein beeindruckendes Erlebnis, das ihn jedoch nicht so sehr beschäftigt wie die zwei kryptischen Briefe der rothaarigen Alfheidur. Nach langem Zögern macht er sich mit einem Bot auf den langen Weg zu ihr, um endlich herauszufinden, was sie ihm sagen will.
Es geht um Liebe und um Sehnsucht. Um das harte Leben der Menschen: „Der menschliche Körper ist ein dummes Tier, das wir durchs Leben schleppen müssen wie eine schlechte Erinnerung.“ Das ganze Buch ist voll von solchen poetisch formulierten Weisheiten. Es spricht einiges dafür, dass der „Junge“ des dritten Teils der Trilogie identisch ist mit dem aus „Himmel und Hölle“, denn es taucht auch wieder Kolbeinn auf, ein blind gewordener ehemaliger Kapitän, der 400 Bücher besitzt, darunter viele Gedichtbände. Von ihnen hatte Stefansson geschrieben:
"Manche Gedichte entführen uns dorthin, wo keine Worte hinreichen, kein Denken, sie bringen uns an den Kern selbst, das Leben hält einen Atemzug inne und wird schön, es wird rein vor Sehnsucht und Glück. Manche Gedichte verändern den Tag, die Nacht, dein Leben. Manche Gedichte bringen dich dazu, zu vergessen, die Traurigkeit zu vergessen, die Hoffnungslosigkeit..."
Das gleiche gilt für die wundervollen, traurig-poetischen Bücher von Jon Kalman Stefansson.