Juli Zeh - Schilf

  • Kurzmeinung

    QuaestioFilius
    Eines der guten und nachdenklichen Werke. Ich fand es überaus schön zu lesen.
  • Klappentext:
    »Wir haben nicht alles gehört, dafür das meiste gesehen, denn immer war einer von uns dabei. Ein Kommissar, der tödliches Kopfweh hat, eine physikalische Theorie liebt und nicht an den Zufall glaubt, löst seinen letzten Fall. Ein Kind wird entführt und weiß nichts davon. Ein Arzt tut, was er nicht soll. Ein Mann stirbt, zwei Physiker streiten, ein Polizeiobermeister ist verliebt. Am Ende scheint alles anders, als der Kommissar gedacht hat - und doch genau so. Die Ideen des Menschen sind die Partitur, sein Leben ist eine schräge Musik.
    So ist es, denken wir, in etwa gewesen.«
    Mit diesen Worten beginnt eine unerhörte Kriminalgeschichte, die der Gegenwart und dem Leser alles abverlangt. Juli Zeh, eine der aufregendsten und intelligentesten Autorinnen ihrer Generation, entwirft in ihrem dritten Roman das Szenario eines Mordes, wie wir es uns bisher nicht vorstellen konnten. Virtuos, sinnlich, rasant, erbarmungslos und scharfsinnig treibt sie ihre Geschichte bis zum grotesken Finale – und erklärt ganz nebenbei das physikalische Phänomen der Zeit.
    (von der Verlagsseite kopiert)



    Zur Autorin:
    Juli Zeh wurde in Bonn geboren und studierte Jura in Passau und Leipzig, wo sie ihr Erstes Staatsexamen machte. Ebenfalls in Leipzig studierte sie von 1996 bis 2000 am Deutschen Literaturinstitut (DLL), an das sie später als Dozentin zurückgekehrt ist. Nach ihrem Diplom am DLL folgte 2003 das Zweite Staatsexamen. Zahlreiche Auslandsaufenthalte u.a. für die UN in New York und Krakau und vor allem in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina haben ihre Arbeiten geprägt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Bücherpreis, dem Rauriser Literaturpreis, dem Hölderlin-Förderpreis, dem Ernst-Toller-Preis und dem Solothurner Literaturpreis.
    Ihr erster Roman ADLER UND ENGEL erschien 2001. Ihr Roman SPIELTRIEB wurde 2006 am Hamburger Schauspielhaus für die Bühne dramatisiert. ALLES AUF DEM RASEN versammelt ihre Essays zu Gesellschaft, Politik, Recht und Literatur, die in großen deutschen Zeitungen und Magazinen erschienen sind. 2007 erschien ihr Roman SCHILF, 2009 CORPUS DELICTI.
    Insgesamt wurde ihr Werk bisher in 35 Sprachen übersetzt. Zusammen mit Ilija Trojanow schrieb sie ANGRIFF AUF DIE FREIHEIT, das 2009 bei Hanser erschien. 2012 erschien in der edition Körber ihr neues Sachbuch DIKTATUR DER DEMOKRATEN – WARUM OHNE RECHT KEIN STAAT ZU MACHEN IST. Ebenfalls 2012 erschien ihr neuer Roman NULLZEIT. (von der Verlagsseite kopiert, gekürzt)


    Allgemeine Informationen:
    Krimi? Oder doch nicht? Gewisse Handlungselemente legen es nah: Mord, Kindesentführung, Erpressung. Aber entscheidende literarische Motive des Buches, die im Zentrum stehen und in den Bereich der Physik und / oder Philosophie gehören, sind genrefremd. Auch könnte die literarische Sprache der Autorin den Krimifreund, der auf einen unterhaltsamen, spannenden Plot gepolt ist, abschrecken.
    Erzählt wird aus verschiedenen personalen Perspektiven, Sebastian, Schilf, Skura, Oskar, u.a. Schauplatz ist Freiburg i.B.
    383 Seiten.


    Inhalt:
    Sebastian und Oskar freunden sich während des gemeinsamen Physik-Studiums an. Während Oskar ausschließlich für seine Wissenschaft lebt, heiratet Sebastian und wird Vater. Wegen gewisser Theorien über die Eine Welt oder Viele Welten entzweien sie sich.
    Als Sebastian mit seinem Sohn unterwegs ist, den Wagen mit Kind an einem Rasthof abstellt, wird das Auto gestohlen. Er erhält einen Erpresseranruf, und man verlangt von ihm, einen Mord zu begehen, um sein Kind wieder zu bekommen.
    Die Vertuschung eines ärztlichen Kunstfehlers und ein Mord – beide Fälle zusammen kann Kommissarin Skura nicht bearbeiten, und man fordert einen Kommissar aus der Landeshauptstadt an.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    „Schilf“ – das ist nicht das Gras am Gewässerrain, sondern der Nachname des Kommissars, einer Mixtur aus Wallander-Depression und Adamsberg-Träumerei. Er trägt einen Tumor im Gehirn, der für seinen baldigen Tod sorgen wird, nennt ihn „Vogelei“ und wird von stechenden Kopfschmerzen befallen, als würde ihn ein Vogelschnabel traktieren.


    Sebastians Geschichte spielt sich auf zwei realen Ebenen ab: Dem Boden des Hier und Jetzt und, getreu seiner Theorie, in einer Parallelwelt, in der ihm nichts passiert ist und in der er anders handelt. Dass sich seine Vorstellungen und Träume bisweilen mit der Schilderung der Realität überschneiden oder ihr zuwider laufen, hilft sicher nicht beim Durchblick.


    Wer von Juli Zeh spricht, muss über Sprache und Sprachkunst reden. Denn sie ist eine Meisterin im Umgang mit Worten, stilistischen Formen und Sätzen. Selbst alltägliche Handgriffe erzählt sie in einer literarischen Kunstsprache, hebt jede kleine Handlung aus ihrem gewohnten Zusammenhang und überhöht sie literarisch. Das kann attraktiv und stilvoll sein, z.B. bei stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen oder atmosphärisch dichten Betrachtungen, kann aber auch bei banalen Tätigkeiten wie Essen oder Kochen ins Theatralische gleiten. Krimihandlung und Figuren ertrinken in Poesie.


    Erstklassig:

    – seine beste Passage.


    Fazit:
    Ein literarisch höchst anspruchsvolles Buch, in das zuviel gepackt wurde, und das aus diesem Grund keine runde Geschichte erzählt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Der Inhalt ist beschrieben, daher nur meine Meinung:


    Mit Schilf nimmt es sich Juli Zeh heraus, die Erwartungen jedes passionierten Krimi-Lesers zu enttäuschen. Die Handlung wird bereits im Prolog bekannt gegeben, der Ermittler taucht erst in der Mitte des Buches auf und hat den Fall nach wenigen Seiten gelöst - was noch keineswegs das Ende ist. Die Kapitelüberschriften verraten die bevorstehenden Ereignisse - Techniken der Verfremdung, die dennoch keine Einfühlung verhindern. Eine Stärke des Romans liegt nämlich in den plastischen Personenbeschreibungen,in der Fülle ihrer Emotionen, denen sich auch der Leser nicht mehr entziehen kann.


    Die Auflösung, oder besser gesagt die Erklärung, denn der Mordfall ist schon längst gelöst, ist dann schließlich zum Buch-an-die-Wand-werfen dreist. Ob dum-dreist oder genial-dreist, darüber scheiden sich wahrscheinlich die Geister. Im Zweifel für die Angeklagte: Ich tendiere zu "genial dreist" und vor allem: zwangsläufig.
    Schilf ist wahrlich eine "Tragödie griechischen Ausmaßes" mit Zufällen in dürrenmat'scher Dimension (überhaupt sehe ich Schilf am ehesten in der Tradition von Das Versprechen, wenn auch Handlung und Personal sich sehr unterscheiden). Zeh scheut auch vor den ganz großen Worten nicht zurück, hat keine Angst vor Platitüten und entwirft dadurch ihre ganz eigene Sprache.
    Vielleicht ist Schilf nicht unbedingt ein Krimi für Krimi-Fans, aber ein sehr großes Buch mit den ganz großen Fragen. Oskar und Sebastian, der kühle Determinismus und die Viele-Welten-Theorie, stehen exemplarisch für die Frage, wie das Leben zu führen ist; sind Entscheidungen unumkehrbar, und wenn ja: Wer trägt dann überhaupt noch die Verantwortung für das eigene Leben? Keine Angst übrigens: Man braucht keine große Ahnung von Physik, um dieses Buch zu verstehen; die habe ich auch nicht.
    Einziger Kritikpunkt: Wie eigentlich alle Romane von Juli Zeh ist auch dieser ungemein konstruiert und überinszeniert, man könnte ihm auch Klugscheißertum vorwerfen. Das ist typisch für Zeh, man muss das wirklich mögen.


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