Abbas Khider - Brief in die Auberginenrepublik

  • Salim ist ein ehemaliger Student, der wegen des Besitzes illegaler Bücher im Irak verhaftet wurde. Sein Onkel verhalf ihm zur Flucht aus dem Gefängnis und dem Land. Nach einigen Zwischenetappen ist er in Bengasi gestrandet und verdingt sich dort als Bauarbeiter, wie viele im Exil. Seit zwei Jahren hat er nichts mehr von seiner Familie gehört. Auf offiziellem Weg kann er wegen der Zensur keine Briefe in die Heimat schicken, da erfährt er zufällig von dem Netzwerk illegaler Briefboten. Er schreibt einen Brief an seine Geliebte Samia und übergibt ihn dem ersten Boten.


    Der eigentliche Protagonist dieses Romans ist ein Brief, dessen abenteuerlichen Weg der Leser auf seiner Reise von Bengasi über Kairo und Amman bis hin nach Bagdad verfolgen kann. Jedes der 7 Kapitel ist der Person an dem Ort gewidmet, bei der sich der Brief gerade befindet. So lernt der Leser Menschen kennen, die dem Regime, wie der Absender, zum Opfer gefallen sind, aber auch die, die in dem Brieftransport eine Geschäftsidee sehen, mit der sie ihr Geld verdienen und dann gibt es noch die, die sich dem Regime unterworfen haben und für die Zensurbehörde arbeiten. Aber es gibt auch die Menschen, die vollkommen uneigennützig einem Heimatlosen einfach nur helfen wollen.


    Man merkt diesem Roman an, dass sein Autor aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen konnte. Denn Parallelen zu dem Exil-Iraker Salim, dem Schreiber der des Briefes, sind kaum zu übersehen. Ob der Roman autobiografisch ist, lasse ich dahingestellt. Inspirationen fand Abbas Khider dazu in seiner eigenen Vergangenheit gewiss genügend. Gekonnt flicht er in seine Erzählung immer wieder Passagen ein, die über die Situation der im Exil lebenden Iraker und die politischen Gegebenheiten in deren Heimat Auskunft geben. Der Roman wirkt dadurch auf mich ungeheuer glaubhaft. Abbas Khider schreibt sehr wortgewaltig, mitunter auch sehr poetisch, nie nur bitterernst, vieles schmückt er mit einem Fünkchen Humor. Sehr gerne lese ich die richtig dicken Wälzer. Aber ein Autor wie Abbas Khider gibt mir dann wieder zu verstehen, es bedarf nicht der vielen Worte für einen wirklich guten Roman, auch 160 Seiten können einem eine ganz Welt nahe bringen, wenn man auch an manchem Ort gern etwas länger geblieben wäre.


    Über den Autor


    Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. 1996 floh er nach einer Verurteilung aufgrund »politischer Gründe« und nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe aus dem Irak. Von 1996 bis 1999 hielt er sich als illegaler Flüchtling verschiedenen Ländern auf, seit 2000 lebt er in Deutschland. Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Potsdam. Zurzeit lebt Abbas Khider in Berlin.

  • Ein Brief als Aufhänger für eine Geschichte - ein Gegenstand, um Menschen zu verbinden, die eigentlich keine Verbindung haben - eine interessante Idee, auf diese Weise eine Welt zu beschreiben, die der unseren so fremd ist. Wie auch in "Die Orangen des Präsidenten" bringt uns der Autor Abbas Khider eine Welt nahe, die wir in unserer sicheren Existenz hier in Europa nicht kennen und vermutlich auch nicht nachvollziehen können. Er beschreibt Menschen, deren Schicksale und Leben unserem so fremd sind - die wir aber beim Lesen als sehr nahe erleben und kennen lernen. Denn auch wenn deren Leben so anders ist als unseres, so ist es vielfach doch wieder gleich: die Sehnsucht nach Heimat, nach unseren Familien und Freunden, nach einer sicheren Existenz - aber auch die Enttäuschungen und Enttarnungen von geliebten Menschen, die wir ja auch erleben. Sieben einzelne Geschichten, die auch für sich alleine stehen können, werden zusammengewoben zu einer Welt, die bestimmt geprägt ist von den Erfahrungen des Autors. Aber nie wird sie bitter oder verbittert, immer bleiben Menschen mit ihren unterschiedlichsten Motiven und Gedanken und Handlungen einfach nur Menschen - und niemand wird verurteilt weil er so ist wie er ist. Das ist für mich die persönliche Höchstleistung dieses Autoren: dass er trotz seiner eigenen Geschichte die Menschen so nimmt wie sie sind und immer noch hinter die Fassade schaut mit viel Verständnis und auch Humor.
    Den Stil von Khider empfinde ich bei beiden Büchern als einprägsam und dabei doch klar und einfach, nicht so orientalisch-blumig wie mancher vielleicht bei einem Autoren aus dem vorderen Orient erwarten würde. Da ich diese Art des Erzählens liebe, kann ich nur sagen: ein lesenswertes Buch :D

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich habe "Brief in die Auberginenrepublik" im Rahmen der Weltreisechallenge 2015 gelesen, ohne die ich sicher nicht einmal auf das Buch und den Autoren aufmerksam geworden wäre. Und wieder mal bestätigt sich die Weisheit, das einem so mancher Juwel verborgen bleibt, wenn man nicht auch mal über den eigenen Tellerand hinausschaut. Bisher habe ich nämlich weder von arabischen Autoren noch Bücher mit den entsprechenden Handlungsorten gelesen (abgesehen von Karl May) :wink: und hätte wohl auch nicht danach gegriffen. Aber jetzt zum Buch:
    Eigentlich handelt es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die kurz und knapp Lebensgeschichten von Personen beschreiben, die die unterschiedlichsten Werdegänge und sozialen Stände haben. Verbindendes Element ist der besagte Brief, den der Iraker Salim aus dem libyschen Exil an seine Geliebte schreibt, als er eine Möglichkeit gefunden hat, ihn ohne die Gefahr, die von der Zensur und den dahinter stehenden Machthaber ausgeht, abzuschicken.
    Jeder einzelne Charakter, der den Brief in irgendeiner Form transportiert bzw. ihm begegnet macht sich seine Gedanken zu der politischen Lage und deren Auswirkung auf seine ganz persönliche Situation. Der Leser erfährt von den politischen und sozialen Umständen, die jeden Menschen geprägt haben, von dem erzählt wird und erhält einen ganz persönlichen Einblick in das Leben und die Gedankenwelt der 7 Protagonisten. Dabei kann der Autor eigene biografische Einzelheiten und Erfahrungen sicherlich nicht aussen vor lassen. Er beschreibt und erzählt in einer typisch arabischen bildgewaltigen Sprache, mit hintergründigem, ironischem Humor - ein absolutes Lesevergnügen. Durch die Kürze des Buches kommt zu keiner Zeit Langeweile auf, die Spannung, was mit dem Brief letztlich passiert verbindet sich in einer zweiten Handlungsebene geschickt mit der Neugier auf die Schicksale der einzelnen Personen.
    Von mir bekommt Abbas Khider einen :thumleft: und tolle :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • @Mojoh Es freut mich so sehr, dass dir dieses Buch auch so gut gefallen hat. Abbas Khider ist inzwischen zu einem meiner Lieblingsautoren geworden und jedes neue Buch erwarte ich sehnsüchtig. Ich hoffe ja bald auf etwas Neues von ihm.

  • Ich teile ganz und gar die Begeisterung an diesem « Roman » in sieben Episoden, Etappen der Briefzustellung. :thumleft:


    Einerseits lernen wir eine Vielzahl von Leben und Ausrichtungen innerhalb der arabischen Welt kennen : vom verfolgten und exilierten, in Libyen lebenden Iraker, über einfache Fahrer hin zu den Geschäftsmännern, Profitierern, oder gar Folterknechten von Regimes. Das mag so nebeneinander stehen können, und man sieht die Verbindung (allein) im transportierten Brief. Khider aber deckt wahrscheinlich eine andere Art Einheit auf : die einer Welt, in der der die Welt tragende Stier "stehen geblieben" ist (ein mythisches Bild?!), und das Elend auf einer Weltenseite gebündelt passiert. Die « Machenschaften » sind seltsam ähnlich von Libyen bis hin zum Irak. Teils entspricht das dem Traum der panarabischen Einheit, die hier auf groteske Weise dargestellt und kritisiert wird? Diktatore beherrschen das Bild, wobei man betonen muss, dass der Roman eben am Ende der 90iger Jahre spielt, unter den Gaddafis, Mubaraks und Saddam Husseins (ich persönlich sehe Könige Hussein und Abdullah von Jordanien nicht in derselben Preislage). Insofern könnte man feststellen, dass sich die politischen etc Konstellationen inzwischen verändert haben, und diese Länder gewisse Prozesse durchlaufen haben. Meist leider so gar nicht zum Besseren… Und zudem bleibt, dass diese Länder sich auf dem Humus des Beschriebenen fortentwickeln, dort weiterwachsen. Und somit gibt es Bezüge zwischen dieser 16 Jahre zurückliegenden Zeit und heute. Viele Bemerkungen und beiläufige Nachrichten sind durchaus aktuell und erläutern sehr gut, wie manches funktioniert, wie Menschen ticken.


    Und so sehr die beschriebene Welt sich von der unseren unterscheidet, so kann man eventuell etwas stiller und dankbarer feststellen, dass wir in relativ behüteten Ländern leben mit so manchen demokratischen Errungenschaften, die wir heute nicht aufs Spiel setzen sollten. Verbindung und Schnittpunkte sind aber dennoch da, denn aus diesen Ländern kommen teils Flüchtling zu uns, deren Leben von diesem Umfeld geprägt worden sind.


    In dem Zusammenhang dachte ich an eine Bemerkung aus der ersten Episode : der Exilierte dankt nahezu den mafiösen Geschäftemachern, die ihm eine Briefzustellung (die auf legalem Wege nicht klappen will) ermöglichen, wenn auch unter absurden Geldsummen. Und unsereins empört sich heute – zurecht – über die Mittler und Profitierer, die aus dem Elend der Flüchtlinge Kapital schlagen und zB jene Bootsüberfahrten organisieren. Jedoch : würden unsere so großzügigen Länder Direktvisa ausstellen anstatt diese Praktiken quasi zu unterstützen, könnten viele ohne große Probleme und Gefahren per Flieger bei uns einreisen. Und zudem weniger verarmt. Oder nehmen wir die « Verluste » in Kauf ?

  • (ich persönlich sehe Könige Hussein und Abdullah von Jordanien nicht in derselben Preislage)

    Das sehe ich absolut genauso wie Du. :)
    Sehr lange habe ich mich allerdings gefragt, warum ausgerechnet Jordanien und das jordanische Königshaus eine derartige Sonderrolle in der arabischen Welt spielen und warum der "kleine König" Hussein so viel Einfluss hatte - heut sein Sohn Abdullah. Erst nachdem ich diese Biografie der jordanischen Königin Noor, einer gebürtigen Amerikanerin, gelesen hatte, war mir so manches klarer. Es ist zwar eigentlich ihre Biografie, aber zwangsläufig dreht sich ihr Leben um das ihres Mannes Hussein und um das Land Jordanien - Ruhepol zwischen all den Krisen- und Kriegs-gebeutelten arabischen Ländern. Ich kann es nur empfehlen, man bekommt so manchen Einblick, den ein Zeitungsartikel nicht unbedingt liefert. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier