Philippe Besson - Der Verrat des Thomas Spencer

  • Klappentext:
    „Die Frage ist: In welchem Moment beginnt der Verrat? Diese Frage habe ich mir seither viele Male gestellt, und die Antwort hat häufig gewechselt, je nach Stimmung und dem Bewusstseinsgrad meiner Schuld.“
    Sie wurden am gleichen Tag im August 1945 geboren und wurden große Freunde. Paul und Thomas wachsen in Natchez, Mississippi, auf und nichts, so scheint es, kann sie auseinanderbringen. Und doch wird Thomas seinen Freund verraten.
    (vom rückwärtigen Cover kopiert)


    Zum Autor:
    Philippe Besson wurde 1967 in Barbezieux, einem Dorf in der Charente, geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bordeaux und der Oberstufe in Rouen, ging Besson 1989 nach Paris, wo er zunächst eine Laufbahn als Jurist und Dozent für Sozialrecht einschlug. 1999 begann er an seinem ersten Roman ›Zeit der Abwesenheit‹ zu schreiben, der Anfang 2001 in Frankreich erschien. Fortan veröffentlichte er fast jährlich einen neuen Roman.
    Philippe Bessons Bücher sind in Frankreich Bestseller. Sie wurden vielfach ausgezeichnet und in 14 Sprachen übersetzt. Sein Roman ›Sein Bruder‹ wurde von Patrice Chéreau verfilmt. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: La trahison de Thomas Spencer
    Erstmals erschienen 2009 bei Éditions Juillard, Paris
    Aus dem Französischen übersetzt von Caroline Vollmann
    Das Buch ist wie eine biographische Erzählung verfasst, also in der Ich-Perpektive des Thomas Spencer. Er erklärt, einen wahrheitsgemäßen Bericht über sich und Paul Bruder zu schreiben, mit dem ihn zeit seines Lebens eine tiefe Freundschaft verband, und den er irgendwann verraten hat.


    Inhalt:
    Man schreibt das Jahr 1974, Thomas steht kurz vor seinem 30. Geburtstag. Er beschließt, sich seine Schuld und seine Einsamkeit von der Seele zu schreiben. Im Zentrum seines Denkens und Fühlens steht, wie seit Beginn seines Lebens, sein Freund Paul.
    Die beiden am gleichen Tag geborenen Kinder sind Nachbarsjungen. Während Paul gut behütet in Wohlstand bei seinen Eltern aufwächst, lebt Thomas mit seiner Mutter allein; der Vater verließ sie während der Schwangerschaft.
    Sie sind unzertrennlich, wobei Paul den Part des Stärkeren übernimmt, der Thomas unter seine Fittiche nimmt. Dennoch: Ihre Gedanken sind dieselben und instinktiv weiß der eine, wie es in dem anderen aussieht. Ihre Freundschaft überdauert die Kindheit, bestimmt die Jugendzeit, und auch die örtliche Trennung während Thomas’ Studium bringt sie ebenso wenig auseinander wie die unterschiedlichen politischen Meinungen. Bis zu Thomas’ Verrat.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Eine Jungen - / Männerfreundschaft vor dem Hintergrund der amerikanischen Geschichte der 50er und 60er Jahre: Jedes Buch zu diesem Thema wird sich messen müssen an John Irvings unvergleichlichem „Owen Meany“.
    Aus der Distanz mehrerer Jahre reflektiert Thomas seine Freundschaft zu Paul, die gemeinsamen Erlebnisse als Kinder, ihren Zusammenhalt während des Erwachsenwerdens bis hin zum Verrat, für den Thomas sich in keiner Zeile zu rechtfertigen versucht, den er vielmehr als große Lebensschuld auf sich nimmt.


    Thomas reflektiert, er analysiert und zerlegt Ereignisse und Gefühle. Die lebendigsten Passagen des Buches sind diejenigen, die er mit kleinen, meist unscheinbaren und alltäglichen Episoden aus der Vergangenheit füllt. Doch sie sind im Vergleich zu den reflektierenden Anteilen leider spärlicher gesät, so dass man dem Autor gern das bekannte „show, don’t tell“ zurufen würde. Was genau zu der Rollenverteilung Paul = der Starke, Thomas = der Schützling führt, erschließt sich nur andeutungsweise.
    Zu der Distanz, die Thomas zwischen sich und den Leser legt, trägt die durchgängige Verwendung von Perfekt und Plusquamperfekt statt des erzählenden Imperfekts bei. Zumindest im Deutschen machen diese Zeiten einen Text behäbig und breit und entfernen die Handlung vom direkten Erleben.


    Der Roman liest sich eingängig und bringt die erlebten Zeiten immer wieder in Bezug zur amerikanischen Historie: Der Kalte Krieg, Rassenhass, Kennedy, Vietnam. Auch wenn Thomas sich gegen die Südstaaten-Tradition der Rassentrennung ausspricht und bei Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg mitgeht, findet eine politische Auseinandersetzung nicht statt, obwohl sie sich mit Paul, der traditionsverbundener, patriotischer und konservativer denkt, anbieten würde. So wirkt der politische und gesellschaftliche Kontext eher wie die Kulisse zu der privaten Entwicklung.


    Fazit:
    Eine Erzählung mit einem ansprechenden Plot, den der Autor leider nur in eine starre, reflektierende Geschichte kleidet.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)