A.F.Th. van der Heijden - Das Gefahrendreieck

  • Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden – so der vollständige Name dieses niederländischen Romanciers – ist ein besessener Schreiber. Nicht allein die Vielzahl der zwischenzeitlich erschienenen Romane oder deren Umfang ( selten unter 500 Seiten ) rechtfertigen diese Einschätzung, auch die Thematik seines Schaffens ist bemerkenswert. „Das Gefahrendreieck“ ist Teil eines mehrbändigen Romanepos namens „Die zahnlose Zeit“, welcher über 3000 Seiten umfaßt und mittlerweile komplett bei Suhrkamp erschienen ist.


    Protagonist der Romanreihe ist Albert Egberts, der Alter Ego van der Heijdens, Schauplatz ist die Niederlande der 60´er bis 80´er Jahre, eine Zeit ohne Höhepunkte, eine Zeit der Stagnation. „Das Gefahrendreieck“ steht am Anfang der Geschichte Albert Egberts und bezeichnet den Ort seiner Kindheit, Geldrop, eingeklemmt zwischen Straße, Kanal und Eisenbahn, für den kleinen Albert aber immer noch groß genug, um als Abziehbild der großen Welt durchzugehen. Das Milieu ist kleinbürgerlich: in den Höfen werden noch Schweine geschlachtet, das Gemüse in den Gärten gezogen und die Jauchegruben regelmäßig ausgepumpt.


    Überhaupt geht es nicht zimperlich zu in Alberts Welt: Angestachelt durch den Rüpel der Nachbarschaft, Flix Boezaart, läßt sich Albert zu Streichen mit katastrophalen Ausgängen verleiten, etwa, wenn dem Pferd des von Haus zu Haus ziehenden Bäckers mittels einer langen Feder eine Erektion herbeigekitzelt, der erigierte Penis des Pferdes dann mit feinem Sand bestreut, und dem armen Tier, nachdem es vor Schmerz durchgegangen ist und die Fensterscheiben der halben Straße demoliert hat, der Gnadenschuß verpaßt wird. Oder, wenn bei homoerotischen Spielchen auf dem Dachboden der arme Albert sich gegen die Aufdringlichkeit seines Verführers nicht so recht zu wehren weiß, halb erregt, halb abgestoßen von der Berührung des Anderen.


    Alberts Vater, Lackierer bei Philips in Eindhoven, ist ein notorischer Wochenendtrinker, der seine Frau und Kinder mit dem Messer bedroht, wenn er im Anschluß an seine nächtlichen Sauftouren nach Hause zurückkehrt, und der durch seine Trinkerei dafür sorgt, daß die Familie immer knapp bei Kasse ist. Doch wenn er im Rausch sämtliches greif- und verfügbare Geschirr im Haus kurz und klein schlägt, ist er darauf bedacht, es vorher in die Küche zu tragen, damit die Nachbarn durch das Fenster zur Straße nicht sehen können, was im Haus vorgeht.


    Fast erscheint es wie eine Flucht, als Albert, kaum den Kinderschuhen entwachsen, sich zum Studium nach Nimwegen aufmacht und sein Elternhaus, die wohlbehütete Fassade der heilen Familie und die ständig wachsamen Augen der Nachbarn hinter sich läßt. Doch auch hier, einquartiert in einer feuchten, dunklen Kellerwohnung, hinterlassen die merkwürdigen Entwicklungen seiner Adoleszenz ihre Nachwirkungen: Albert hält sich für impotent und schwankt zwischen dem Bedürfnis, sich von seinem Gebrechen zu heilen, und Resignation. Schließlich ist es der Verlobte seiner Zimmerwirtin, ein ungeschlachter Trunkenbold und die personifizierte Wiederkehr seines verhaßten Vaters, welcher ihn in einem Akt der Raserei von seiner eingeredeten Impotenz heilt, doch soll hier nicht mehr verraten werden.


    Van der Heijden erzählt in einer überbordenden, detailversessenen und ebenso kraft- wie symbolvollen Sprache. Nicht die lineare Erzählung zeichnet seinen Stil aus, sondern das erzählerische Heraufbeschwören von Bildern, Situationen und einzelnen Szenen, welche sich erst im Kopf des Lesers zu einem Ganzen zusammensetzen. Beeindruckend ist die Personenzeichnung, insbesondere Alberts Vater mit all seiner Unbeherrschtheit, seiner Niederträchtigkeit im Suff, aber auch seinem bedauernswerten Ausgeliefertsein gegenüber seiner Alkoholabhängigkeit ist so detailliert dargestellt, daß wir ihn förmlich vor uns stehen sehen. „Das Gefahrendreieck“ bildet den chronologischen Auftakt für ein breitgefächertes Panorama der niederländischen Gesellschaft der Nachkriegszeit, allerdings rollt van der Heijden das Feld von unten auf, sozusagen in der Gosse beginnend.


    Von mir gibt es für dieses Buch, aber mehr noch für dessen Urheber, eine ganz große Lese-Empfehlung. Neben den beinahe tragischen Episoden, Figuren und Nebengeschichten sind es vor allem die mit einer humoristischen Bösartigkeit geschilderten und zwischendurch immer wieder eingestreut zu findenden Kapitel aus Alberts Kindheit, seiner sexuellen Erweckungsphase und seinem Unvermögen als Student und Liebhaber. Ich bin gespannt auf die weiteren Romane aus der „Zahnlosen Zeit“.