Eve steht kurz vor dem Schulabschluss.
Fast ihre gesamte Kindheit hat sie auf einem strengen Mädcheninternat verbracht, nachdem ihre Mutter bei der Großen Seuche vor sechzehn Jahren gestorben und die Bevölkerung nahezu ausgelöscht worden ist.
Dort sollte sie zusammen mit vielen anderen Waisenmädchen zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft herangezogen werden, um das Neue Amerika nach der verheerenden Seuche wieder aufzubauen.
Doch die schreckliche Erkenntnis, was ihr und ihren Freundinnen nach dem Schulabschluss in Wirklichkeit widerfahren soll, lässt Eve Hals über Kopf in die Wildnis flüchten.
Von nun an sind ihr die Soldaten des Königs aus der Stadt aus Sand auf den Fersen, und nur ein Mensch kann Eve helfen und beschützen:
Caleb, ein junger Rebell, der sich mit anderen geflohenen Jungen zu einer Bande zusammengeschlossen hat.
Doch kann Eve Caleb trauen? Einem jungen Mann?
Denn Eve wuchs völlig abgeschottet von Männern auf. Stets hat man sie gelehrt, dass Männer wild, gefährlich, egoistisch, gewalttätig, manipulierend seien.
Oder muss sie die von der Schule vermittelten Vorurteile über Bord werfen, um überleben zu können?
Eigentlich stimmen die Zutaten von "Eve und Caleb - Wo Licht war":
Ein postapokalyptisches Amerika mit einer dezimierten Bevölkerungszahl, einem Land, das sich noch im Wiederaufbau befindet, in dem gefährliche Banden plündern, rauben, morden und jagen, in dem sich die Rebellen vor dem diktatorischen König verstecken, in dem sich geflohene oder unentdeckte Kinder und Jugendliche zu Banden zusammenschließen, in dem Mädchen und Jungen getrennt voneinander großgezogen werden.
Während den vielen Waisenmädchen eine schillernde Zukunft in der vermeintlich sicheren Stadt des Königs vorgegaukelt wird, kommen die Jungen in verschiedene Arbeitslager, um das Neue Amerika mit Schweiß und Blut aufzubauen.
Den Mädchen bringt man bei, Männer zu verabscheuen, Angst vor ihnen zu haben. Ihre Zukunft liegt angeblich in der Verwirklichung ihrer beruflichen Träume, doch in Wahrheit werden die Mädchen ausgebeutet, erniedrigt, regelrecht ausgeschlachtet, wenn sie aus der Schule kommen.
Als die fleißige und strebsame Eve dies mit eigenen Augen mitansehen muss, gelingt ihr die Flucht aus dem Internat, trifft auf Caleb, verliebt sich in ihn. Bringt damit Caleb und seine Bande in Gefahr, denn Eve wird von dem König höchstpersönlich gesucht.
Und da haben wir schon ein paar Logiklöcher, die man als Leser genau wie Eve einfach hinnehmen muss.
Warum bildet man die Mädchen aus, wenn sie nachher doch nur ausgebeutet werden?
Wie kann Eve dem Jungen so schnell Vertrauen und Liebe schenken, wo man ihr doch ihr gesamtes Leben lang ein falsches Bild von Männern vermittelt hat?
Und so wirkt die gesamte Handlung an vielen Stellen einfach holprig, zu leicht gestrickt und nicht immer gut durchdacht, zu viele glückliche Zufälle häufen sich, anstatt dass wirkliche Gefahren entstehen. Auch die Dialoge sitzen nicht immer perfekt und die Handlungsweise der Protagonisten ist nicht immer plausibel und nachvollziehbar. Zudem bleiben die Figuren blass und fremd, können nicht überzeugen.
Die Wandlung von Eve von einer Streberin, die immer nur ihre Noten im Kopf hat und die strengen Regeln des Internats befolgt, zu einer flüchtenden Rebellin, konnte mich nicht überzeugen. Und auch über Caleb erfährt man nur so viel, dass er Eve gleich zu Hilfe eilt und nicht so rau und wild ist, wie Männer in Eves Vorstellung sein müssten.
Zu Vieles bleibt an der Oberfläche hängen, obwohl das ziemlich schade ist, denn die Grundidee dieser Dystopie für Jugendliche und die Atmosphäre in einem zerstörten Amerika stimmen einfach, doch es hapert an der Umsetzung.
Man sieht geplünderte Häuser vor sich, überwucherte Gärten, verrostete Autos, aufgeplatzte Straßen, Bären und Rehe, die durch verlassene Wohngebiete streifen, denn die Menschen leben entweder in der Stadt aus Sand unter der Herrschaft des Königs oder müssen sich in der Wildnis durchschlagen, da das Land nach der Epidemie evakuiert, verbarrikadiert und vergessen worden ist.
Man sieht die verwilderten, einsamen Jungen mit den schmutzigen Gesichtern und den verfilzten Haaren vor sich, aber man spürt nicht die Gefühle eines Mädchens, dessen Welt über Nacht auf den Kopf gestellt worden ist, der man schon als Kind alles genommen hat und jetzt auch noch den Glauben an eine rosige Zukunft entrissen hat, das innerhalb von schützenden Mauern aufgewachsen ist, abgeschottet von der Außenwelt, und jetzt auf bloßen Füßen durch die Wildnis gehetzt wird.
Nichtsdestotrotz ist "Eve und Caleb - Wo Licht war" spannend, Langeweile kommt nicht wirklich auf und die Seiten fliegen nur so dahin. Dies liegt hauptsächlich an dem flüssigen und leichten Schreibstil und weil man nie weiß, was als Nächstes passieren könnte.
Und dennoch ist der Auftaktband von Anna Carey kein Highlight unter den aktuellen Dystopien, denn zu viel von der interessant klingenden Idee und dem damit verbundenen Potenzial wurde leider verschenkt.
Ob ich das Schicksal von Eve und Caleb und das der Waisenkinder des Neuen Amerikas weiterverfolgen werde, war während des Lesens noch ungewiss, doch das Ende lässt mich mit einem absolut unerwarteten Cliffhanger völlig atemlos zurück, sodass ich auf jeden Fall weiterlesen muss. Schade nur, dass nicht die gesamte Handlung so packend und intensiv wie der Schluss war.