Textsanierung? Oder Zensur?

  • Nach Enid Blyton in England vor ein paar Jahren hat es jetzt bei uns Otfried Preußler getroffen.


    Ist es angebracht, diskriminierende Worte aus Büchern zu streichen? Müssen alte Bücher umgeschrieben werden, weil manche Worte nicht mehr zum heutigen Sprachgebrauch gehören? Und wo ist die Grenze?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Das ist doch wieder eine dieser unnötigen Diskussionen, über die ich mich jedes Mal ärgere.


    Es gibt nun mal auch solche Wörter, die früher eine andere Bedeutung hatten oder heute gar nicht mehr verwendet werden. Was sollte es den Kindern denn schaden, sie auch in der alten Variante kennenzulernen? Das sollte geistig schon zu verkraften sein.


    Ich bin nun mal gegen jede Art von Zensur. Statt umzuschreiben oder sie ganz auszurotten, müssten den Kindern Wörter, die sie nicht verstehen bzw. fremd vorkommen eben erklärt werden.


    Die vielen feinen Nuancen machen doch die Schönheit einer Sprache aus.

  • Ich finde es unmöglich. :wuetend:
    ich habe erst letztens mit meinem Sohn "Die kleine Hexe" gelesen. Er hat mich auch direkt gefragt, was dieses Wort bedeutet und ich habe es ihm erklärt.
    Ich bin grade wirlich von den Socken. Das ist unfassbar. :shock:

    Allergikerinformation:
    Der Beitrag kann Spuren von Nüssen, sowie Ironie und Sarkasmus enthalten.


    Aktzeptiere die Welt nicht so, wie sie zu sein scheint.
    Habe den Mut sie zu sehen, wie sie sein könnte.

  • Was das Wort "durchgewichst" betrifft, kann man den Kindern ruhig erklären, was dieses Wort früher bedeutet hat. Für Eltern, die diese alte Bedeutung nicht kennen, oder für Kinder, die allein lesen, reicht da eine Fußnote.


    Bei diskriminierenden Bezeichnungen ist das schon schwieriger, finde ich. Klar, uns macht es nichts aus. Wir können einfach erklären: "Dieses Wort benutzt man heute aber nicht mehr, weil viele Menschen es als eine ganz schlimme Beleidigung empfinden." Aber was ist mit den Betroffenen? Können die ohne Bitterkeit sagen: "So hat man uns früher mal genannt, da war das ein ganz normales Wort, aber heute ist das eine schlimme Beleidigung, die wir nicht mehr hören wollen"? Irgendwie kann ich diese Einwände schon eher nachvollziehen.


    Ich habe über dieses Thema schon seit die ersten Artikel dazu aufkamen nachgedacht. Natürlich bereitet mir die Änderung solcher Klassiker Bauchschmerzen, aber ich kann auch die Menschen verstehen, die sich dadurch diskriminiert und beleidigt fühlen. Ich lese im Internet oft Argumente wie "Man kann mit den Kindern doch dann über dieses Thema diskutieren." Aber wer will aus der Vorlesezeit wirklich eine Unterrichsstunde über den Kolonialismus und die Geschichte des Rassismus machen? Womöglich gar für Kindergartenkinder oder Erst- bzw. Zweitklässler. Vielleicht unterschätze ich die Kleinen ja, aber ich glaube, dass sie damit überfordert sind. Sie wollen einfach nur eine spannende Geschichte hören, mehr interessiert sie in diesem Augenblick nicht.


    Soll man diese Ausdrücke vielleicht weiterhin ignorieren, sie als nicht so schlimm mitlesen und unter den Tisch fallen lassen, weil der Nachwuchs sie wahrscheinlich sowieso nicht übernimmt? Das löst das Problem für die meisten von uns. Aber was ist mit den Menschen mit Migrationshintergrund, die durch diese Ausdrücke nach heutigen Maßstäben verletzt werden? Kann man denen einfach so sagen: "Pfeif auf die Vergangenheit. Diese Wörter allein sind doch ganz harmlos."? Damit sind von der Seite der Betroffenen viele Gefühle und schlimme kollektive Erinnerungen verbunden. Und letztlich ist es vielleicht manchmal sinnvoll, darauf Rücksicht zu nehmen, auch wenn man im ersten Moment vor Bauchschmerzen fast umkommt. Der Sinn des Textes bleibt schließlich erhalten.


    Es sei denn, man streicht die Passagen wie im vorliegenden Fall ganz. Das finde ich auch nicht gut, denn es ist einfach nur das Gehen des einfachsten Weges und so weit muss man hier meiner Meinung nach auch nicht gehen. Statt zu streichen hätte man hier Wörter ändern und einen erklärenden Satz einfügen können, der den Kindern klarmacht, dass damit eben altmodische Trachten der einzelnen Völker gemeint sind. Das würde diesen Teil der Geschichte entschärfen und nichts ginge verloren.

    "Until something better than this world arrives, we'll lead rich fantasy lives" (Aus dem Lied "Rich Fantasy Lives" von Rob Balder)


    "A book is a device to ignite imagination" (Aus der Satire "The Uncommon Reader" von Alan Bennett)

  • Worte sind ja nicht von Natur aus böse oder unkorrekt, dazu werden sie erst durch eine unangemessene Benutzung.


    Insofern finde ich es bedenklich, wenn unsere heutige Probleme mit gewissen Ausdrücken zurückprojiziert werden auf frühere Zeiten, in denen diese negative Konnotation noch nicht mitgeschwungen hat, oder wenn dieser negative Subtext vielleicht sogar aus Gründen der Rollensprache o. ä. beabsichtgt ist und deshalb alte Texte "frisiert" werden sollen.


    Wir können doch nicht wirklich alle Klassiker umschreiben, nur weil uns das Gefühl für Sprachentwicklung und -wandel fehlt. :pale:


    Nicht Zensur, sondern mehr Bildung ist da der richtige Weg. Danke, K.-G., dass zumindest du dich darum bemühst.

    :study: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi

    2024 gelesen: 0 Bücher/0 Seiten


    Monats-Challenge 2024: 0/12


    "Lasse, Bosse und Ole saßen neben Fräulein Lundgrens Bücherregal und lasen die ganze Zeit,
    denn Jungen tun ja nie etwas Nützliches."
    (Lindgren, Astrid: Wir Kinder aus Bullerbü, S. 91)

  • Ich lehne das auch grundsätzlich ab - und versuche meinen Schülerinnen und Schülern genau diese Liebe zur Sprachentwicklung zu vermitteln. 8)

    Klingt, als wäre ich bei dir gerne in den Unterricht gegangen! :thumleft:


    Ich bin auch der Meinung, dass eine solche "Textsanierung" eine Rumpfuscherei am Werk ist. Es sollte doch klar sein, dass man jedes Werk im zeitlichen Kontext betrachten muss. Ja, ein Kind versteht das noch nicht, aber man kann doch einfach kurz erklären: "Pass auf, früher hießen manche Wörter etwas anderes als jetzt. Dieses und jenes Wort benutzen wir heute nicht mehr, wir sagen stattdessen [...]." Die genauen Hintergründe des Ganzen lernen die Kinder dann (hoffentlich) später. Wenn mir in einem Text ein Wort wie "Weib" oder von mir aus auch "Dirne" auffällt, bläh ich mich auch nicht vor lauter Empörung auf und fordere eine neue Version des Werks, aber dann gefälligst mit den Worten "Frau" oder "junges Mädchen" (nebenbei, "Dirndl" bedeutet "Kleidungsstück für junge Mädchen", müsste das auch angepasst werden? :-#).

    Gelesene Bücher 2011: 35 | 2012: 29 | 2013: 35 | 2014: 68, 2015: 52 | 2016: 66 | 2017: 53 (gehört: 05) | 2018: 43 (gehört: 06) | 2019: 17 (gehört: 3) | 2020: 07 (gehört: 03)

  • Nun, in dem Zusammenhang empfehle ich das hier. Bearbeite ich aktuell auch wieder mit meinen 11ern in Englisch. Also, in Kindergärten und Grundschulen kommt es immer wieder zu Streitigkeiten mit diskriminierenden Beschimpfungen. In der Mediation bleibt meistens nicht viel Zeit die Hintergründe dieser Beschimpfungen genau zu thematisieren. Dafür schlagen die Emotionen zuviele Wellen.


    Im Zusammenhang mit einer Lektüre - oder einer Vorleserunde - kann man das thematisieren. Man sollte dabei aber bedenken, dass es sehr altersabhängig ist, wie Kinder das aufnehmen. Ob es eine Vorkolonialiseirung des Geistes durch die Sprache gibt ist sehr umstritten.


    Das bisherige Umfrageergebnis auf der gleichen Seite finde ich übrigens interessant:


    Zitat


    Umfrage: Soll das Wort "Neger" aus Kinderbüchern gestrichen werden?


    Weil politisch nicht korrekt, soll in Otfried Preußlers Kinderbuch "Die kleine Hexe" das Wort "Neger" ersetzt werden. Finden Sie diese Vorgehensweise angemessen?
    7 % / 58 Stimmen "Ja! Diesen Rassismus darf man unseren Kinder nicht zumuten.
    93 % / 756 Stimmen Nein. Man kann literarische Texte nicht einfach ändern, sondern muss sie in ihrer Entstehungszeit betrachten. Notfalls muss man seinen Kindern dann eben etwas erklären.


    Ich selbst unterrichte im "sozialen Brennpunkt" mit extrem gemischter ethnischer Population. Ich habe keine entschärften Bücher und behandel auch keine entschärften Bücher im Unterricht. Auch keine "modernisierten" Fassungen. Die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler sind in der Regel positiv in den sich daraus ergebenden Diskussionen. Egal, in welcher Jahrgangsstufe. So lernen sie über die Wichtigkeit von Ausdrucksweisen, von Sprach- udn Mentalitätswandel und auch von den Grundlagen modernen Sprachgebrauchs - z.B. warum sich gerade die Hiphopper und Rapper gegenseitig immer als "Nigger" bezeichnen, obwohl das doch eigentlich diskriminierend ist. Und das interessiert schon. Das Wort "Neger" oder "Zigeuner" zu streichen in einem alten Text ist eine Verfälschung. Nehmen wir als Nächstes das Werk von Tom Sharpe und lassen das Wort "Kraut" streichen, weil sich die Deutschen da diskrimiert fühlen könnten? Zensieren wir "East is East", weil da ein pakistanischer Arbeitgeber seine indischen Angestellten als "Kuhverehrende Faulpelze" beschimpft? Sobald man nämlich an einer Stelle mit der Zensur anfängt stellt sich die Frage, wo man denn dann damit aufhört.

  • Das Wort "Neger" oder "Zigeuner" zu streichen in einem alten Text ist eine Verfälschung. Nehmen wir als Nächstes das Werk von Tom Sharpe und lassen das Wort "Kraut" streichen, weil sich die Deutschen da diskrimiert fühlen könnten? Zensieren wir "East is East", weil da ein pakistanischer Arbeitgeber seine indischen Angestellten als "Kuhverehrende Faulpelze" beschimpft? Sobald man nämlich an einer Stelle mit der Zensur anfängt stellt sich die Frage, wo man denn dann damit aufhört.

    Ich sehe das genau so. Da Sprache einem ständigen Wandel unterliegt, muss dann wohl auch zu gegebener Zeit wieder "nachkorrigiert" werden, weil heute politisch korrekte Begriffe in einigen Jahren schon wieder verpönt sein können. :-k
    Hierzu ein kurzer Abschnitt aus einem Artikel "Kleiner Formulierungs-Ratgeber für Journalisten" (Bundeszentrale für politische Bildung), der diesen ständigen Wandel verdeutlicht:


    Laut der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland", ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland) und weiteren Experten gibt es keine Farbigen. Der Begriff stammt aus der Kolonialzeit, in Deutschland hat er in den 50ern das als rassistisch erkannte Wort Neger ersetzt. Auch wenn "farbig" noch häufig in unaufgeklärten Medien verwendet wird sollte er auf jeden Fall vermieden werden, denn es geht ausschließlich um 'Menschen'. Gäbe es farbige Menschen würde es bedeuten, dass sie in der Regel "weiß" sind. Weiterhin besänftigt "farbig" die Tatsache, dass sie schwarz sind - als sei es nicht in Ordnung schwarz zu sein. Außerdem sagt farbig nichts weiter aus, als dass die Person nicht weiß ist. Auch sollte der Vergleich mit Lebensmitteln oder anderen Gegenständen gänzlichst vermieden werden. Gerade bei gewalttätigem Hintergrund ist es selbstverständlich dass "creme-", "cappuccino-" oder "ebenholzfarben" überhaupt nicht angebracht sind. Quelle


    Ich bin daher auch absolut gegen eine Zensur bzw. Änderung von literarischen Texten, nur weil sie nicht mehr der heutigen Zeit entsprechen. [-(


    El Novelero

  • Ich bin ebenfalls entschieden gegen eine Änderung klassischer Texte. Bei heutzutage ungebräuchlichen Wörtern (Schuhe wichsen) kann man in modernen Ausgaben Fußnoten oder hinten im Buch ein Glossar ergänzen, wie man es auch in guten historischen Romanen findet, die den Wortschatz vergangener Jahrhunderte erklären.
    Die Aufregung um das Wort "Neger" habe ich nie verstanden, das Wort kommt vom lateinischen "niger" und bedeutet "schwarz". Ich persönlich sehe keinen Unterschied, ob man von einem "Neger", einem "Schwarzen" oder einem "Farbigen" spricht.
    Abwertend ist für mich die Bezeichnung "Nigger", weil sich dann Assoziationen mit der Sklaverei in den Südstaaten Amerikas aufdrängen. Aber auch bei Gegenüberstellungen wie "Weiße" versus "Schwarze/Farbige" denke ich an Kolonialismus.
    Ich würde bei alten Büchern diese Bezeichnungen unverändert lassen und die Kinder gegebenenfalls darauf hinweisen, dass man heutzutage nicht mehr von "Negern" spricht.
    Wenn man anfängt, an klassischen Büchern herumzuzensieren, weiß ich nicht, wo das aufhören soll. Ich möchte keinen klassischen Roman lesen, in dem das Wort "Weib" durch "Ehefrau" ersetzt wird, da geht die ganze Authentizität verloren. Lieber sollten Deutschlehrer und Eltern die junge Generation auf den Sprach-, bzw.Bedeutungswandel bestimmter Wörter aufmerksam machen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ich sehe das ganz genauso wie ihr. Die klassischen literarischen Texte darf man nicht verhackstückeln. Sprache und Sprachgebrauch ändern sich nun mal, genau wie die Kleidermode. Was heute verpönt ist, oder politisch unkorrekt, geht übermorgen wieder in den normalen Sprachgebrauch über.


    Ich finde z.B. die Bezeichnung "Menschen mit Migrationshintergrund" eine sehr unschöne Betitelung. Genau wie "Menschen mit Behinderung". Das hat sich irgendjemand ausgedacht, damit sich die Personengruppen nicht diskriminiert fühlen sollen, wenn man über sie spricht? Ich finde, das Gegenteil ist der Fall. Warum muss man so überängstlich krampfhaft politisch korrekte Ersatzausdrücke erfinden, anstatt einfach individuell die Leute zu fragen, wie sie gerne oder wie sie nicht bezeichnet werden wollen? Die Gesellschaft macht es sich unnötig kompliziert, finde ich. #-o

    “Bücher sind Feunde, die stets für uns Zeit haben.“
    “Und Phantasie, Phantasie vor allem, ohne deren Hilfe sich keine Probleme lösen lassen, die kleinen nicht und die großen erst recht nicht.“

    Otfried Preußler 20.10.1923 - 18.2.2013

  • Auch ich bin entschieden gegen eine Überarbeitung alter Texte. Mal ganz davon abgesehen, dass man meiner Meinung nach gegen Urheberrechte verstößt, wenn man Texte verändert, frage ich mich allen Ernstes, wie das funktionieren sollte. Man kann doch bestimmte Bezeichnungen nicht einfach durch Worte ersetzen, die zur Entstehungszeit der Romane nicht in Gebrauch, ja vielleicht noch nicht einmal bekannt waren. :scratch:

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Schönes Thema, und ich bin zudem hocherfreut, dass alle Teilnehmer an dieser Diskussion eine sehr fundierte und vernünftige Meinung vertreten - Gott sei Dank, es ist wohl nicht alles verloren in dieser Welt. ;)


    Ich sehe es im Prinzip ganz genauso wie mein lieber Kollege K.-G. - Sprache ist immer ein Prozess und deshalb permanent in der Entwicklung begriffen. Deshalb ist es, meiner Meinung nach, ein Verbrechen, in diese Entwicklung nachträglich einzugreifen, zumal in einer Zeit, in der die kulturelle Identität des Deutschen sehr an Konturschärfe verloren hat (Stichwort "Denglisch").


    Richtig ist auch, dass Sprache immer auch ein Spiegel der Zeit und der Gesellschaft ist. Oder warum ist unsere Sprache heute so durchsetzt mit Anglizismen und Fachtermini aus dem Bereich der EDV? Analog dazu kann man anhand der Sprache Blytons, Preußlers etc. immer auch eine historische Dimension anknüpfen. Aber ich möchte mich ungern zu sehr auf den Bereich Schule und Unterricht einschießen, denn ich habe auch ganz persönliche Gründe, gegen eine solche Verunstaltung literarischer Texte zu argumentieren.


    Zunächst einmal ganz pragmatisch nachgefragt: Wenn "Neger" und "Zigeuner" nicht mehr länger vertretbare Begriffe sind, durch was ersetzen wir sie dann in Zeiten der politischen Überkorrektheit? "Extrempigmentierter" und "Rotationseuropäer"? Laufen wir - Achtung, Polemik! - nicht Gefahr, dass sich diejenigen Roma-Gruppierungen diskriminiert fühlen könnten, die sich nicht als Europäer verstanden wissen wollen?


    Ich habe zudem nie ganz verstanden, warum man alles Böse, das gewissen ethnischen Gruppen angetan wurde, plötzlich auf einen Begriff reduziert wird. Verbieten wir ab sofort das Wort "Neger", und schon ist alles vergessen, was bis vor wenigen Jahrzehnten in den USA den farbigen Bürgern angetan wurde. Ich halte das für blindwütigen Aktionismus, nach dem Motto: "Wir tun ja was!"


    Weder Blyton noch Preußler verbreiten in ihren Werken irgendwelches rassistisches Gedankengut, sie verwenden nur den zu ihrer Zeit gängigen Begriff. Und ich denke mit Grausen an "Der Herr der Ringe", in dem in der (völlig überflüssigen, wie ich finde) Neu-Übersetzung Sam seinen Herrn Frodo mit "Boss" anspricht. Und an dieser Stelle beißt sich die Katze doch in den Schwanz: Wenn wir denn so überkorrekt sein wollen, wie, bitteschön, kann man dann dem etwas einfältigen, aber kreuzbraven Arbeiter Sam das Wort "Boss" in den Mund legen bzw. schreiben? Bin ich der Einzige, der hier eine überdeutliche Konnotation mit einem Schwarzen mit Strohhut sieht?


    Das Sprachgefühl, besonders das intuitive Wissen um unterschiedliche Sprachebenen, geht ohnehin immer mehr verloren, und wir Lehrer kämpfen verbissen gegen die Abstumpfung an. Mit meiner 8. Klasse las ich zuletzt Kellers "Kleider machen Leute", und es wurde allenthalben gemault, wie schwer der Text doch zu verstehen sei. "Komisches Deutsch", hieß es. Das darf einfach nicht so weiter gehen, und es ist der falsche Weg, Texte immer weiter zu vereinfachen und sie somit ihres ursprünglichen Zaubers zu berauben.

  • Es hat immer und wird immer wieder Worte geben, die nicht zum Sprachgebrauch der heranwachsenden Generation gehören. Umso wichtiger, dass sie wenigstens in Büchern erhalten bleiben und den Kindern so ein Gefühl für die Sprache vor ihrer Zeit ermöglichen. Mein Vater hat mir ja auch mal erklären müssen, was ein "Gevatter" - Grimms Märchen - ist. Vor allem: Wo würde diese Streichung in ihrer letzten Konsequenz hinführen? Kommen Bücher wie "Emil und die Detektive" dann vom Markt, weil sie den Kindern der Handygeneration nicht mehr vorstellbar sind? Und die "Muhme"? Eine Diskriminierung alter Frauen?


    Anders sieht es aus mit Wörtern, die beleidigend wirken können. Gerade diese Wörter sind einem Bedeutungswandel unterworfen; einen Homosexuellen "schwul" zu nennen war vor nicht allzu langer Zeit eine große Beleidigung, bis die Betroffenen sich selbst dieses Wort zu eigen machten. Ähnliches geschieht in Amerika mit dem Wort "Nigger" (das man auch schon aus Mark Twains Romanen gestrichen hatte).


    Hier findet man eine Liste mit vielen "bösen" Wörtern.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Mich schockiert diese Entwicklung ebenfalls, und meine Meinung dazu ist von Marie sehr treffend wiedergegeben.

    Es hat immer und wird immer wieder Worte geben, die nicht zum Sprachgebrauch der heranwachsenden Generation gehören. Umso wichtiger, dass sie wenigstens in Büchern erhalten bleiben und den Kindern so ein Gefühl für die Sprache vor ihrer Zeit ermöglichen.


    Ich finde es besonders schade, dass Wörter wie "Einwichsen" in der heutigen Zeit ausschließlich sexuell besetzt werden. Der Ursprung des Wortes "Wichsen" bedeutet "Reiben", und da man sowohl Gegenstände als auch Körperteile (ein)reiben kann, finde ich diese Zensur armselig und spießig.

    Ich habe zudem nie ganz verstanden, warum man alles Böse, das gewissen ethnischen Gruppen angetan wurde, plötzlich auf einen Begriff reduziert wird. Verbieten wir ab sofort das Wort "Neger", und schon ist alles vergessen, was bis vor wenigen Jahrzehnten in den USA den farbigen Bürgern angetan wurde. Ich halte das für blindwütigen Aktionismus, nach dem Motto: "Wir tun ja was!"


    Darf man dann auch die Bezeichnung "Jude" nicht mehr in den Mund nehmen? Was sind denn Juden oder Roma und Sinti, wenn diese Wörter verboten werden, abgesehen davon, dass sich in Deutschland bei dem Wort tatsächlich ein gewisses Unbehagen einschleicht, das mir zeigt, dass viele es (unbewusst) immer noch als eine Art Beschimpfung verstehen? Viele Schwarze sehen sich übrigens diskriminiert, wenn man sie als "Farbige" bezeichnet. "Afro-Amerikaner" wird ebenfalls mit wenig Beifall aufgenommen. Wie Marie schon schrieb, stößt das Wort "Nigger" mittlerweile auf allgemein größere Toleranz unter ihnen, wobei Schwarze(r) tatsächlich die politisch korrekte Bezeichnung ist.


    Ich muss sagen, dass mir diese Gutmenschelei, die jetzt auch vor Klassikern der Literatur nicht halt macht, ordentlich auf den Senkel geht, denn man sollte Menschen/Dinge beim Namen nennen, und nicht Wortakrobatik betreiben, um ja keinem auf den Zeh zu treten.


    Zunächst einmal ganz pragmatisch nachgefragt: Wenn "Neger" und "Zigeuner" nicht mehr länger vertretbare Begriffe sind, durch was ersetzen wir sie dann in Zeiten der politischen Überkorrektheit? "Extrempigmentierter" und "Rotationseuropäer"?

    Danke dafür! Ich musste grinsen! :loool:

  • Ich kann mich Euch allen nur anschließen - besser ausdrücken kann ich es nicht, es ist bereits alles gesagt worden, was mir so durch den Kopf geschossen ist ...

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich bin eigentlich auch der Meinung, dass Bücher nicht dem (Sprach-)Wandel der Zeit unterliegen (sollten), bin aber zufällig auf einen Text gestoßen, der die Gegenposition vertritt - zwar nicht ausführlich genug um mich zu überzeugen, aber durchaus mit interessanten Argumenten: http://www.scilogs.de/chrono/b…1-14/editorische-leistung

    Mein Blog



    Die Worte waren bereits zu ihr unterwegs, und als sie ankamen, hielt Liesel sie wie Wolken in den Händen und wrang sie aus bis auf den letzten Tropfen.
    (M.Zusak, Die Bücherdiebin)



    „Es kommt auch darauf an, wie wir [die Welt] verstehen, oder nicht? Und wenn wir sie verstehen, fügen wir doch auch etwas hinzu, oder nicht? Und wenn das so ist, ist dann nicht das ganze Leben eine Geschichte?"
    (Y.Martel, Schiffbruch mit Tiger)

  • Ich finde das Ganze auch ehrlich gesagt lächerlich. Als Kind war meine liebste Geschichte "10 kleine Negerlein" und ich bin zu einer sehr liberalen jungen Frau herangewachsen. Es hat mir rein gar nichts geschadet. Meine Mama wollte mal wissen, wieso mir die Sache mit dem Brei nicht passieren kann. Ich hab im Brustton der Überzeugung hervorgestoßen, dass das nicht geht, weil ich ja ein Mensch bin. Ich war damals so 3 oder 4 Jahre alt. Meine Mama hat erstmal blöd geschaut, hat dann lachen müssen und mich aufgeklärt, dass das auch Menschen sind. Sie wollte eigentlich nur hören, dass ich keinen Brei mag :lol: .
    Deswegen bin ich aber auch nicht hergegangen und hab die einzige schwarze Familie in der Umgebung als "Neger" bezeichnet. Ganz im Gegenteil, ich hab meine Oma im Alter von 7 oder 8 Jahren belehrt, dass das ein schlimmes Wort ist und das man das nicht sagen darf.
    Im College in England haben wir mal über politisch korrekte Begriffe geredet. Heraus kam, dass man "blackboard" nicht mehr sagen darf, weil das rassistisch ist. Meine schwarze beste Freundin fand das zum Schreien komisch und wir haben beschlossen, dass dann der Begriff "whiteboard" mindestens genau so rassistisch ist. Oder der Begriff "Mohr im Hemd", der jetzt auch von den Speisekarten verschwinden soll, weil "Mohr" nicht politisch korrekt ist :roll: . Was ist denn dann mit "Besoffener Kapuziner" und ähnlichen Sachen? Ist das dann auch diskriminierend?
    Und irgendwelche veraltete Begriffe durch neue zu ersetzen ist ja wohl ein Witz. Sprache wandelt sich und wenn ich jetzt in einem historischen Roman "Weib" lese, find ich das völlig in Ordnung. Außerdem gibt es ja auch das genaue Gegenteil: Meine Generation in meiner Gegend sagt zu jungen Männern oft "Hawara". Meine Mama wurde früher immer von ihrer Mama geschimpft, weil das ein Schimpfwort für Männer, die vom Geld der Frau leben, war. Heute ist das ganz normal.
    Wenn man schon "veraltete" Werke unbedingt überarbeiten muss, dann doch bitte einfach eine Fußnote oder ein Glossar einfügen und die Begriffe erklären. Problem erledigt. Man kann alles übertreiben :roll: .

    "If you have never said "Excuse me" to a parking meter or bashed your shins on a fireplug, you are probably wasting too much valuable reading time."

    (Sherri Chasin Calvo)


    “I am not eccentric. It's just that I am more alive than most people. I am an unpopular electric eel set in a pond of catfish.” (Edith Sitwell)