Friedrich Ani, Süden und das heimliche Leben

  • Von 1998 bis 2005 hatte der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani in 14 Büchern seinen Kriminalkommissar Tabor Süden mit seinem Team bei der Münchner Kripo Morde aufklären und schwerpunktmäßig nach vermissten Menschen suchen lassen. Obwohl diese Bücher niemals die Auflagen erzielten, wie etwa die vieler skandinavischer Krimireihen, wurden sie regelmäßig von der Literaturkritik hoch gelobt, die seit den Romanen von Sjöwahl/Wahlhöö von einem Krimiautor nicht mehr so begeistert war.


    Und das lag an der Perspektive von Friedrich Ani, an der Weise, wie er selbst und mit ihm seine Hauptfigur Tabor Süden die Welt und die Menschen betrachtet, wahrnimmt, erleidet, spürt und nicht selten regelrecht "liest."


    Mit dem Roman "Süden und der Mann im langen, schwarzen Mantel" war dann für Tabor Süden Schluss. Er hängte den Polizistenberuf an den Nagel und wollte etwas ganz anderes machen. Ob Friedrich Ani damals schon daran dachte, ihn irgendwann nach einigen Jahren wieder zurückzuholen, wie er es zunächst 2011 und nun mit dem hier vorliegenden Roman tut, glaube ich weniger. Zunächst erfand er mit dem ehemaligen Priester Polonius Fischer einen Ermittler im Münchner Dezernat 11, der in leider nur drei Bänden seine Ermittlungstätigkeit nicht nur verband mit tiefen philosophischen und theologischen Reflexionen auch über sein eigenes bewegtes Leben, sondern auch ein ähnliches Faible entwickelte wie Tabor Süden für die Outlaws, die Unsichtbaren und unsichtbar gemachten Menschen in einer Gesellschaft, die ihr unteres Segment aufgegeben hat.


    Fast zeitgleich entwickelte er bei DTV eine Reihe von kurzen Krimis um den "Seher", den bei einem Einsatz erblindeten Kommissar Jonas Vogel und seinen ebenfalls bei der Münchner Kripo arbeitenden Sohn.


    Allen drei Polizistenfiguren von Friedrich Ani hat er seine eigenen Fähigkeiten und Vorlieben angedichtet. Sie sehen die Menschen, dort, wo anderen blind sind, sie lieben, jeder auf seine Weise, die Menschen, auch wenn die anderen und sie sich selbst längst aufgegeben haben. Und sie suchen nach dem, was dahinter ist, was verschwunden ist, sie fühlen und lesen "die leeren Zimmer."


    Nun ist Tabor Süden schon mit einem zweiten Band zurück. All die Jahre war er in Köln, hat dort als Kellner gearbeitet, als ihn im letzten Buch ein Anruf aus München dorthin regelrecht zurückzwingt. Sein Vater, der vor 35 Jahren einfach verschwand und damit eine noch immer schmerzende Wunde in Süden zurückließ, hat sich gemeldet. Weil er, ihn suchend, sich in München von irgendetwas ernähren muss - Süden ist ein armer Mann geblieben-, heuert er bei einer Detektei an, die er aus seiner Zeit als Kommissar kennt und bekommt einen Fall eines Mannes, der seit zwei Jahren verschwunden ist.


    Ganz ähnlich beginnt auch der neue hier vorliegende Roman „Süden und das heimliche Leben“, in dem er von einer Stammtischrunde einer Kneipe und dem Wirt beauftragt wird, nach der seit Tagen verschwundenen Bedienung Ilka zu suchen. Und weil er wie immer vom Auftraggeber nur die Informationen bekommt, die ihn eher von einer Lösung wegführen (vgl. Sara Gran, Die Stadt der Toten und die Maxime ihrer Ermittlerin Claire de Witt: „Der Auftraggeber kennt die Lösung des Rätsels bereits. Aber er sträubt sich dagegen. Er beauftragt den Detektiv nicht, um das Rätsel zu lösen. Er beauftragt ihn, um sich bestätigen zu lassen, dass es keine Lösung gibt.“) begibt er sich, wie früher auch schon, auf die Spuren der Vermissten, redet mit vielen Menschen, liest zwischen den Zeilen, hört das, was verschwiegen wird, und wird irgendwann selbst zu dem Verschwundenen, lernt so zu denken und zu fühlen wir er.


    Süden kommt auf das Geheimnis von Ilka und muss erleben, dass sie fast alles bereit ist zu tun, damit es gewahrt bleibt.


    In einer Zeitungsrezension war einmal über Anis Bücher folgender Satz zu lesen: "Wer Anis Geschichten liest, lernt anders denken".
    Das trifft auch und erst recht auf das neue Buch zu. Aber ich möchte ergänzen: er lernt auch anders mitfühlen und anders über Menschen urteilen, die die Gesellschaft längst abgeschrieben hat, die lebendig tot sind, und schon lange, bevor sie abtauchen, längst in sich selbst verschwunden sind, in "leeren Zimmern" leben.


    Es ist gut, dass Ani Tabor Süden "weiterleben" lässt, und vielleicht auch irgendwann lieben. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn er irgendwann auch Polonius Fischer reaktivieren würde.