Theodor Lessing - Haarmann, die Geschichte eines Werwolfs

  • Der Autor


    Theodor Lessing (1872-1933), Kulturkritiker, Philosoph und Psychologe,war, als er den Haarmannprozeß beobachtete und seine Artikelserie schrieb, Professor an der Hannoverschen Universität.
    Seine Berichterstattung führte nicht nur zum Ausschluß aus dem Gerichtssaal, sie trug ihm auch ein Disziplinarverfahren ein: Haarmann-Buch und ein Artikel gegen Hindenburg (1925) boten endlich Handhabe gegen den unbequemen Professor.
    1933 wurde Leesing von Nationalsozialisten in seinem Marienbader Exil ermordet.


    Inhaltsangabe


    Von Schlachthöfen und Schlachthöfen - Einleitung von Herausgeber Rainer Marwedel


    Haarmann
    - Ein Kriminalfall
    - Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs
    - Schlußwort über Haarmann und Grans


    Leerlauf des Willens - Gerichtsreportagen und Essays
    - Die Mordsache Hagedorn
    - Kindertragödie
    - Die Schüler und ihre Lehrer
    - Halsmann: Die Tragödie der Jugend
    - Die Krankenschwester Flessa
    - Nach dem Urteil
    - Revolte im Zuchthaus


    - Karl Magnus Hirschfeld zum 60. Geburtstag
    - §297: Gewerbsmäßige Unzucht. Antwort auf eine Rundfrage
    - Epochen der Schuld


    Editorischer Bericht
    Anmerkungen zur Einleitung
    Erläuterung zu den Texten
    Bildnachweise


    Meine Meinung


    Wer sich für Kriminalgeschichte interessiert kommt an diesem, wenn auch schon älteren, aber ausgezeichneten Buch einfach nicht vorbei.
    Leesing schildert nicht nur Familie und soziales Umfeld, in welchem der junge Haarmann aufwuchs, sondern vermittelt auch die hohle Schablone der Wohlanständigkeit, hinter welcher nicht alles so wohlanständig war: Haarmann ist schon vor dem 1.Weltkrieg kriminell.
    Nach dem 1.Weltkrieg herrscht Lebensgier, ein schwüle Treibhausatmosphäre, in der allerlei gedeiht. In der alten Altstadt von Hannover, das damals noch den Charakter eines heruntergekommenen Venedig hatte, alte Häuser, in denen dichtgedrängt Menschen wohnen, dazwischen die Leine, wird Ware verschoben, gestohlen, blüht der Straßenstrich: das Cafe Kröpcke ist eine bekannter Treffpunkt von Schwulen und Lesben.
    Dazwischen: Haarmann, der nicht nur mit günstiger Kleidung handelt, sondern bei dem auch Fleisch billig zu erwerben ist. Wer wollte, in diesen notigen Zeiten, schon genau hinsehen?
    Von Haarmann ist zwar bekannt, dass er Unzucht treibt, aber seine freundliche Art wird geschätzt und außerdem, wie respekteinflößend, ist er "Kriminaler" (dabei war er nur Polizeispitzel, was ihm aber den Aufenthalt in den Wartesälen des Bahnhofs ermöglichte; dort fand er auch die meisten seiner Opfer).
    Mit Erschütterung leist man die Liste seiner Opfer, alles junge Männeer, zum Teil fast noch Kinder, und man wird den Eindruck einfach nicht los, dass Habgier bei den Taten auch eine Rolle spielt.
    Interessant auch die Reportage aus dem Gerichtssaal und man fragt sich unwillkürlich, ob Haarmann der Polizei, obwohl er als dumm galt, nicht in über weite Strecken überlegen war.


    Die anderen Fälle und Essays gewähren Einblick in eine unruhige Zeit, in der alles im Umbruch war.

    Komm zu mir in der Stille der Nacht; komm zu mir in der beredten Stille eines Traums.


    Christina Rosetti, Echo