Original ; Französisch, 2011
INHALT :
In ihrem neuen Buch hat sich Delphine de Vigan entschieden, einen Teil ihrer Familiengeschichte nachzuerzählen. Es geht um ihre Mutter Lucile, einer attraktiven Frau, deren Leben bis zu ihrem Selbstmord als 61-Jährige im Mittelpunkt steht. Ihre bipolare Erkrankung (hier hatte ich dazu mal ein Sachbuch vorgestellt: Kay Redfield Jamison - Meine ruhelose Seele. Die Geschichte einer manischen Depression. ) führen sie in Zeiten tiefster Angst, Einweisungen in Krankenhäuser. Verbunden damit eine Serie an intrafamiliären Dramen: Tod eines Kindes, Inzest, Selbstmorde...
BEMERKUNGEN :
Das Buch ist gegliedert in drei große Teile, die - grob gesehen - die aufeinander folgenden Lebensabschnitte von Lucile nachgehen : ihr Aufwachsen in einer neunköpfigen Großfamilie mit teils ausführlichen Beschreibungen der verschiedenen Charaktere (Eltern, Geschwister) ; die frühzeitige Heirat mit zwei Töchtern (eine also die Autorin selbst) und das Auftauchen der bipolaren Erkrankung ; verschiedene Einweisungen, das Leben als Großmutter und Sozialarbeiterin, das Schwanken zwischen Tief und Hoch bis zum Selbstmord im Januar 2008.
Es handelt sich also eindeutig um ein Buch mit starker (auto-)biographischer Färbung. Dabei ist es der Autorin bewußt, dass manches im Dunklen bleibt und bleiben wird. Dann beginnt sie anhand des Gewußten auszuarbeiten, fortzuführen. Selbst in sich objektiver Notizen, Dokumente, Fakten, Tagebücher, Photos etc. zu ordnen ist schon eine Wahl, eine Interpretation. Letztlich wird das Buch dann in der französischen Fassung sogar als Roman geführt.
De Vigan schiebt immer wieder Reflexionen über den Stand des eigenen Schreibens ein. Vielleicht wird sie auch bewegt von einer Art Rechtfertigung, warum sie so offen über ihre Mutter und auch so manche Familiendramen schreibt. Zwei Jahre nach dem Tode ihrer Mutter geht es ihr wohl darum aufzuzeigen, was wohl die Ursprünge und das Wesen des Leidens von Lucile waren, die sie zum Akt des Selbstmordes führten. Dabei mag man gleichzeitig die Unzahl familiärer Dramen als auch dann ihre bipolare Erkrankung ausmachen.
Zur gleichen Zeit geht es ihr um eine Hommage an ihre Mutter.
Sie spricht dabei von allen Hauptpersonen mit ihren Vornamen, auch von ihrer Mutter oder auch den Großeltern. Dies mag merkwürdig erscheinen.
Trotz über vierhundert Seiten bleibt (natürlich!) der Anteil an Dunkelheit und Rätsel. Letztlich entdeckt man auch im bekannten Menschen jemanden, den man eben nicht zur Gänze kennt.
Das Buch wühlt auf, und steht auch innerhalb der Familie nicht undiskutiert da (darf man alles sagen?). Auch ich schwanke, ob man so weit von teils noch lebenden Menschen reden und schreiben kann. Nun, dies ist die Wahl der stark autobiographisch schreibenden Schriftstellerin.
Bei manchen dann recht knappen Urteilen am Ende des Buches als auch dem Titel (Nichts widersetzt sich der Nacht) bleibe ich skeptisch : ist die Geschichte Luciles (und die vieler Selbstmörder) tatsächlich eine fast fatalistische ohne die Möglichkeit, das Leid anders umzubiegen ? Dies mag das eigene Schuldgefühl etwas mindern und entspricht auch tatsächlich der Erfahrung von ua depressiv veranlagten Menschen, dass jeder Aufruf zur Initiative und zur Lebenslust als deplaziert und Zumutung erscheinen (müssen). Dennoch müssen wir uns fragen, wie wir doch manche aussichtslose Situationen angehen und gar umschmieden können.
Ein aufwühlendes Buch, das wohl viele Leser finden wird !
DIE AUTORIN :
Delphine de Vigan (* 1966 in Boulogne-Billancourt/Paris) ist eine französische Schriftstellerin.
Delphine de Vigan ist Mutter eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit ihren beiden Kindern in Paris. Während sie tagsüber in einem soziologischen Forschungsinstitut arbeitet und ihre Mutterrolle erfüllt, schreibt sie spät abends und nachts ihre Manuskripte.
Delphine de Vigan hat bisher sechs Romane veröffentlicht, den ersten - Jours sans faim - jedoch unter dem Pseudonym Lou Delvig. Für ihren 2006 veröffentlichten dritten Roman Un soir de décembre erhielt sie den Literaturpreis Saint-Valentin. Ihren endgültigen Durchbruch als Autorin erreichte sie mit ihrem Roman No et moi, in dem sie das Leben einer jungen Obdachlosen aus Sicht eines dreizehnjährigen Mädchens schildert. Der Roman wurde mit dem Prix des Libraires 2008 und dem Prix Rotary International 2008 ausgezeichnet. Der hier vorgestellte Roman erhielt verschiedene Preise, u.a. Den der « Lectrices d'ELLE ». (Quelle und mehr unter : http://fr.wikipedia.org/wiki/Delphine_de_Vigan )
Von Delphine de Vigan wurden im BT schon Bücher vorgestellt :
http://www.buechertreff.de/rez…%20de%20Vigan-index1.html
Broché: 440 pages
Editeur : JC Lattès (17 août 2011)
Collection : Littérature française
Langue : Français
ISBN-10: 2709635798
ISBN-13: 978-2709635790