Leon Morell: Der sixtinische Himmel

  • Es gibt hier bereits eine Rezension zum Hörbuch, aber dieses Buch verdient es, auch im Bücherbereich vorgestellt zu werden.


    Inhaltsangabe (Klappentext)


    Der große historische Roman über den bedeutendsten Künstler der Renaissance: Michelangelo.
    Italien, Anfang des 16. Jahrhunderts. Der junge Aurelio kommt nach Rom, um dort
    beim größten Bildhauer seiner Zeit in die Lehre zu gehen: Michelangelo
    Buonarroti. Gerade hat der Papst diesen gegen seinen Willen mit einem
    Deckenfresko für die Sixtinische Kapelle beauftragt. Missmutig macht
    sich der Künstler ans Werk. Nachts jedoch erschafft er aus weißem Marmor
    das Bildnis der Frau, die keiner jemals sehen darf: die Kurtisane des
    Papstes. Aurelio verliebt sich unsterblich in die geheimnisvolle Schöne.
    Doch seine Liebe wird nicht nur ihm zum Verhängnis.


    Autoreninfo (Klappentext)


    Leon Morell ist ein Künstlername. Der 1967 geborene Autor zahlreicher
    Romane und Sachbücher studierte Musik- und Literaturwissenschaften.
    Seine große Begeisterung für Italien und die Kunst der Renaissance
    inspirierte ihn zu diesem Roman, an dem er ebenso lange gearbeitet hat
    wie Michelangelo an den Fresken der Sixtinischen Kapelle. Heute lebt der
    Vater von drei Kindern in Berlin.




    Eigene Beurteilung


    Aufbau : Der gesamte Roman verteilt sich auf einen Prolog (1495), sieben große Hauptteile, die ihrerseits in 64 Kapitel untergliedert sind und die Jahre 1508 bis 1512 abdecken, sowie einen Epilog, der über das weitere Schicksal Aurelios informiert.


    Inhalt: Auf den ersten Blick scheint der junge Bauernsohn Aurelio aus Forli die Hauptfigur des Romans zu sein. Er hat als Kind ( Prolog) in einer Kirche einen von Michelangelo gemeißelten Engel gesehen und träumt seitdem davon, zu diesem berühmten Bildhauer in die Lehre zu gehen und selbst solche Kunstwerke schaffen zu können. Nachdem Söldner seine Mutter ermordet und Aurelios Heim ausgeplündert haben, begibt er sich 1508 zu Fuß nach Rom. Unterwegs begegnet er der vor ihrem brutalen Ehemann geflohenen Margherita, die sich in Rom als Kurtisane verdingen will und mit der ihn über Jahre eine lose Freundschaft verbinden wird.
    Es gelingt Aurelio, bei Michelangelo als Gehilfe angenommen zu werden, obwohl ihm das große künstlerische Talent fehlt. Dies verdankt er vor allem zwei Umständen: Erstens hat Papst Julius Michelangelo gezwungen, die Sixtinische Kapelle mit einem riesigen Deckenfresko zu bestücken. Obwohl der Künstler sehr unwillig ist und sich als Bildhauer, nicht als Maler, sieht, kann er den Auftrag nicht verweigern und braucht deshalb zahllose Helfer. Der zweite Grund für Aurelios Einstellung liegt in dessen Schönheit und Eignung zur Muse des Künstlers. Michelangelo ist homosexuell, lebt seine Neigung aber nicht aus. Nur in seiner Kunst kann er seiner Obsession für schöne, muskulöse Männerkörper nachgehen. Aurelio steht ihm immer wieder Modell und wird so zum Vorbild für zahlreiche im Fresko verewigte Männergestalten.
    Im Mittelpunkt dieses Romans steht ganz eindeutig der Mensch und Künstler Michelangelo, ein wortkarger, nicht eben sehr sozialer Mann, der einen sehr schwierigen Charakter hat. Er kämpft mit vielen Problemen gleichzeitig: neben seiner unerfüllten Sehnsucht nach der Liebe Aurelios und seiner großen Angst, dem Auftrag des Freskos nicht gerecht werden zu können und dem Vergleich mit dem berühmten und vom Papst sehr geschätzten Raffael nicht standhalten zu können, quälen ihn auch seine habsüchtigen Brüder und sein Vater, die immer wieder Geld von ihm fordern und dann ihre Geschäfte - sofern sie sich überhaupt dazu aufraffen können - in den Sand setzen.
    Die Figur des Michelangelo ist hervorragend herausgearbeitet. Ebenso plastisch ist die Darstellung der über vier Jahre andauernden Entstehung der Fresken in der Sixtinischen Kapelle, im Inneren des Buchumschlags kann man dieses beeindruckende Werk bewundern. Auch Papst Julius, ein aggressiver und kriegerischer Mann, der seine Untergebenen gern mit seinem gefürchteten Stock zur Räson bringt, wird sehr lebensecht präsentiert.
    Ebenso fiktiv wie Aurelio ist auch die Figur der "Aphrodite", der vom Papst angebeteten und hermetisch abgeschirmten Kurtisane. Sie will von Michelangelo als Marmorfigur unsterblich gemacht werden. Für Michelangelo bedeutet die nächtliche heimliche Arbeit an der Statue die wahre Erfüllung, an Aphrodite, die ihn begehrt, ist er jedoch nur als Modell interessiert. Aurelio dagegen, der heimlich die Zusammentreffen von Michelangelo und seinem Modell verfolgt hat, verzehrt sich nach der schönen Aphrodite.
    Trotz dieser "misslungenen" Dreiecksbeziehung ist die Liebesgeschichte in "Der sixtinische Himmel" nicht kitschig, geht jedoch im Falle von Michelangelos unerwiderter Neigung zu Aurelio sehr zu Herzen.
    Das Hauptaugenmerk liegt aber auf Michelangelos Kunst. Es werden im Zusammenhang mit der Arbeit am Fresko viele italienische Fachausdrücke genannt, die im Text erklärt werden. Dennoch hätte ich mir noch ein Glossar zum wiederholten Nachschlagen gewünscht. Auch ein Personenverzeichnis anderer im Roman auftretender zeitgenössischer Künstler hätte ich begrüßt.
    Von diesem Kritikpunkt abgesehen, kann ich diesen Roman nur jedem historisch und Kunstinteressenten wärmstens empfehlen. Das Buch vermittelt einen äußerst lebendigen Einblick in das Schaffen der Bildhauer und Freskanten sowie in das Leben im Rom des 16.Jahrhunderts mit all seinen schönen (Kunst, Kultur) und auch ekligen (hygienische Missstände, Armut, Seuchen) Facetten.
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    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

    2 Mal editiert, zuletzt von €nigma ()

  • Das könnte ein Buch für mich sein... momentan weile ich gedanklich fast ununterbrochen im Italien der Renaissance.

    Mehr Stoff vom Stoff gibts auf www.stoffworks.com


    "Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bilde etwas, was in uns selber sitzt.
    Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf."
    (Hermann Hesse: Demian)

  • Das könnte ein Buch für mich sein...


    Dann könnte das nicht ein Buch für Dich sein, sondern es ist ein Buch für Dich! :wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Man hat das Gefühl, Michelangelo persönlich zu kennen, wenn man den Roman gelesen hat. Vergleicht man Morells Fiktion mit den Sachbüchern über den Künstler, so hat er ihn wohl ziemlich genau getroffen: Sein grüblerisches Wesen, seine Misanthropie, seine Homosexualität und seine permanente Eifersucht auf Raffael oder Bramante.
    Dass der Autor die Geschichte der Entstehung der sixtinischen Deckenmalerei aus der Sicht eines Jungen, eines fiktiven Helfers erzählt, erweist sich als guter Schachzug: So nah, dass er das Ringen des Malers um seine Ideen erlebt, gleichzeitig aber in Distanz.
    Wie in fast jedem historischen Roman erfindet auch hier der Autor eine Nebengeschichte. Aus Gründen der Spannung wird sie gebraucht. Dennoch hätte ich mir einen Anhang gewünscht, in dem Morell die historischen und die fiktiven Personen / Ereignisse auflistet.


    Sehr deutlich wird, wie sehr ein Künstler in dieser Zeit von seinem Auftraggeber abhängig war; nicht nur, was die Bezahlung angeht, sondern auch die Wahl der Motive und deren Ausgestaltung. Das gilt sowohl für die kirchlichen als auch für die weltlichen Fürsten.


    Im Buch wird nur die Zeit von 1508 bis 1512 behandelt, in der Michelangelo das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle schuf. Von 1536 bis 1541 malte er das Jüngste Gericht als Altarfresko.


    Kurz vor Michelangelos Tod ließ die römische Kurie sämtliche Geschlechtsteile durch Kleider, Tücher u.ä. übermalen. Leider konnte der Ursprung auch bei der umfangreichen Renovierung in den 1980/1990ern nicht wieder hergestellt werden, weil die nackte Haut nicht nur übermalt, sondern abgeschlagen worden war. :shock:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich bin gerade dabei, es zu lesen und bin total begeistert! Es stimmt, man lernt Michelangelo kennen und lieben, und das Buch war auch der Auslöser dafür, dass ich unsere Kunstbände mal wieder zur Hand genommen habe, um mehr über den Bildhauer zu erfahren. Obwohl ich kein Kenner oder Fan der italienischen Renaissance bin, hat die Erzählung etwas so Plastisches und Wunderbares, dass sie in mir den Wunsch geweckt hat, mir endlich mal die Sixtinische Kapelle anzusehen, die ich bisher nicht wirklich als Meisterwerk betrachtet habe. Mit all den historischen Hintergrundinformationen im Roman hat sich das geändert.


    Der neutrale und auktoriale Erzählstil hat mich anfangs etwas irririert, und trotzdem hätte der Autor wohl keinen besseren wählen können. Auf diese Weise kommen dem Leser selbst die Nebencharaktere nah, auch wenn das Hauptaugenmerk auf dem Gehilfen Aurelio liegt, der als Junge entschlossen ist, in die Dienste Michelangelos zu treten, sich aufgrund seiner "unvollkommenen" Talente jedoch schweren Herzens entschließt, eine Künstlerlaufbahn aufzugeben. Unverzichtbar für den Maestro wird er dennoch. Die Entstehung des Freskos darf er hautnah miterleben, Modell stehen und die weiteren Gehilfen kennenlernen, die bald zu einer Art Familie werden. Einige Szenen haben bei mir richtig Gänsehaut hervorgerufen, und außerdem einen Wahnsinnsrespekt für ihr Unterfangen, das von Michelangelo zunächst eher widerwillig in Angriff genommen wird; sieht er sich doch in erster Linie als Bildhauer.



    Was mir nicht so sehr gefällt, ist die Liebe Aurelios zu der oberflächlichen, aber heiß begehrten Kurtisane des Papstes. Eine derart unsympathische, von sich selbst und ihrer Schönheit überzeugte Figur macht es mir als Leser nicht leicht. Dass auch Aurelio ihren Reizen erliegt, trübt mein Lesevergnügen ein bisschen, aber die Beziehung zwischen den Männern ist wirklich toll ausgearbeitet. Jedes Mal, wenn einer verabschiedet wird, weil der Meister ihre jeweiligen Dienste nicht mehr benötigt, spürt man, wie sehr sie einander geschätzt haben und Freunde geworden sind. Trotz des etwas knappen und eher sachlichen Stils habe ich das Gefühl, mittendrin zu sein in der Entstehung des Freskos, die Hitze und Eitelkeit des damaligen Roms zu spüren, Michelangelos Spott gegenüber des Papstes zu hören und mitzuleiden in seiner unerfüllten Hingabe zu Aurelio.


    Mittlerweile bin ich im letzten Drittel des recht umfangreichen Romans und ertappe mich dabei, das Ende herauszuzögern, weil ich mich von den liebgewonnenen Charakteren nicht so schnell trennen möchte. Und ich werde auf jeden Fall nach einer Biografie von Michelangelo Ausschau halten!

  • Ein Engel aus Marmor, den Aurelio auf einer Handelsfahrt mit seinem Vater in Bologna gesehen hatte, erweckt im Bauernsohn aus Forlì den Wunsch, Bildhauer zu werden. Nach dem Tod der Eltern macht sich Aurelio auf den Weg nach Rom, und wird tatsächlich von Meister Buonarroti als Gehilfe aufgenommen.

    Doch nicht in der Bildhauerkunst sollte Aurelio Unterweisung finden, sondern an der Entstehung des Deckenfreskos in der Sixtinischen Kapelle teilhaben dürfen.


    Mit diesem Roman hat Leon Morell ein bemerkenswertes Zeugnis seiner Erzählkunst abgelegt, aber auch seinen Protagonisten Michelangelo Buonarroti und dessen Werk in einem beeindruckenden Denkmal verewigt.

    Der Aufbau der Geschichte mit Michelangelos Gehilfen Aurelio als Zentralfigur hat mir gut gefallen. Sie rankt sich wie schmückendes Beiwerk um das eigentliche Thema, mit dem sich der Autor äußerst intensiv auseinandergesetzt hat. Die Figuren fand ich ausnahmslos, seien sie real oder fiktiv, sehr glaubwürdig dargestellt. Besonders angetan war ich von Michelangelo, der mir in seinem Selbstbewusstsein als Künstler mit all seinem Hochmut, aber auch mit seinen Ängsten, Zweifeln und seiner aussichtslosen Liebe zum eigenen Geschlecht sehr imponiert hat. Seine Auseinandersetzungen mit dem kriegerischen Papst Julius II. hätte man wohl nicht besser erfinden können.

    Hautnah erlebt der Leser Michelangelos Verzweiflung vor der Größe seines Auftrags mit, die ihn anfangs in eine tiefe Krise stürzt, um ihn schließlich geläutert daraus hervorgehen zu lassen. Vorbei ist das Ringen, das ängstliche Festhalten an den vorgezeichneten Kartons, ungezwungen und frei führt die Hand des Künstlers nur noch aus, was im Kopf des Meisters längst vollendet ist. Welche körperlichen Qualen er dabei erduldete, welch ungeheuerliche Vorstellungskraft ihm innewohnen musste, um die Figuren proportional richtig in perspektivischer Verkürzung auf dem Gewölbe aufzutragen, mag für Bewunderer damals wie heute jedoch kaum nachvollziehbar sein. Großartig und sehr berührend hat der Autor beschrieben, welch atemberaubende Wirkung das Werk auf die Zeitgenossen ausübte, auch auf solche, die mit dem Bildprogramm nicht gänzlich einverstanden waren.

    Aber auch die unruhigen, kriegerischen Zeiten, Michelangelos ständiger Streit mit seiner Familie ums liebe Geld, und die immer wieder aufflammende verzweifelte Sehnsucht nach seinem heißgeliebten und begehrten Aurelio bilden den passenden Hintergrund für diese lesenswerte Geschichte. Selbst von der Entstehung der (fiktiven) Aphrodite, im Roman von Michelangelo in zahllosen Nächten heimlich aus makellosem Marmor geschaffen, versteht der Autor so beeindruckend zu erzählen, dass man die herrliche Statue lebhaft vor sich zu sehen meint.

    Vom Zustand der Stadt Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts gewinnt der Leser ebenfalls ein umfassendes Bild. Nicht nur die hygienischen Verhältnisse werden ihm sehr anschaulich vor Augen (und Nase) geführt, die Ewige Stadt präsentiert sich zu dieser Zeit auch als riesige, nie enden wollende Baustelle.

    Glänzend erzählt, bezieht sich mein einziger Kritikpunkt lediglich auf die Liebesbeziehungen, die Aurelio unterhält. Verhältnisse mit Prostituierten finde ich immer langweilig, weil sie sich - wie auch in diesem Falle - stets nur auf die körperliche Ebene beziehen, sonst aber wenig zur Unterhaltung beizutragen haben. Dasselbe gilt meiner Meinung nach auch für unerreichbare Geliebte, die so schön sind, dass jeder Blick ihrer schmachtenden Verehrer bereits eine unverzeihliche Beleidigung darstellen muss. Da ich mir solche Geschöpfe nicht vorstellen kann (und will), fehlt mir auch jegliches Verständnis für die Art der Anbetung, wie Aurelio sie betreibt.

    Davon abgesehen, hat Leon Morell mit seinem Roman aber Großartiges geleistet, und mich mit der Entstehungsgeschichte eines heute noch bewundernswerten Werkes restlos begeistert.

    Eine Überraschung verbirgt sich auch noch im Buchumschlag, der sich auffalten lässt und das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle zeigt. Eine Erklärung zu den einzelnen Bildabschnitten findet sich auf der Innenseite beider Buchdeckel.

    Im Roman selbst werden zu den Figuren und der Bildkomposition immer wieder kleine, aber bemerkenswerte und manchen Lesern wohl auch unbekannte Details eingestreut, die man mit Hilfe der Abbildung gerne entschlüsseln wird.


    Gigantische :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:




    © Madelaine (für beide Bilder)