Warum ich? Warum ausgerechnet immer ich? Die Comiczeichnerin Linda kann ihr Pech nicht fassen. Es reicht scheinbar nicht, dass sie vor ihrer Vergangenheit nach Helgoland flüchten musste und dass die Insel gerade in einem Sturmchaos versinkt. Nein, sie musste am Strand auch noch die Leiche eines Mannes finden, dabei helfen diese in die Pathologie der Inselklinik zu transportieren und nun steht sie vor der Bahre, auf der der nackte Unbekannte liegt, und hält ein Skalpell in der Hand während ein fremder Mann namens Paul Herzfeld übers Handy von ihr verlangt, dass sie den Mann sezieren soll.
Endlich wieder ein neuer Thriller von Sebastian Fitzek, der dieses Mal tatkräftige Unterstützung von Michael Tsokos erhalten hat. Eine Kombination, die im Buchtrailer als "Der Meister des Wahnsinns trifft die Nr. 1 der Rechtsmedizin" bezeichnet wurde. Der Roman hält dieses Versprechen, denn Fitzek schreibt vom nervenaufreibenden Wahnsinn und Tsokos ist es wohl zu verdanken, dass der Part des Buches, der sich mit den pathologischen Aspekten beschäftigt, unglaublich authentisch und interessant geschildert wird.
In letzter Zeit, also eigentlich schon seit Monaten, wurde ich immer wieder von Thrillern enttäuscht. Die Geschichten, die dahinter steckten, waren zwar oft interessant, aber der gewünschte Nervenkitzel oder ein Spannungsgefühl traten fast nie auf. Ich hatte mich schon so langsam damit abgefunden, dass das wohl einfach die logische Konsequenz ist, wenn man sein halbes Leben bevorzugt Thriller liest. Tja, und dann kam dieser Roman und hat mir den Glauben an nervenzerreißende Thriller zurückgebracht! Einen spannungsgeladenen Prolog besitzen die meisten Romane. Anschließend beginnen viele Autoren jedoch zu schwächeln, aber genau da legt "Abgeschnitten" erst richtig los. Jedes Kapitel kann mit etwas Besonderem aufweisen: eine düstere Atmosphäre, ein spannungsgeladenes Szenario, oder eine kleine Überraschung, mit der ich im Leben nicht gerechnet hätte. Das Autorenduo konnte mich so oft aufs Glatteis führen und überzeugt sowohl mit einem tollen Schreibstil, als auch mit einer packenden Handlung umrahmt von rechtsmedizinischen Kenntnissen. Außerdem liebe ich das Wortspiel mit dem Titel, dessen Doppeldeutigkeit im Laufe des Romans auffällt.
Zitat"Im Augenblick stand ihr früheres Ich wie ein ausrangierter Waggon auf dem Abstellgleis ihres Bewusstseins. Nur ein kläglicher Rest von dem, was ihre Persönlichkeit ausmachte, saß weiterhin in dem Zug, der immer tiefer hineinraste in einen Tunnel aus Schmerzen." (Seite 76)
Ich konnte den Roman leider nicht an einem Tag beenden. Als ich aber am nächsten Morgen aus Versehen bereits um 4.30 Uhr aufwachte, hatte ich die Wahl zwischen "wieder schlafen legen" oder "Abgeschnitten lesen" und habe mich ohne zögern für den Roman entschieden - morgens um 4.30 Uhr. Das sagt eigentlich schon alles, oder? Die perfide Schnitzeljagd, die sich größtenteils im Norden Deutschlands abspielt, hat mich einfach nicht losgelassen. Der komplette Roman ist packend, fesselnd und gespickt mit zahllosen Überraschungen. Das Ende kann ich nur als fulminant und vielleicht etwas mit Überraschungen überladen beschreiben. Es kann natürlich auch daran gelegen habe, dass es immer noch Montag morgen vor 6 Uhr war, als ich mich dem Finale näherte, aber die Autoren haben am Ende noch einmal alles umgedreht, nichts war mehr so wie es schien und zwischendurch habe ich mich ein kleines bisschen überfordert gefühlt und musste immer mal wieder kurz inne halten, um gedanklich zu sortieren, was nun eigentlich tatsächlich passiert war und was mich die Autoren nur denken lassen wollte. Das Schöne war jedoch, dass all diese Überraschungen aber auch Sinn machten oder erklärt wurden und somit nicht haltlos vom Himmel fielen.
Ich bin unvoreingenommen an das Buch heran gegangen. Wollte dem Roman keinen "Fitzek-Vorteil" einräumen, aber bereits nach den ersten Seiten hatte er mich wieder gefangen genommen. Genau SO sollen Thriller sein! Danke, dass mir gezeigt wurde, dass ich nicht immun für Thriller geworden bin. Es liegt einfach daran, dass leider nicht jeder Autor so schreiben kann wie Sebastian Fitzek. Die Zusammenarbeit mit Michael Tsokos hat mich mehr als überzeugt. Ein Thriller-Autorenduo kann man eben nicht besser besetzen, als mit dem Meister des Wahnsinns und der Nr. 1 der Rechtsmedizin.
Fazit: Es gibt sie noch, die Thriller, die mit einem flüssigen Schreibstil, einer interessanten und neuen Idee und zahlreichen Überraschungen fesseln und überzeugen können. Danke dafür an Sebastian Fitzek und Michael Tsokos! Wer einen richtig guten Thriller lesen möchte, sollte sich "Abgeschnitten" zulegen! 5/5 Sterne.
[list=][*]Gebundene Ausgabe: 400 Seiten[*]