Connie Willis - Licht / All Clear

  • Die Bedenken von Michael, Polly und Merope scheinen sich zu bewahrheiten - offenbar sitzen die drei Zeitreisenden, die sich mittlerweile in London gefunden haben, tatsächlich im Jahre 1940 fest. Zumindest funktionieren ihre Tore in die Gegenwart momentan nicht. Vorerst müssen sie sich wohl damit abfinden und sich wie die Londoner jener Zeit aufs tägliche Überleben zwischen nächtlichen Luftangriffen, Bränden und einstürzenden Gebäuden konzentrieren und darauf hoffen, dass die Kollegen aus der Gegenwart ein Rettungsteam in die Vergangenheit entsenden.


    Die unklare Zeitreisesituation und das Kriegsgeschehen selbst wären reichlich Grund zur Verzweiflung, doch die drei geben nicht auf und versuchen irgendwie das Beste aus der Situation zu machen, auch wenn der Verdacht wächst, dass sie womöglich doch auf fatale Weise den Verlauf der Ereignisse beeinflusst und dadurch ihre Misere erst herbeigeführt haben. Trotzdem geht das Leben weiter, und immer wieder staunen die drei Gäste aus der Zukunft, wie die Londoner mit Tatkraft und Humor einen halbwegs normalen Alltag aufrechterhalten, Theaterstücke statt auf den Bühnen im East End eben in den zum Luftschutzkeller umfunktionierten U-Bahn-Stationen aufführen und eigenständig eine Brandwache auf den Dächern der St. Paul's Cathedral organisieren - denn solange das heißgeliebte Wahrzeichen über den Ruinen ausgebombter Häuser aufragt, ist in den Augen der Londoner noch nicht alles verloren.


    Im 2. Teil der in "Blackout" begonnenen Zeitreisegeschichte nimmt uns Connie Willis noch einmal ganz hautnah mit ins England der Kriegszeit, insbesondere nach London. Wie schon im ersten Band war ich von der ersten Seite an gefesselt von den großartigen Schilderungen, den so menschlich, glaubhaft und liebenswert gezeichneten Figuren, den großen und kleinen Dramen und dem herrlichen, oft ziemlich schwarzen Humor. Die kleinen Details wie ein Teetablett mit Spitzendeckchen im Luftschutzkeller, die Verzweiflung über einen verlorenen Lippenstift in einer Zeit der Rationierung oder die Schwierigkeit, einen anständigen, passenden Mantel aufzutreiben (an dessen Optik man schon gar keine Ansprüche mehr stellt) machen die Lektüre so herrlich authentisch. Gänsehaut hatte ich, als der Moment beschrieben wurde, in dem nach Kriegsende zum ersten Mal die Straßenbeleuchtung wieder angeht, nach fünf langen Jahren "blackout".


    Der Spannungsbogen hängt an keiner Stelle durch, die Seiten blättern sich wie von selber um, während man mit Polly, Merope und Michael mitfiebert. Ich habe mit den dreien, die mir unheimlich ans Herz gewachsen sind, gehofft und gebangt, gelacht und geweint, mitgelitten und mich mitgefreut - und auch die Nebenfiguren waren toll, unter anderem ein sympathischer Dorfpfarrer, ein majestätischer Shakespeare-Darsteller, einige nette alte Damen (eine nicht ganz unbekannte britische Krimiautorin hat unter anderem einen herzallerliebsten Gastauftritt), die schrecklichen Hodbin-Kinder und ... eigentlich alle. Sie alle sind eigentlich ganz normale Menschen, und viele von ihnen sind in ihrer ganz eigenen Art zu Helden geworden in diesen schlimmen Zeiten.


    Zum ersten Mal seit dem letzten HP-Band habe ich ein Buch zugeklappt (nach einem Lesemarathon an einem verregneten Urlaubstag, 2 Uhr morgens) und tatsächlich geheult, weil ich völlig überwältigt war von Trauer und Freude und dem Gefühl, von guten Freunden Abschied nehmen zu müssen. Mein Highlight des Jahres, das alles hat, was ich in einem Buch mag: tolle, unvergessliche Charaktere, einen eleganten Stil, einen spannenden Plot, viel schrägen Humor, fundierte Hintergründe ... und dann auch noch London und St. Paul's Cathedral und Shakespeare und und und.


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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Connie Willis - All Clear“ zu „Connie Willis - Licht / All Clear“ geändert.