Ralf Rothmann - Junges Licht

  • Inhalt:


    Julian Collien, 12 Jahre alt, wohnt in den 1960er Jahren mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Sophie irgendwo im Ruhrgebiet in einer Mietwohnung. Sein Vater arbeitet im Schichtbetrieb als Rutschenmann in einer Zeche. Aufgrund gesundheitlicher Probleme muss Julians Mutter während der Sommerferien zur Erholung nach Schlesien fahren. So verbringt der Junge ziemlich viel Zeit alleine, in der er oft genug in Schwierigkeiten gerät, mit oder ohne sein Zutun.
    Julians missglückte Unternehmungen enden öfter mal in einem auf seinem Hintern zerbrochenen Kochlöffel seiner Mutter. Die Beziehung zu seinem Vater scheint relativ gut, wenn dieser sich auch nur wenig in seiner knapp bemessenen Freizeit mit ihm abgibt.
    Dann ist da noch die 15-jährige Marusha, Stieftochter des Vermieters, die ein Zimmer mit separatem Zugang auf der Etage der Colliens bewohnt. Sie erhält im Laufe des Buches nicht nur für Julian in der Familie Collien Bedeutung, so viel sei verraten.
    (Vom Klappentext bzw. der Information auf der amazon-Seite würde ich wegen Angabe von zu vielen Details zur Handlung abraten.)



    Zum Autor (Quelle: Klappentext bzw. wikipedia):


    Ralf Rothmann, 1953 in Schleswig geboren, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt seit 1976 in Berlin. Er veröffentlichte zuletzt den Roman Feuer brennt nicht (2009) und den Erzählband Shakespeares Hühner (2012). Rothmann erhielt für den Roman Junges Licht 2004 den Wilhelm-Raabe-Preis, der von Deutschlandradio und der Stadt Braunschweig verliehen wird.



    Meine Meinung zum Buch:


    Die kleinen Abenteuer, in die der Junge im Buch gerät, haben mich bei jedem einzelnen mitgerissen, obwohl solche Kindheitserzählungen an und für sich gar nicht mein Fall sind. Ralf Rothmann reiht sie in einem ganz natürlichen und einfachen Deutsch zu einem recht kompletten Bild über Julian und seine Familie aneinander. Es gibt keine sprachlichen Fisimatenten, die Sprache bleibt auf einem der Situation einer Arbeiterfamilie angemessenen Niveau. Dafür gibt es hin und wieder meiner Meinung nach geniale, weil unerwartete Verb-einsätze wie z.B. während der Fahrt hinten auf dem Fahrrad, während der Vater auf dem Sattel in die Pedale tritt (S. 83):

    Zitat

    „Der Gepäckträger waffelte mir den Hintern“



    In Rothmanns Roman Junges Licht findet man noch einen zweiten Handlungsstrang über einen Zechenarbeiter im Stollen, über den man jedoch nicht viel erfährt, nicht einmal seinen Namen, oder was er dort eigentlich zu erledigen hat. Insgesamt macht dieser Handlungsstrang aber nur geschätzte 10 Prozent, maximal 25 Seiten, im Buch aus. Dieses etwas mysteriöse Element hat mir recht gut gefallen, und das Mysterium bleibt, bis zur letzten Seite. Gut gemacht, wie ich finde, besonders zum Schluss.


    Julian befindet sich in einem Alter, in dem er noch sehr unschuldig erscheint. Doch genau die Momente der ersten Einblicke in die keineswegs immer einwandfreie Welt der Erwachsenen und die oft ebenso enttäuschenden kleinen Einsichten über den Charakter seiner Freunde machen für mich den Reiz dieses Buches aus.


    Auf mich hat Junges Licht einen ähnlichen Effekt wie die Per Petterson-Romane, die ich bisher gelesen habe: eine schlichte, vordergründige, gut strukturierte und ebenso gut erzählte Handlung, die jedoch mit intensiven Emotionen einhergeht; wobei Ralf Rothmanns Junges Licht für mich möglicherweise noch ein Quentchen einfühlsamer, und mit dem zweiten Handlungsstrang einen Tick raffinierter daherzukommen scheint.


    Eigentlich interessieren mich weder die Epoche der 60er Jahre noch Kinderabenteuer. Doch Junges Licht bietet einen schlichten, aber effektvollen Erzählstil und zusätzlich einen treffenden Einblick in kleinere und größere menschliche charakterliche Unzulänglichkeiten.


    Und weil ich das Buch so mag, kriegt es von mir :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: Sterne, und noch einen Applaus obendrauf: :applause: .

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Autor: Ralf Rothmann
    Titel: Junges Licht
    Seiten: 237
    ISBN: 978-3-51845754-2
    Verlag: Suhrkamp


    Autor:
    Ralf Rothmann wurde 1953 in Schleswig geboren und ist ein deutscher Schriftsteller. Nach Volks- und einem Besuch einer Handelsschule machte er zunächst eine Lehre als Maurer und nahm danach verschiedene Jobs an, bevor er sich 1976 in Berlin niederließ. Dort veröffentlichte er 1984 einen Lyrik-Band. Dafür erhielt er 1986 ein Stipendium für Literatur. Sein erster Roman erschien 1991. Er lebt heute als freier Autor in Berlin, verarbeitete seine Kindheit in den sog. "Ruhrgebietsromanen", die allesamt eine autobiografische Färbung aufweisen und erhielt zahlreiche Preise dafür. Sein Roman "Junges Licht" wurde 2016 verfilmt.


    Inhalt:
    Ralf Rothmann erzählt in der ihm eigenen, eindringlichen Sprache von den letzten Wochen der Kindheit, ihren leisen Schrecken und dem erhellenden Trost: »Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.«
    (Klappentext)


    Rezension:
    Julian, von allen Juli genannt ("Hau ab, Juli. Wir haben August."), erlebt den letzten Sommer der Kindheit im Ruhrgebiet, in einer kleinen Arbeitersiedlung nahe der Zeche, wo sein Vater und andereKohle abbauen und ans Tageslicht befördern. So schwer und anstrengend, wie die körperliche Arbeit der Bergleute ist, erlebt der Junge die Tage, die er wenig mit Freunden, oft alleine, verbringt. Merkt, wie seine Kindheit immer schneller ihm entrinnt und ihn in die Welt der Jugendlichen und Erwachsenen treibt. Er sieht ihren Zwiespalt, ihre Scheinheiligkeiten, Schwierigkeiten und ihre Verlockungen, hier im Rahmen des Nachbarmädchens Marusha. Und immer wieder steht er zwischen den Stühlen, wenn er mal wieder unverschuldet in das eine oder andere Missgeschick und schließlich unter Mamas Kochlöffel gerät oder als intelligenter und künstlerisch begabter Außenseiter von seinen Freunden misstrauisch beäugt wird. Der Zwölfjährige schlägt sich durch, nimmt alles Positive aus und schafft es, dem grauen Alltag immer wieder auch positive Seiten abzugewinnen. Der letzte Sommer der Kindheit ist ein ganz besonderer.


    Sprachlich einfach geschrieben und doch sehr eindrucksvoll präsentiert Ralf Rothmann die Geschichte eines seiner bisher jüngsten Protagonisten im Rahmen seiner "Ruhrgebietsromane", die man ruhig als eigenes Genre betrachten darf. Die Stimmung im Zechengebiet gut getroffen, nimmt man dem Autoren die Erlebnisse des Jungen ab und taucht damit auch in ein Stück deutscher Geschichte ein, die eine nicht ganz unbedeutende Rolle für dieses damals noch junge Land gespielt hat. Die Zeieln fließen nur so dahin, der junge Protagonist ist sympathisch, sowie auch die meisten ihm umgebenden Figuren, wenn man von der psychisch angeschlagenen Mutter absieht, die ihre Kinder mit den Kochlöffel züchtigt.


    Doch, insgesamt lässt der Roman den Leser nicht wirklich zufrieden zurück. Zwar ist der Abschluss der Geschichte schön, eine "runde Sache" ist er dennoch nicht. Ein Abschlusskapitel fehlt gefühlsmäßig, was natürlich darauf hindeuten kann, dass die Reihe noch nicht abgeschlossen ist aber unabhängig davon kann man die "Ruhrgebietsromane" wohl einzeln lesen, ohne die Vorgänger zu kennen. So ist es zumindest hier der Fall und da tut es der eigentlich sehr guten Geschichte eben nicht gut, keinen Abschluss zu haben. Zwar kann man mit dem Ende leben aber das Tüpfelchen auf dem I, das letzte abgebaute stück Kohle, um in den Sphären des Romans zu bleiben, fehlt. Ralf Rothmanns "Junges Licht" ist in meinen Augen unspektakulär, wobei das natürlich zu den meisten aller Kindheitssommer passt. Lesenswert ja, leider aber kein großer Wurf, der er hätte werden können.

  • Ich befinde mich gerade unabsichtlich in einer Kindheits- und Jugendroman - Endlosschleife, da fast jedes Buch, das ich derzeit in die Finger bekomme, in diese Kategorie fällt.
    Da war Seethalers "Jetzt wirds ernst", gefolgt von Genazinos "Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman".
    Dieses hier habe ich gerade beendet und Walsers "Ein springender Brunnen" gestern begonnen.


    Da liegt es nahe, eine Art Hitliste aufzustellen und um das Fazit vorweg zu nehmen: Rothmann liegt mit 3 3/4 Sternen knapp hinter Genazino.


    Ich schließe mal an meine beiden Vorredner an:
    Den von Hypocritia beschriebenen zweiten kleineren Handlungsstrang habe ich leider nur überflogen.
    Um ihn gänzlich zu verstehen, hätte ich googeln müssen, da sehr viele Fachausdrücke aus dem Bergbau verwendet wurden. Das hat natürlich andererseits seinen Charme und trägt viel zu dem Lokalkolorit der Erzählung bei.


    Sprachlich gefiel mir das Buch besser als Seethalers Roman. Der Witz ist hier viel subtiler und immer leicht an der Grenze zur Melancholie oder Tristesse, so z.B. der sonntägliche Besuch des Vaters mit Julian und Marusha bei einem Arbeitskollegen.
    Das ganz besondere Alleinstellungsmerkmal, wie ich es bei Genazino bemerkt hatte, fehlte mir bei Rothmanns Sprache allerdings.


    Die Geschichte selbst fand ich jetzt nicht unspektakulär wie Findo, sondern eher aufreibend. Mir fehlte auch kein Abschluss.

    .


    Aber die Geschichte ist auch der Grund, weshalb ich Abzug vornehme. Mir war folgendes zu sehr konstruiert:

  • Mein Lesen liegt zu weit für präzise Kommentare zurück, doch es bleibt ein positiver Nachgeschmack. Ich mache noch auf die Verfilmung aufmerksam, hier zB ein Trailer:


    https://www.youtube.com/watch?v=W03KJUksWwE