Klappentext:
Bei einem Festessen sitzt ein Mann am Tisch einer ihm unbekannten Frau und kann den Blick nicht von ihr lösen. Wenig später schreibt er ihr, und zwar so, dass sie antworten muss. Es kommt zu einem Briefwechsel, der von Mal zu Mal dringlicher, intensiver wird. Beide, der Schriftsteller und die Theologin, beteuern immer wieder, dass sie glücklich verheiratet sind. Aber sie gestehen auch, dass sie in dem, was sie einander schreiben, aus sich herausgehen können wie nirgends sonst und ihre Ehepartner verraten. Nur weil ihr Briefabenteuer so aussichtslos ist, darf es sein. An ein persönliches Treffen ist nicht zu denken - die Briefe bleiben Hängebrücken über einem Abgrund namens Wirklichkeit.
Martin Walsers Roman «Das dreizehnte Kapitel» über eine Liebe, die als Unmöglichkeit so tiefgründig und lebendig ist wie kaum etwas, kreist auf schwindelerregende Weise um das Wesen der menschlichen Existenz. Der Schweizer Theologe Karl Barth nannte Gott den unbekannten Gott, an den man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung hin glauben könne. Martin Walser zeigt nun, wie eine Liebe ohne Hoffnung auf Hoffnung ein wahres Leben erst möglich macht. (vom Cover kopiert)
Zum Autor:
geboren 1927 in Wasserburg, lebt in Überlingen am Bodensee. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis und 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. (von der Verlagsseite kopiert).
Allgemeine Informationen:
Ein Briefroman.
266 Seiten in 2 Teilen. Teil 1 (bis S. 172): 28 abwechselnde Briefe von Maja Schneilin und Basil Schlupp, einige mit Datum, die meisten per Post verschickt, wenige vom iPhone. Teil 2: Mails von Maja an Basil während der gemeinsamen Kanada-Radtour mit ihrem Ehemann.
Inhalt:
Er hat sie einmal gesehen – bei einer Veranstaltung des Bundespräsidenten anlässlich einer Preisverleihung für einen Hirnforscher. ER ist Schriftsteller Basil Schlupp, bekannt wegen eines Romans „Strandhafer“, SIE Professorin für evangelische Theologie und Ehefrau des Geehrten, Maja Schneilin. Festessen und –akt betrachtet Basil mit ironischer Gelassenheit, während Maja seine Blicke fesselt.
Er schreibt ihr, wagt aber erst Wochen später, einen Brief abzuschicken. Sie antwortet, zögerlich zunächst, dann aber schnell vertrauensvoll und mitteilungsbedürftig. Beide offenbaren einander ihre tiefsten Gedanken, ihre innigsten Gefühle; von Liebe ist weniger die Rede, und eins ist von vorneherein klar: An einer Affäre ist keiner interessiert, denn beiden bedeutet ihre Ehe sehr viel, und sie fühlen sich mit und bei ihrem Partner wohl und verstanden.
Durch ein Zeitungsinterview, das Basil gibt, kommt es zum Missverständnis und vorübergehend zum Schweigen, unter dem Basil leidet.
Als Korbinian, Majas Ehemann, erkrankt, erfüllt sie ihm den lang gehegten Wunsch einer Camping-Radtour durch Kanada. Ihre Tageserlebnisse teilt sie brieflich und per Mail mit Basil.
Eigene Meinung / Bewertung:
Martin Walser, ein Autor, der auftritt wie seine Sprache: Stattlich, opulent, kraftvoll. Nicht unproblematisch im Umgang, aber immer gut für überraschende Wendungen.
Bei der Wahl des Themas bleibt Walser in seinem gewohnten Rahmen: Liebe, die sich vor allem in den Regionen des Kopfes abspielt. Und wieder sind die Protagonisten Intellektuelle, die sich einander mitteilen über Worte, Ansichten und Werte bekannter Vordenker, in diesem Fall des protestantischen Theologen Karl Barth. Handlungen und Gedanken werden seziert, nach Rechtfertigung überprüft, gemessen und verglichen.
Vom Titel ausgehend ist jedoch nicht Liebe das zentrale Thema, sondern Verrat. Abseits vom Geschlechtlichen betrügen sowohl Basil als auch Maja ihre Ehepartner: „Das dreizehnte Kapitel“ ist Titel eines Romans, den Basils Frau Iris zu schreiben plant – streng geheim und im Verborgenen. Aber Basil schreibt für Maja Passagen aus Iris’ Roman ab, die er auf Notizzetteln findet. Und Maja bespricht brieflich Probleme und Konflikte, die sie ihrem Mann vorenthält. Logisch, dass sie extrem reagieren, sobald sie den Hauch eines Verrats beim Briefpartner wittern, Basil wie ein liebeskranker Jugendlicher, Maja als beleidigte Diva.
Teil 2 des Buchs liest sich leichter und gefälliger. Das Stochern im Sumpf der Zweisamkeit und der eigenen Befindlichkeit weicht einem Stück Abenteuerromantik. Anstelle von Karl Barth erhält Jack London das Wort, und der Leser verfolgt amüsiert und interessiert, wie sich ein materiell gesegnetes und gut bürgerliches Ehepaar bis zur Erschöpfung verausgabt und seinen Tag im Freien improvisiert.
Das Buch endet mit zwei unerwarteten Pointen, einer für Basil, einer für Maja.
Walser-Leser finden auch in diesem Buch wieder, was sie am Autor schätzen: Seine kunstvolle, außerordentliche Sprache, seine genaue Personenführung und sein beliebtes Thema.
Andererseits: Sagt man von einem Schriftsteller, er sei sich treu geblieben, kann es auch bedeuten: Ihm ist nichts Neues eingefallen.
Beides trifft zu.
Fazit:
Ein typischer Walser – gut, aber in seiner Bibliographie nicht umwerfend anders.