Irvin D. Yalom - Und Nietzsche weinte/When Nietzsche wept

  • Ich habe es gerade zuende gelesen und werde kurz berichten:


    Erstmal Kurzbeschreibung Amazon:

    Wien, ausgehendes 19. Jahrhundert:
    Die selbstbewußte junge Russin Lou Salome drängt den angesehenen Arzt Josef Breuer, dem suizidgefährdeten Friedrich Nietzsche zu helfen und ihn von seiner zerstörerischen Obsession für sie zu kurieren. Breuer willigt ein und unterzieht Nietzsche einer neuartigen Heilungsmethode, deren Ausgang jedoch für beide unerwartet ist.


    Über den Autor
    Irvin D. Yalom, 1931 als Kind russischer Emigranten in Washington geboren, ist emeritierter Professor für Psychiatrie an der Universität Stanford. Er veröffentlichte psychotherapeutische Standardwerke, psychoanalytische Geschichten und den Roman »Und Nietzsche weinte«.


    Meine Meinung:
    Zuerst etwas unsachliches vorweg:
    Wooooow! und noch mal Woooow! (musste einfach sein)


    Dies ist eine (fiktive) Geschichte über die Entwicklung der Redekur (Psychoanalyse) von Josef Breuer und deren Anwendung auf den unwilligen Patienten Friedrich Nietzsche.
    Zugegeben es ist kein "einfaches" Buch, denn die im Roman beschrieben Rededuelle zwischen Breuer und Nietzsches Philosophien muss man verdauen.Yalom hat die Geschichte aber so schön flüssig geschreiben,daß man ohne Probleme am Ball bleibt.
    Der Autor bringt einem den "Mensch" Nietzsche und sein Drama eindrucksvoll nahe.
    Ein echter "Psycho"Thriller! Mir hat jedesmal das Herz geblutet,wenn ich es weglegen musste.
    Lesen!!!!!!


    LG Schoenchen

  • Hallo Schoenchen,
    ich habe es zwar nicht so mit der Psychoanalyse, aber das Buch klingt wirklich interessant. Und von Nietzsche habe ich auch keine Ahnung :oops: .
    Da sollte ich mir das Buch doch mal vormerken, zumal mein verstorbener Großvater sich sehr für Nietzsche interessiert hat. Ich weiß noch, dass er sich mal einen ganzen Winter lang mit ihm befasst hat.


    grüße von missmarple

  • Meine Meinung:


    Brillant! Fast alles beruht auf Tatsachen: Dr. Breuer ein großartiger Forscher seiner Zeit, der den ersten Schritt zur Psychoanalyse geleistet hat. Nietzsches Verzweiflung, Depressionen und Migräneanfälle. Die Behandlung der Anna O. als Fallsammlung von S. Freud und Breuer >Studie über Hysterie<. Die geheimnisvolle Lou Salomé, die Nietzsche fast zu Fall gebracht hat. Die enge Verbundenheit zwischen Breuer und Freud.
    Dies alles spielt sich tatsächlich im Jahre 1882 ab! Das einzige was nicht stimmt, ist, dass sich Dr. Breuer und Nietzsche wohl nie getroffen haben! Und das ist m. E. das Großartige an diesem Buch, denn es hätte sein können … Diese Verwebung, die Yalom hier knüpft, ist fast schon zu authentisch, man möchte es glauben können. (Schade, dass es nur fiktiv ist.)
    Weiterhin liefert dieser Roman sehr informative Einblicke in die Philosophie Nietzsches, aber auch in die beginnende Psychotherapie. Wenn auch die Lektüre „Also sprach Zarathustra“ schwer zu verstehen ist, da Nietzsche fast nur in Gleichnissen und Bildern spricht, schafft es Yalom leicht, diese schwierigen Gedankengänge nach zu vollziehen. Denn er lässt Dr. Breuer nachfragen, immer und immer wieder, er stellt genau die Fragen, die ich Nietzsche auch gefragt hätte. Sicher sind die Antworten subjektiv zu sehen, aber wenn man ein wenig, so wie es Nietzsche forderte, kritisch und skeptisch damit umgeht, kann man durchaus seine eigene Analyse finden.
    Bravo! Absolut lesenswert!



    Ach hier vielleicht noch seine anderen Werke (bei wikipedia kopiert):


    Werke (Auswahl)
    Die Schopenhauer-Kur, 2005.
    Im Hier und Jetzt, 2005.
    Liebe, Hoffnung, Psychotherapie, 2004.
    Was Hemingway von Freud hätte lernen können, 2003.
    Der Panama-Hut, 2002.
    Jeden Tag ein bißchen näher, 2001.
    Die Reise mit Paula, 2000.
    Und Nietzsche weinte, 1994 (2005)
    Die Liebe und ihr Henker und andere Geschichten aus der Psychotherapie, 1990 (2001)


    Ich werde seine anderen Werke sicherlich auch lesen :thumright:

  • Hallo!


    Ich fand das Buch ganz großartig, es hat mich zutiefst aufgewühlt.


    Alleine für die Idee gehört Yalom eine Auszeichnung! Reale Personen, die einander nie begegnet sind in dieser Konstellation auftreten zu lassen und diese Begegnung so wirklichkeitsnah und unkonstruiert zu schildern, das hat schon was :thumleft:


    Dr. Breuer und Nietzsche sind sind nach außen hin extrem wesensverschiedene Personen. Dr. Breuer der erfolgreiche, in höchsten Kreisen angesehene Arzt mit Herzeige-Familie, begütert, könnte ein sorgenfreies Leben leben und ist doch unzufrieden. Im Gegensatz dazu Friedrich Nietzsche, absoluter Einzelgänger, geprägt von Rastlosigkeit und Todessehnsucht.


    Die Anfänge der Psychiatrie werden ebenso beleuchtet wie die Deutung und Bedeutung von Träumen und nicht zuletzt bekam ich einen guten Zugang zu Nietzsches Philosophie.


    Außerdem ist dieser Roman brilliant geschrieben. Nach einem doch eher langatmigen Einstieg wird man von der Geschichte gefesselt, die Vorzeichen vertauschen sich, alles spitzt sich zu ..... und das Ende ist einfach schön.


    Achtung! Den Spoiler bitte nur lesen, wenn man das Buch kennt, denn sonst bringt man sich um ein echtes Leseerlebnis!



    Ein ganz wunderbares Buch, voller Lebensbejahung, voller Weisheit, frei unter dem Motto:


    Werde, der du bist und liebe das Leben

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

    Einmal editiert, zuletzt von Rosalita ()

  • Die geheimnisvolle Lou Salomé, die Nietzsche fast zu Fall gebracht hat.


    Nun so geheimnisvoll ist Lou Andreas-Salome nicht, war sie doch mit Rilke, Nitzsche und anderen großen ihrer Zeit befreundet und selbst Schriftstellerin, ich schreib gleich nochmals, weil man nur ein Buch einsetzen kann. Und natürlich mit Sigmund Freud.
    Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Ich hole nach über vier Jahren den Fred einfach nochmal hoch, denn dieses Buch verdient eine Empfehlung und vielleicht lernen es so einige neu Hinzugekommene nun kennen. Schoenchen, Rosalita und Buchkrümel haben wirklich schon das Wesentlich herausgestellt – ich danke noch sehr dafür ! Es hat zwar bei mir drei, vier Jahre bis zum jetzigen Lesen gedauert, doch es hat sich gelohnt !


    Ja, man lernt sowohl viel von der Philosophie Nietzsches als auch der beginnenden Psychotherapie, der « Redekur », kennen. In letzterem Thema ist der Autor einfach rein berufsmäßig schon besonders firm. Ich kennzeichnete mir dazu folgenden Satz : « Jedes Symptom, zu dessen auslösender Ursache man zurückkehrt und dessen veranlassender Vorgang in Form einer 'Redekur' akribisch geschildert wird, verschwindet von selbst ohne dass die mindeste hypnotische Suggestion erforderlich wäre. »


    Doch auch in der Darstellung vieler Grundzüge von Nietzsches Ideen erweist sich Yalom als guter Vermittler ! In diesen beiden Bereichen meinte ich, spielerisch etwas hinzugelernt zu haben.


    Dabei werden diese beiden Bereiche auf eine originelle Weise dargestellt, denn die vermeintlichen « Fachleute » des jeweiligen Gebietes (Breuer = Psychotherapie ; Nietzsche = "Philosophie") entpuppen sich teils als Darsteller, Erklärer des anderen Gebietes. So liest sich Breuer durch die Schriften N. , zitiert, interpretiert, stellt N die Fragen, während Nietzsche zu einem gewissen Zeitpunkt des Experimentes zwischen den beiden zum therapierenden Gesprächsführer, -partner wird. Das ist leichthändig dahergezaubert und eine prima Pirouette des Autors !


    Interessant also auch, inwieweit sich überdeckende Lebenserfahrungen zwischen diesen beiden Größen hier ergeben, bzw fiktiv unterstrichen werden, sei es nun Erfahrung einer Einsamkeit, oder einer exzessiven Verfallenheit an eine Frau. Diese Gemeinsamkeiten – und jeder kann das ja bei einem intensiven Lesen auf sich und seine Situation übertragen – ermöglichen über alle stets bleibende Einsamkeit hinaus Möglichkeiten zum Anknüpfen, zu einem Austausch.


    Amüsant ist sicher auch, wer hier wann wohl wen austrickst, bzw auszutricksen meint. Dabei liegen Überzeugung und Realität manchmal auseinander ? Jeder vermeint in gewißem Sinne federführend zu sein bis vielleicht diese Machtfrage sich langsam auflöst ?


    Ein tolles Buch mit interessanten Fragen. Die letzten Fragen nach der Gewichtung zwischen Wahrheit/Realität hier, bzw. Fiktion und geschichtlichem Roman haften solchem Buch natürlich an. Doch selbst wenn man es nicht 100% auf die tatsächlichen Personen übertragen könnte bleiben gute Anknüpfpunkte !

  • Hier noch ein Link zu einer englischen Ausgabe. Das Original erschien 1992 unter dem Titel "When Nietzsche wept":


  • Dies alles spielt sich tatsächlich im Jahre 1882 ab! Das einzige was nicht stimmt, ist, dass sich Dr. Breuer und Nietzsche wohl nie getroffen haben! Und das ist m. E. das Großartige an diesem Buch, denn es hätte sein können … Diese Verwebung, die Yalom hier knüpft, ist fast schon zu authentisch, man möchte es glauben können. (Schade, dass es nur fiktiv ist.)


    Ich hatte inzwischen einen interessanten Austausch mit einem britischen Bekannten über die mögliche Historizität des Buches. Er kopierte mir aus der "Harper Perennial Modern Classics" Version das Nachwort. Und da steht allerhand Interessantes drin! Yalom berichtet, wie er im Februar 2003, also weit nach Verfassung seines Buches, von einer Renate Müller-Buck auf einen Brief im Weimarer Nietzsche Archiv stieß. Dieser wiederum stammte von 1878 und einem Siegfreid Lipier, der Köselitz (einem engen Freund N.) zu überzeugen sucht, Nietzsche nach Wien zuschicken, damit er durch Breuer behandelt werden könnte. Schon war die Finanzierung geplant, Unterkunft etc. Breuer war eingeweiht. Doch der Plan wurde nie Wirklichkeit.


    Doch so nahe kamen, kommen hier Idee und Möglichkeit.

  • Eigentlich hätte ich mir das Buch nie ausgesucht. Aber für einen Lesekreis "musste" ich es lesen. Und ich bin froh darüber! Ich kann mich den positiven Aussagen hier absolut anschließen. Das Buch zu lesen lohnt sich sehr. Die Entwicklung, die Breuer und Nietzsche im Handlungsverlauf durchmachen, ist meisterhaft erzählt. Und das Ende ist grandios! :)

  • Nach mehreren Unterbrechungen habe ich heute das Hörbuch beendet. Das Cover, ein Gemälde von Gustav Klimt, gefällt mir. Yalom schreibt sehr gut und es hat mir imponiert, wie detailliert er die nie stattgefundene Beziehung von Nietzsche und Josef Breuer dargestellt hat, obwohl ich fand, er hat es manchmal übertrieben. Aber das Thema Psychoanalyse ist nicht mein Lieblingsinteressengebiet, deshalb wurde ich manchmal ungeduldig, wenn es nicht voranging.

    Die Erfindung des Buchdruckes ist das größte Ereignis der Weltgeschichte (Victor Hugo).

  • Eine richtige Perle, das kann man auf jeden Fall von diesem Buch sagen :applause: Ich habe die Gespräche zwischen Nietzsche und Breuer sehr genossen und ziehe meinen unsichtbaren Hut vor Yalom, wie gut es ihm gelang, sich in beide einzudenken und - zumindest für mich als Laien - sie beide doch sehr authentisch darzustellen.

    Ich glaube auch, dass es zu der Sorte Bücher zählt, die man durchaus in unterschiedlichen Lebensphasen erneut lesen und sich immer etwas für sich daraus hilfreiches oder inspirierendes finden kann. In mir weckt es auf jeden Fall den Wunsch noch mehr Bücher von Yalom zu lesen.

    "Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste."
    Heinrich Heine


      :study: