Gore Vidal gestorben

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    Gore Vidal: Amerikas großer Provokateur ist tot
    01.08.2012 | 18:16 | ANNE-CATHERINE SIMON (Die Presse)


    Ob Vietnam, Irak oder 9/11: Kein Schriftsteller hat Zeit seines Lebens so brillant den „Niedergang“ seiner Heimat USA gegeißelt wie er.

    Als 1948 der Roman „The City and the Pillar“ erschien, waren Literaturkritiker in Empörung vereint. Der damals erst 22-jährige Gore Vidal hatte mit seinem Roman über einen schwulen jungen Mann so unverblümt Homosexualität thematisiert wie kaum ein Autor vor ihm. Der Kritiker der „New York Times“ verbot daraufhin sogar die Rezension seiner nächsten fünf Bücher.


    Das war wahrlich nicht die letzte Provokation im Leben des US-Schriftstellers, der am Dienstag mit 86 Jahren in seinem Haus in Los Angeles an Lungenentzündung starb. Er beleidigte Schriftstellerkollegen wie Norman Mailer, den er mit dem Hippie-Kriminellen Charles Manson verglich. (Mailer antwortete mit einem Kopfstoß vor dem gemeinsamen Auftritt bei einer Talkshow.) Er präsentierte im Buch „Live From Golgotha“ Paulus als Päderasten und Jesus als Blödmann. Er führte einen Briefwechsel mit dem zur Todesstrafe verurteilten Attentäter von Oklahoma City, Timothy McVeigh, weil er das FBI für den wahren Schuldigen hielt. Er beschuldigte Roosevelt, den japanischen Anschlag auf Pearl Harbour selbst provoziert zu haben, er zählte auch zu den prominentesten Zweiflern an der offiziellen Version der Ereignisse von 9/11. Zwar traue er Bush und seinen Leuten nicht zu, die Anschläge selbst geplant zu haben, aber: „Sie konnten zur Seite treten oder einfach Mittagessen gehen, während der Nation diese schrecklichen Dinge zugestoßen sind. Ich glaube, das haben sie getan.“


    Wer kennt ein Buch von Gore Vidal? Wenige Amerikaner (ganz zu schweigen von den Europäern) werden auch nur eines seiner bekanntesten nennen können, wie den historischen Roman „Lincoln“ oder „Mary Breckinridge“. Trotzdem wissen sehr viele, wer er ist. Obwohl er jahrzehntelang mit seinem Lebenspartner in Italien lebte, hat sein Name einen großen Klang in seiner Heimat. Man nennt ihn in einem Zug mit Truman Capote oder Norman Mailer, weil er wie sie eine öffentliche Figur war, politisch engagiert und unermüdlich auftrittsbereit; ja, man hätte ihn eine Institution nennen können, wäre dieses Wort nicht so unpassend, um seine lebenslange Opposition gegen die politischen Verhältnisse zu charakterisieren.


    Zwei Mal kandidierte der linksliberale Vidal (vergeblich) für die Demokraten, doch im Grunde war er politisch nirgends zu Hause, für ihn waren Republikaner wie Demokraten nur zwei rechte Flügel einer einzigen Partei. Als nicht einmal Zwanzigjähriger engagierte er sich als Isolationist gegen den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und blieb dieser Überzeugung ein Leben lang treu. Er geißelte den Imperialismus seiner Heimat, die Entwicklung zum „Polizeistaat“, die Macht der Großkonzerne und die Handlangerdienste der Medien ebenso wie die Scheinheiligkeit und Sklavenmentalität einer von der Übermacht der öffentlichen Meinung beherrschten Gesellschaft.


    Die Stärke dieses unabhängigen Geists war die scharfzüngige Satire, die zynische Analyse, das elegante Pamphlet. Nirgends konnte er sie so ausleben wie in seinen Essays, aber auch seine Romane sind davon geprägt und bestechen durch stilistische Brillanz. Vidals seit den 1970er-Jahren veröffentlichten historischen Romane aus der Reihe „Narratives of Empire“ (neben dem wenig schmeichelhaften Präsidentenporträt „Lincoln“ etwa „1876“, „Empire“ oder „Hollywood“) wurden zum Teil hochgelobt. Zweiter belletristischer Schwerpunkt waren satirische Romane – ein Weltbestseller wurde etwa das tabubrechende Buch „Mary Breckinridge“, das 1968 mit seiner Thematisierung von Transsexualität und Feminismus Tabus brach. Allerdings meinte Vidals Verleger, der Autor sei unfähig, sich seinen Figuren unterzuordnen; er sei für Belletristik einfach zu egozentrisch.


    Diese bedeutete ihm in seinen letzten Jahren auch nichts mehr. Da beschränkte er sich auf seine Position als kommentierender „Connaisseur des Niedergangs“, wie ihn ein US-Kritiker charakterisiert. Dass man sich noch lange an ihn erinnern wird, verdankt sich nicht zuletzt seiner frühen Tätigkeit als Dramatiker. So wird einer seiner größten literarischen Erfolge, die auch mit Jane Fonda verfilmte politische Satire „The Best Man“, derzeit wieder am Broadway gespielt.


    ("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2012)

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

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