Elsa Pettersson - Eine Liebe auf Gotland

  • Masken hatten es Lisa von jeher angetan.
    (Erster Satz)



    Restauratorin und Kunsthistorikerin Lisa Hoffmann begleitet Ausstellungsstücke nach Schweden.
    Um Philipp, der ihr in Deutschland Avancen macht, ein wenig aus dem Weg zu gehen und sich diese Geschichte ein wenig durch den Kopf gehen zu lassen, hängt sie spontan ein paar Urlaubstage auf einem Reiterhof auf Gotland an.
    Auf der schwedischen Ostseeinsel möchte sie aber nicht ihre Freizeit genießen, sondern sich beruflich weiterbilden, indem sie an einer Tagung über Bildsteine (einer in riesige Steinblöcke gemeißelte Bildkunst aus der Zeit der Wikinger) teilnehmen und Kirchen und andere historisch und kunsthistorisch bedeutsame Gebäude und Objekte besichtigen wird.



    Doch der kleine Timo vom Reiterhof sowie der schroffe und launische Malte kommen ihr immer wieder in die Quere, sodass sich die arbeitswütige und kopflastige Lisa nicht wirklich auf ihr ursprünglich geplantes Vorhaben konzentrieren kann.



    Lisa rasselt mit Malte, der Touristenführer, Naturschützer und Biologe ist, schon bei der ersten Begegnung heftig aneinander. Weitere dieser unangenehmen und streitsüchtigen Begegnungen sollen natürlich noch folgen und Lisa findet bis zu einem gewissen Grad Gefallen an den Wortgefechten und fordert diese geradezu heraus.



    Aber dann kommen ja nicht nur die alljährliche Mittelalterwoche in Visby, in der Malte nicht nur um den Sieg beim Ritterturnier kämpft und Lisa erkennt, an welchen Ritter sie ihr Herz verschenken will, sondern auch noch ein paar freie Tage davor, in der sich Lisa nicht wirklich entscheiden kann, was sie will und was sie braucht.
    So folgt man ihrem Gefühlschaos, ihrer Unsicherheit, ihrem Starrsinn, ihrem Schwanken zwischen Vernunft und Gefühl quer über die halbe Insel - von Bildstein zu Bildstein, von Trottellumme zu Krüppelkiefer, Seite an Seite mit Malte oder Timo.



    Anfangs habe ich noch befürchtet, dass das eine Rosamunde Pilcher-/ Inga Lindström- mäßige Liebesgeschichte werden würde mit den üblichen Zutaten und Hindernissen, die schnell überwindet werden: Ein kleiner, einsamer Junge, der sich nach einer intakten Familie sehnt, eine atemberaubende Landschaftskulisse und ein Pärchen, das sich lieber zankt als miteinander zu reden.
    Womöglich hätte der Reiterhof noch vor einer drohenden Pleite gerettet und Finanzhaie auf charmante Art und Weise ausgeschaltet werden müssen, damit das Pärchen endlich sein Glück finden und genießen und in den schwedischen Sonnenuntergang reiten darf ;O).



    Aber dem war dann zum Glück gar nicht so!
    Bekommen habe ich eine unaufgeregte und gemütliche Geschichte mit ein wenig Kunstgeschichte, skandinavischer Historie und nordischer Mythologie, Kultur und Natur, Pferdeluft, ein wenig mittelalterlichem Flair, Scheidungskindern, gescheiterten Beziehungen und Altlasten aus vergangenen Beziehungen.



    So wurde ich dann nicht nur für wenige sommerliche Stunden aufs schwedische Gotland mit seinen Wildpferdchen, Trottellummen und seinen bekannten Bildsteinen entführt, sondern auch in das Leben von Lisa und Malte hineingezogen, die mir jedoch anfangs beide recht unsympathisch erschienen.
    Doch je näher man sie kennen lernen durfte, umso mehr verstand man dann ihre Art zu handeln und zu denken - meistens in der Reihenfolge.



    So war dann auch die gesamte Geschichte überhaupt nicht kitschig oder dramatisch oder schwülstig, sondern dezent und unaufdringlich, einfühlsam und fast sogar ein bisschen distanziert, sodass man unbedingt wissen wollte, wie es mit Lisa und Malte weitergehen wird und, wann sie ihre Distanziertheit über Bord werfen, all das Unausgesprochene ansprechen, ihre Masken ablegen werden.



    Denn Lisa versteckt sich immer hinter ihrer Arbeit, dem Besinnen auf das Vergangene, das Verstehbare, und beraubt sich somit aller Freiheiten und Spontaneität. Und auch im Urlaub fällt es ihr schwer, diese Maske abzustreifen und sich einzugestehen, dass es auch noch etwas anderes geben kann außer ihrer Arbeit, dem Wunsch und dem Bestreben, die Beste darin zu werden.
    So wird die geplante Bildungsreise für Lisa eine Reise zu sich selbst und zu den wichtigen Dingen im Leben und zu den Dingen, die man einfach mal ausprobiert, die man riskiert:
    Auf einen Pferderücken klettern, eine Einladung zu einem Ausflug einnehmen, dessen Ziel und Ende man nicht kennt, die Füße im Wasser baumeln lassen - einfach mal nichts tun anstatt von einem Wandgemälde zum nächsten zu hetzen, immer an die Karriere zu denken.
    Der Vernunft ein wenig zu trotzen und stattdessen die Freiheit zu genießen, auch wenn man nicht weiß, wohin all dies führen wird.



    Und Malte verhält sich auch so, als ob er nicht so genau wüsste, was er denn nun will:
    Er kann charmant sein und flirten oder distanziert und abweisend reagieren, wenn nicht sogar unhöflich und schroff. Was er unter seiner Maske versteckt und warum, erfahren der Leser und Lisa nur nach und nach.



    Natürlich weiß man als Leser, wie die Geschichte enden wird, das weiß man bei solchen Geschichten ja immer, obwohl immer die Frage im Raum schwebte, wie weit die Annäherung zwischen Lisa und Malte voranschreiten oder ob es nicht doch bei einem Sommerflirt bleiben wird.
    Das Ende, nun ja, dennoch ein bisschen zu kitschig und dramatisch...



    Und irgendwann erfährt man dann auch, wie es zu dem kitschigen Titel gekommen ist, der den Leser ein wenig in die Irre führen könnte, denn "Eine Liebe auf Gotland" ist mehr als eine Liebesgeschichte zwischen einer vernünftigen und kopflastigen deutschen Touristin und einem rauen schwedischen Naturburschen.
    Stattdessen wurde "Eine Liebe auf Gotland" mit Interesse an Kunst, Geschichte und Natur und vor allem Lokalkolorit geschrieben, sodass man hauptsächlich dem Charme der rauen Ostseeinsel erliegen wird.
    Genauso gut hätte man den Roman auch "Verstand und Gefühl" oder "Stolz und Vorurteil" taufen können, wenn man sich die Handlungsweisen der Protagonisten vor Augen führt ;O).



    Die letzte Seite klappt man dann auch mit ein wenig Wehmut, aber mit ganz viel Fernweh zu, sodass man am liebsten die Köfferchen mit den Wanderschuhen und der Regenjacke packen würde und einen Platz auf einer Fähre gen Gotland buchen würde.
    Eine leichte, unterhaltsame, selten kitschige Sommerlektüre, durch die man für wenige Euro einen Kurzurlaub in Schweden verbringen kann.



    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:




    Erinnerte mich von der Grundstimmung an Der letzte lange Sommer von Dagmar Trodler und an Die Geister von Rosehill von Susanna Kearsley.

    :study: C L Wilson - Der Winter erwacht
    :) Gelesen 2013: 105 / 2014: 77 / 2015: 16
    8-[ SUB: Ich geb`s auf...



  • Vielen Dank für deine Rezi :) Diese Beschreibung hat es mir angetan:


    "eine unaufgeregte und gemütliche Geschichte mit ein wenig Kunstgeschichte, skandinavischer Historie und nordischer Mythologie, Kultur und Natur, Pferdeluft, ein wenig mittelalterlichem Flair"


    Deswegen kommt es auf die Wunschliste!

    Bücher müssen schwer sein, weil sie eine Welt in sich tragen.

  • Supi :D ! Freut mich :D !



    Aber die Betonung liegt auf "ein wenig" :wink: . Von allem ein bisschen was, ein kurzes Kratzen an der Oberfläche - für meinen Geschmack hätte es davon noch mehr sein können und dementsprechend auch 100 Seiten mehr!


    Es ist auf jeden Fall so geschrieben, dass das Interesse für diese beschauliche Insel geweckt wird!

    :study: C L Wilson - Der Winter erwacht
    :) Gelesen 2013: 105 / 2014: 77 / 2015: 16
    8-[ SUB: Ich geb`s auf...