Tana French: Schattenstill/ Broken Harbour

  • Originaltitel: Broken Harbour


    Klappentext (Buchrückseite)


    In Broken Harbour, einer windgepeitschten Geisterstadt voller Bauruinen, ist eine ganze Familie ausgelöscht worden. Seltsame Löcher klaffen in den Wänden ihres Hauses. Was ist an diesem heillosen Ort geschehen? Kühl und methodisch beginnt Detective Mike Kennedy mit den Ermittlungen - doch Broken Harbour zieht auch ihn erbarmungslos in sein zerstörerisches Kraftfeld.
    Tückisch, tödlich, schattenstill - noch nie hat Tana french uns an einen grauenvolleren Schauplatz mitgenommen.


    Eigene Beurteilung


    Dieser Roman ist der vierte Krimi von Tana French, man kann ihn aber völlig unabhängig von den übrigen Büchern lesen und verstehen.


    Der Ich-Erzähler dieses Romans, Detective Mike Kennedy, auch "Rocky" genannt, hat einen neuen Partner bekommen, den er anlernen soll. Der erste gemeinsame Fall des neuen Teams ist ebenso grausam wie spektakulär: Fiona Rafferty will ihre Schwester Jenny Spain samt Familie besuchen, da Jenny entgegen ihren Abmachungen nicht telefonisch erreichbar war. Im Haus der Spains findet sie Jennys Ehemann Pat durch zahlreiche Messerwunden ermordet vor, auch Jenny weist zahlreiche Stichverletzungen auf und ist schwerstverletzt. Im oberen Stockwerk entdeckt Fiona die Kinder des Paares, die sechsjährige Emma und den dreijährigen Jack, tot in ihren Betten, die Kinder wurden jedoch nicht erstochen, sondern erstickt.
    Da Jenny ihrer Schwester von dem Verdacht berichtet hatte, dass während der Abwesenheit der Familie ein Unbekannter in ihr Haus eingedrungen sein könnte, ohne etwas zu stehlen, machen sich Kennedy und sein Partner Richie Curran auf die Suche nach dem Einbrecher. Sie ermitteln aber auch in andere Richtungen, wobei sie sich nicht immer einig sind, sich aber erfolgreich zusammenraufen. Jenny ist zunächst nicht vernehmungsfähig, als sie wieder zu Bewusstsein kommt, scheint sie etwas zu verschweigen...
    Parallel zum Fall gibt es noch einen Handlungsstrang um Kennedys Schwester Dina, die psychisch krank ist und ausgerechnet jetzt ihren überarbeiteten und übermüdeten Bruder mit ihren Problemen belastet.


    Obwohl in diesem langen Roman handlungstechnisch gesehen nicht sehr viel passiert, handelt es sich um ein ungemein komplexes Buch, das man nicht schnell herunterlesen kann. Die Vernehmungen der Beteiligten, vor allem des relativ schnell verhafteten Hauptverdächtigen, werden in langen Kapiteln ausführlich geschildert, wobei die Autorin wieder ihre ganze "Sprachkunst" entfaltet, sehr anschaulich und glaubwürdig schreibt, sodass der Leser den Eindruck hat, er sei selbst im Vernehmungsraum anwesend. Auch andere Aspekte der Ermittlungen, wie z.B. die Wiederherstellung der aus Pats Computer gelöschten Daten wird akribisch über viele Seiten hinweg in Form von Forenbeiträgen präsentiert, wodurch man sich ein Bild von der Vorgeschichte dieses tödlichen Dramas machen kann. Die Dynamik von Internetforen ist sehr realistisch dargestellt.
    Trotz der sehr langgezogenen Erzählweise habe ich das Buch nicht als langatmig empfunden. Lediglich die Kapitel um Kennedys (für mich) sehr nervige Schwester und die problembeladene Familiengeschichte der Kennedys hätten meiner Meinung nach weniger detailliert gestaltet werden können. Auch eine Einteilung in etwas kürzere Kapitel wäre hilfreich gewesen, denn das Buch ist inhaltlich keine leichte Kost und erforderte - zumindest bei mir - Lesepausen.


    Wer einen actionreichen Thriller zur schnellen Unterhaltung erwartet, ist mit "Schattenstill" nicht so gut beraten. Freunde anspruchsvoller Romane kommen jedoch voll auf ihre Kosten, wobei sich hier der äußerst gekonnte Erzählstil mit einem originell konstruierten Kriminalfall verbindet. Krimifreunde, die gewillt sind, Zeit und Konzentration zu investieren, können sich auf ein großartiges "Kopfkino" freuen.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

    2 Mal editiert, zuletzt von €nigma ()

  • Und dies ist der Link zum Original. Ich habe das Buch aus der Bücherei entliehen, deshalb also die deutsche Ausgabe gelesen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Danke, €nigma, für deine interessante Rezi! Um dieses Buch schleiche ich schon eine Weile drumherum. Irgendwie fasziniert es mich, obwohl ich bislang noch kein Buch der Autorin gelesen habe und sonst eigentlich eher nicht auf Krimis / Thriller stehe. Aber der Klappentext klingt so interessant und es ist so schön dick. :wink:


    Gut zu wissen übrigens, dass man das Buch auch losgelöst von den anderen Bänden lesen kann.


    Vielleicht habe ich auch das Glück, es in der Bücherei zu finden...

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Die im Link genannten Figuren kommen allesamt nicht vor.


    Das ist sowieso ein Elend mit den Personen der Reihe. Cassie erscheint in Band 1-3, Rob in 1, Frank in 2 und 3 (wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe). Aber zumindest eine Protagonistin blieb gleich.


    "Schattenstill" scheint also ein separates Buch außerhalb der Reihe zu sein.


    Vielleicht hat meine Bücherei es während der Ferien angeschafft, sonst muss ich das Wunschbuch bemühen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Cassie erscheint in Band 1-3, Rob in 1, Frank in 2 und 3 (wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe). Aber zumindest eine Protagonistin blieb gleich.


    Ich habe bisher nur ihr drittes Buch ("Sterbenskalt") gelesen und das erste auf dem SuB. Im dritten und vierten Buch gibt es keine Überschneidungen beim Personal. Demnach handelt es sich also gar nicht um eine Reihe, sondern um einzelne Romane derselben Autorin.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ich habe bisher die ersten drei Bücher von Tana French gelesen, "Schattenstill" steht noch auf der Wunschliste.


    Zu den Personen ist zu sagen, dass immer nur eine Haupt- oder Nebenfigur aus einem Buch in einem der nächsten Bücher wieder als zentrale zentrale Person auftaucht. Im ersten Buch stehen Rob Ryan und Cassie Maddox im Mittelpunkt, im zweiten Cassie Maddox und Frank Mackey, im dritten Frank Mackey und Mike Kennedy, im vierten Mike Kennedy und Richard Curran...mal sehen ob im fünften Buch dann Richard Curran und N.N. die Hauptfiguren sind. Mike Kennedy wird auf der Homepage der Autorin im Buch "Sterbenskalt" übrigens als Frank Mackeys alter Kumpel und Rivale geführt >klick< (Hmmm...unten drunter steht "Ermittler in Totengleich"....ist das ein Fehler auf der Homepage oder hakt meine Theorie doch???)


    Fazit ist auf jeden Fall: Man kann die Bücher nacheinander lesen, muss es aber nicht.

  • Mir macht es nichts aus, wenn ein Krimi "langsam" erzählt wird. Oft gefallen mir gerade solche Krimis, die in den Amazon-Kritiken von anderen Lesern und Leserinnen als langatmig oder langweilig bezeichnet werden.
    "Schattenstill" wollte ich mir eigentlich nicht kaufen, weil mir Tana Frenchs letzter Krimi nicht gefallen hat; ich mochte Frank Mackey nicht, und die Ermittlung selbst fand ich auch nicht besonders interessant. Zum Glück habe ich mich bei einem spontanen Frustkauf doch noch für "Schattenstill" entschieden. Tana French in Höchstform. Der Fall ungemein spannend, geradezu gruselig - gerade wie sich im Zug der Ermittlung in Internetforen so nach und nach ein Bild des Alltags in Brianstown herausbildet, das fand ich hervorragend erzählt. Dass Tana French so genau an der Ermittlung entlang erzählt, gefiel mir gerade bei diesem Krimi sehr gut: Anfangs stellt sich dem Team eine sehr bizarre Tatortsituation dar, mit gespenstischen Einzelheiten (die Löcher, die Babyphone, der Maschendraht), und nach und nach füllt sich jede Einzelheit mit Leben, bis sich am Ende alles ganz locker und zwanglos zu der Katastrophe zusammenfügt, die zum Mord führte.


    Ich finde das Buch genial; ich wollte, wir hätten öfter solche Krimis.
    Die Geschichte mit Rockys Schwester nahm mir etwas zu viel Raum ein - ich mag es nicht so, wenn der Alltag der Ermittler auch privat mit Superstress vollgequetscht wird. Ermittler, die die Betreuung ihrer Kinder zu Hause nicht gebacken kriegen, pflegebedürftige Eltern (ich denke da mit Grausen an das Elternhaus der früheren Tatort-Ermittlerin Charlotte Sänger) oder Kommissare, die vor lauter Stress ihre Hemden nicht waschen können (Wallander) ... ich fühle mich da immer als Leser richtig mitgestresst. Allerdings war in "Schattenstill" Rockys Familiengeschichte ja auch ein wichtiger Baustein in seinem Zugang zu dem Fall.


    Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir für Tana French allerdings mal bessere Titelübersetzungen wünschen ...


    Grüße von Zefira

  • Zu den Personen ist zu sagen, dass immer nur eine Haupt- oder Nebenfigur aus einem Buch in einem der nächsten Bücher wieder als zentrale zentrale Person auftaucht. Im ersten Buch stehen Rob Ryan und Cassie Maddox im Mittelpunkt, im zweiten Cassie Maddox und Frank Mackey, im dritten Frank Mackey und Mike Kennedy, im vierten Mike Kennedy und Richard Curran...mal sehen ob im fünften Buch dann Richard Curran und N.N. die Hauptfiguren sind.


    Es werden immer mehr Personen und da es keinen Reihennamen gab habe ich sie der Reihe nach aufgeführt, aber inzwischen stehen die Bücher bei fantastic fiction als Reihe und diese heisst: Dublin Murder Squad
    So werde ich die Reihe umbenennen.Liebe Grüsse Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Klappentext:


    Ein gnadenloser, uralter Wind weht durch Broken Harbour. Aus dem Küstenflecken nördlich von Dublin sollte eine schicke Neubau-Siedlung werden. Doch die Wirschaftskrise hat eine schattenstille Geisterstadt voller Ruinen hinterlassen. In einem der wenigen bewohnten Häuser wird eine junge Familie aufgefunden - die Eltern brutal niedergestochen, die beiden kleinen Kinder erstickt. In den Wänden des hübsch eingerichteten Häuschens klaffen rätselhafte Löcher.
    Detective Mike Kennedy, der zu dem Fall gerufen wird, weiß genau, was er tut: Seine Aufklärungsrate ist hoch, seine Methodik effektiv. Der Fall wird ablaufen wie ein Uhrwerk, erklärt er seinem jungen Partner. Dabei müsste gerade Kennedy wissen, dass Broken Harbour niemanden davonkommen lässt.


    Die Autorin:


    Tana French ist die junge Bestsellerstimme des anspruchsvollen Kriminalromans. Ihre tiefgründigen, hochspannenden Romane um Täter, Opfer und Ermittler aus dem Dubliner Universum finden sich regelmäßig auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten in aller Welt. Tana French wuchs in Irland, Italien und Malawi auf, machte eine Schauspielausbildung am Dubliner Trinity College und arbeitete für Theater, Film und Fernsehen. Für ihre Kriminalromane wurde sie international vielfach ausgezeichnet. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Dublin.


    Krimi, 732 Seiten


    Meine Meinung:


    Wie gut, dass sich Tana French für eine Schriftstellerkarriere entschieden hat. Manche Autoren haben es wirklich drauf und besitzen ein Talent. Tana French ist mit dieser Gabe bestens ausgestattet. Hervorragend, wie sie in ihrer detailierten Schreibweise ein psychologisch ausgefeiltes Familiendrama offenbahrt. Die Handlung erstreckt sich nur über wenige Tage, aber in ihrer komplexen Story schafft es die Autorin, die Vorgänge trotz seitenlanger und umfangreicher Beschreibungen niemals langatmig wirken zu lassen. Im Gegenteil, man wird richtig in die Geschichte eingesogen und kann das Buch nur schwer aus der Hand legen.


    Der Ich-Erzähler Detective Mike Kennedy ist mir am Anfang unsympathisch gewesen, weil er gleich zu Beginn der Handlung erklärt, er sei der Beste und genau richtig für diesen Fall. Aber im Laufe der Geschehnisse wird er immer zugänglicher und offenbahrt einen geradlinigen und nüchternen Charakter, der auch für diesen Beruf unabdingbar ist. Allerdings ist auch er nicht unfehlbar, und das wird er auch am Ende einsehen müssen. Mit allen Konsequenzen. Sein Partner hat mir auch gut gefallen. Der junge Richie besitzt großes Einfühlungsvermögen und hätte eigentlich eine Fortsetzung verdient. Na, mal sehen, vieleicht taucht er in einigen späteren Romanen ja wieder auf. Ich hoffe jedenfalls, das die Autorin noch weitere Bücher dieser Art folgen lässt. :lechz:


    Faszienierend fand ich hier ganz besonders, wie nach und nach eine Familiengeschichte aufgeblättert wird. Die dann in einer Tragögie endet. Wie bei einer wirklichen Vorzeigefamilie vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise ein wahrer Horror hereinbricht. Was die Arbeitslosigkeit bewirken kann. Allerdings glaube ich, einige psychotische Tendenzen müssen schon vorher vorhanden gewesen sein und brechen jetzt deutlicher hervor. Und das alles wird im Laufe der Ermittlung in vielen Gesprächen und Vernehmungen immer mehr herauskristallisiert. Das ist manchmal richtig gruselig, als die Forenbeiträge im Internet des Ehemanns aufgedeckt werden und eine Erklärung für die Löcher in den Wänden gefunden wird. Erschreckend auch, was die Befragung der Nachbarfamilie ergibt. So viel Gehässigkeit und das vor dem Hintergrund der Familientragödie. Unfassbar. [-(


    Zum Titel: Warum kann man hier bei den Büchern eigentlich nicht einfach den Originaltitel übernehmen, statt irgendwelcher Wortschöpfungen? Was bitteschön bedeutet "Schattenstill"? Ok, im Klappentext heißt es "eine schattenstille Geisterstadt voller Ruinen". Ich habe das Wort trotzdem noch nie gehört und finde es ziemlich bescheuert für einen Titel. Aber egal, die Handlung reißt das ja alles wieder raus. :thumleft:


    Mein Fazit: Toller Schreibstil. Ein Roman, den man wirklich genießen kann und der einen nicht so schnell wieder los lässt. Davon wünsche ich mir mehr. Meine Bewertung: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

    2 Mal editiert, zuletzt von birgitk ()

  • Zum Titel: Warum kann man hier bei den Büchern eigentlich nicht einfach den Originaltitel übernehem statt irgendwelcher Wortschöpfungen?


    Das würde ich mir auch wünschen. Gerade hier, mit einem Ortsnamen im Titel, wäre es auch problemlos möglich gewesen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Sie ist DIE Dialogschreiberin unter den Krimiautoren und daher setzt sie, ähnlich wie in "Totengleich" ihr Hauptaugenmerk auf die Gespräche zwischen Ermittlern und Zeugen / Ermittlern und Verdächtigen. Auch wenn manche Stellen Kürzungen vertragen hätten: Durch die Unmittelbarkeit der Dialoge und die Reaktionen der Gesprächspartner entsteht eine sogartige Spannung.


    Auch wenn der Komplex um Mikes Schwester zuviel Raum einnimmt und letztlich nervig herüberkommt, kann man dadurch zwischen den Zeilen eine innere Verbindung zwischen der aktuellen Opferfamilie und der Familie des Detectives herauslesen.


    Nach deiner Rezension, €nigma, hatte ich das Buch ins Wunschbuch meiner Bücherei geschrieben, aber ständig war es unterwegs, bis ich es jetzt ergattern konnte. Danke für den Tipp, durch den ich den spannendsten Krimi der letzten Monate gelesen habe.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich habe das Buch als Hörbuch gehört, gelesen von Uve Teschner, der mich wieder voll in seinen Bann gezogen hat. Das ist mein drittes Hörbuch von Tana French und ich muss sagen, mit jedem Buch steigert sie sich. Sie ist für mich die beste Krimi Autorin die ich kenne und es hat sich wieder mal gezeigt, es muss sich nicht ein blutiger Faden durch das Buch ziehen um gnadenlos spannend zu sein.
    Allerdings ist dies kein Buch zum runterhören und fertig. Die vielen Dialoge und Verhöre aus denen sich das Buch zusammensetzt, hinterlassen einen nachdenklichen Eindruck. Ich habe daher auch etwas länger gebraucht für das Buch, da ich nur beim putzen, bügeln und kochen Hörbuch höre. Das einzige was mich ein klein wenig gestört hat, waren die privaten Verhältnisse von Mike, die sehr viel Raum eingenommen haben. Alles in allem ein Buch, dass man definitiv weiter empfehlen kann. Aber es muss ganz klar gesagt werden, dies ist kein Krimi für Actionfans, die werden enttäuscht werden.

    :montag: Leichengift - Robert Ellis

    :musik:  Der Zorn des Oktopus - Dirk Rossmann

  • Ein Familiendrama beherrscht sämtliche Nachrichtensendungen und Schlagzeilen: in einer am Reißbrett entstandenen Neubausiedlung am Meer wurden zwei Kinder erstickt und die Eltern mit Messerstichen attackiert. Die Indizien sprechen keine eindeutige Sprache, und die Ermittler sind äußerst verwundert, als sie in dem an sich penibel sauberen und liebevoll eingerichteten Häuschen Spuren der Verwüstung vorfinden, dienicht direkt in Zusammenhang mit den Morden zu stehen scheinen.


    Eine echte Kopfnuss für Mick "Scorcher" Kennedy, den Leiter der Ermittlungen. Dass die Medien die Polizei permanent im Blick haben, ist nicht gerade hilfreich, ebensowenig wie die Ungereimtheiten, die nachund nach ans Tageslicht kommen. Waren die Spains am Ende nicht die glückliche kleine Musterfamilie, für die sie jeder hielt? Liegt der Grund für die Verbrechen irgendwo in ihrer Vergangenheit, oder hat der Täter sie willkürlich ausgewählt?


    Kennedy, der als kühler, abgeklärter Kopf gilt, der sich stets an die Regeln hält und äußerst selten Persönliches durchsickern lässt, geht dieser Fall mehr an die Nieren, als er gerne zugeben möchte, nicht zuletzt, weil er das heutige Brianstown noch aus der Zeit vor den billigen Neubauten als Familienurlaubsort kennt. Ob er seinem neuen Partner Richie Curran traut, weiß er nicht so recht, schließlich ist der gerade erst zur Mordkommission gewechselt und noch völlig grün hinter den Ohren, und auch privat kommt er nicht zur Ruhe, weil er Sorgen um seine psychisch labile Schwester Dina hat.


    "Scorcher" Kennedy ist nicht gerade der Beliebteste unter den Beamten der Dubliner Mordkommission und kam auch in Tana Frenchs bisherigen Büchern nicht sonderlich gut weg (vor
    allem Frank Mackey, der in "Faithful Place" die Hauptrolle spielt, konnte ihn nicht ausstehen). In diesem Buch darf er nun selbst das Wort ergreifen, und man erkennt hinter der unnahbaren Fassade, die manchmal schon fast überheblich wirkt, einen ganz normalen und gar nicht mal so unsympathischen Menschen. Im Laufe des Buches wird sogar ein wenig klar, warum er möglicherweise so ist, wie er ist.


    Der Fall Spain wühlt Mick nicht zuletzt wegen seiner eigenen Geschichte enorm auf, er gibt sich aber dennoch größte Mühe, stets professionell zu bleiben. Interessant fand ich auch zu beobachten, wie er seinem neuen Partner gegenüber auftaut, dem er zuvor gar nichts zugetraut hätte, und fast so etwas wie ein Mentor für ihn wird.


    Was wirklich hinter den Taten steckt, kristallisiert sich ganz langsam und für mich oft überraschend heraus. Von selbst wäre ich im Leben nicht draufgekommen, aber am Ende wirkt alles doch auf traurige Weise plausibel.


    Sehr gut gefallen hat mir, dass Tana French aus den Ermittlern keine Superhelden macht, es sind einfach Menschen mit Sorgen, Ängsten, Fehlern, Stärken und Schwächen, die ihre genialen und ihre dämlichen Momente haben. Und erneut hat sie keinen im herkömmlichen Sinne atemberaubenden Thriller mit Splattereffekten und schnellen Schnitten geschrieben, sondern ein
    großartiges Psychodrama, das sich mit Familiendynamiken in diversen Ausprägungen und der Wirtschaftskrise und ihren Folgen für Irland beschäftigt.


    Am Ende ging es mir vielleicht ein klein wenig zu schnell bzw. war mir der Schluss etwas zu abrupt, ansonsten aber wieder ein richtig gutes Buch.


    Was ich allerdings dämlich finde: wieso heißt Mick Kennedy in der deutschen Version Mike Kennedy? Über den deutschen Titel brauchen wir gar nicht erst zu diskutieren ...