Georges Flipo - Tote Dichter lügen nicht

  • Klappentext:
    Kommissarin Viviane Lancier, 37 Jahre alt und Single, kämpft mit den Pfunden und lässt ihre schlechte Laune mit jeder neuen Diät gerne an ihrem rein männlichen Team aus. Und der Mord an einem Obdachlosen, der auf mysteriöse Weise mit einem anscheinend von Baudelaire stammenden Sonett zusammenhängt, bessert keineswegs ihre Stimmung. Als immer mehr Menschen sterben, die mit dem Gedicht in Berührung kamen, steht für die Kommissarin eines fest: Dass sie von Lyrik nichts versteht, hilft ihr in dem Fall nicht weiter, genauso wenig wie der neu zu ihrer Mannschaft gestoßene Augustin Monot, der ebenso unfähig wie unwiderstehlich ist. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Georges Flipo wurde als Hörfunkredakteur für eine literarische Radiosendung bekannt. Er hat bereits mehrere Romane und Kurzgeschichten in Frankreich veröffentlicht. Tote Dichter lügen nicht ist sein erster Roman in deutscher Übersetzung. (von der Verlagsseite kopiert)



    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: La Commissaire n’aime point le vers
    Erstmals erschienen 2010 bei La Table Ronde, Paris
    Aus dem Französischen übersetzt von Norma Cassau
    314 Seiten, gegliedert nach den Ermittlungstagen 21. Januar bis 22. März, die Tageskapitel übergreifend in 21 nummerierte Kapitel aufgeteilt
    Erzählt aus der personalen Perspektive der Viviane.


    Inhalt:
    Es hätte kein Fall für Viviane Lancier sein müssen. Wenn nämlich der zufällig vorbeikommende Assistent Monot den ermordeten Pascal Mesneux nicht bewegt hätte, wäre die Leiche im Terrain eines anderen Kommissariats und somit in dessen Zuständigkeit gelandet. So aber plagt sich die griesgrämige, mürrische und unzufriedene Kommissarin nicht nur mit einem toten Obdachlosen, der aussieht wie Victor Hugo und in seiner Tasche die Kopie eines Sonetts bei sich trägt, das möglicherweise Baudelaire zugeschrieben werden kann, sondern auch mit den Zeitungen, einer Hellseherin, einem eitlen Graphologen, einem Namensvetter des Dichters und einem Sammler. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der sie eine Diät nach der anderen ausprobiert und sich an ihren neuen Assistenten und dessen schönes Gesicht gewöhnen muss. Auch bleibt Pascal nicht das einzige Opfer; jeder, der mit dem Sonett in Berührung kommt, stirbt eines unnatürlichen Todes.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Pariser Kommissare haben es a priori schwer: Sie müssen sich behaupten gegen Übervater Maigret und seit ein paar Jahren auch gegen den unvergleichlichen Adamsberg.
    Viviane personifiziert ein Kontrastprogramm. Ihr Selbstbild ist beklagenswert, und diese Klage vollführt sie mit Ausdauer und Zähigkeit: Zu dick, einsam, von niemandem geachtet, geliebt, Spielball von Presse, Chef und Schokoriegeln. Dennoch wirkt der Jammer unecht, so, als sei sie es sich schuldig zu jammern, und auch wenn es ihr einmal gut gehen könnte, muss es ihr schlecht gehen, sonst scheint ihr Leben in falschen Bahnen zu laufen. Sie setzt alles daran, vor sich selbst als tragische Figur zu gelten, kaschiert damit ihre Unausstehlichkeit.
    Sie kommandiert ihre Abteilung vor allem mit schlechter Laune, persönlicher Distanz und unkommunikativem Verhalten – sie ist also eine Chefin, wie man sie niemandem wünscht, und trotzdem: Ihre Arbeit und die ausschließlich männlichen Kollegen, von denen der Leser nur Monot näher kennenlernt, geben ihrem Leben seinen einzigen Sinn.


    Ihre Kompetenz allerdings stellt nicht nur die Presse, sondern auch der Leser in Frage, und er wundert sich, was sie den ganzen Tag macht, bzw. welche Ermittlungen sie überhaupt vornimmt. Hier eine Alibiüberprüfung, dort ein Gespräch, hier eine Beobachtung, dort eine Recherche. Und das Ganze planlos und unmethodisch.
    Dadurch wirkt der gesamte Handlungsrahmen strukturlos, unübersichtlich und ohne Elan, fatal für eine Kriminalgeschichte, von der man Spannung erwartet.


    Zwischen all den Verdächtigen, von denen die meisten kein individuelles Gesicht haben, und ihren vielfachen Verstrickungen in die Geschichte von Baudelaires Sonett und den Details, zwischen denen Viviane chaotisch hin und her läuft, erlahmt das Interesse eines Lesers, so dass es letztlich egal wird, wer jetzt die Morde begangen hat.
    Normalerweise haben Krimis um alte verschollene Manuskripte, die Frage nach deren Echtheit und ihre Verbindung zu mysteriösen Todesfällen einen besonderen Reiz und laden zum Miträtseln ein. Tatsächlich gehören die Passagen, in denen Morot, der studierte Literaturwissenschaftler, und die Kommissarin, die, wie der Originaltitel verrät, das Gedicht – oder generell Gedichte – nicht mag, ihre Kabbeleien um Lyrik austragen, zu den amüsanten Leseteilen. Aber generell trägt die Idee um das Baudelaire-Sonett den Krimi nicht.


    Fazit:
    Ein wegen der unstrukturierten Geschichte und der unzugänglichen Protagonistin eher zäher Krimi.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Vielen Dank für die ausführliche Rezension, Marie. :thumleft: Schade, dass der Krimi kein großer Wurf ist, so wird er wohl doch noch recht lange nur auf meiner Wunschliste bleiben.

    ~Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.~
    - Heinrich Heine -

  • @ Eimyria,
    Vielleicht gefällt es dir besser als mir. Bei Amazon ist eine 5- :bewertung1von5: -Bewertung zu lesen, die den Autor schon auf der Spur von Fred Vargas sieht.


    Ich würde, wenn es einen nächsten Band gibt, Viviane Lancier noch eine zweite Chance geben. Wenn ich z.B. an Jo Nesbø denke: Sein erster Harry-Hole-Krimi gefiel mir nicht, und heute ist es eine meiner Lieblingsserien.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)