Wellershoff, Dieter - Der Himmel ist kein Ort

  • Kurzmeinung

    Melgarion14
    interessanter Einblick in eine mir unbekannte Gedankenwelt; nüchterner Schreibstil, der nur wenig zu fesseln vermochte
  • Es ist die Aneinanderreihung von Perspektiven, Ereignissen und zentralen Lebensfragen, die gekonnt ineinander fließen und den Roman attraktiv machen.


    „Der Himmel ist kein Ort“ beginnt mit einem tragischen Unfall nachts zu dem der Pfarrer als seelsorgerischen Beistand hinzu gezogen wird. Der Realschullehrer Karbe fährt seinen Wagen in den See, wobei Frau und Sohn untergehen. Seine Ehefrau überlebt den Unfall nicht und der Sohn hat keine medizinische Chance jemals wieder aus dem Koma aufzuwachen. Im Dorf kommt daraufhin viel Klatsch und Tratsch zutage, aber allgemein wird dem Lehrer dieses Ereignis angelastet, man spricht von Mord und erzählt von den Eheproblemen dieses Paares.


    >>Es war der lahmende Rhythmus der Halbherzigkeiten. Sie beteten, als ob sie beteten, wie gefesselt von einer vagen Beschämung, die sie veranlasste, ihre Stimmen im undeutlichen Gemurmel verschwimmen zu lassen.<<


    Der Protagonist des Buches, Pfarrer Ralf Henrichen, versucht in das Innenleben des Lehrers vorzudringen, zwar vergeblich, doch was er erfährt erinnert ihn sehr an seine eigene Situation. Erschrocken entdeckt er auch ein paar Parallelen im Charakter. Als nun das ganze Dorf in opportunistischer Haltung gegen Karbe agiert, verteidigt Henrichen ihn und verliert dabei seinen Glauben an Gott.


    >>Gott ist die Selbstwahrnehmung der Wirklichkeit.<<


    Und so reiht sich das Eine ins andere, es kommt zu einer seltsamen Begegnung, zu einer Tragödie und für Henrichen führt das Ereignis letztendlich mit einer neuen Gewissheit in den Alltag zurück. Meiner Meinung nach ist diese Aneinanderreihung genauso wie das Leben so spielt, ohne Schnörkel und leeren Versprechungen; und das ist es was ich an diesem Buch so mochte.


    Dieter Wellershoff, geboren am 3. November 1925 in Neuss, lebt in Köln. Er schrieb Romane, Novellen, Erzählungen, Essays und autobiographische Bücher, z.B. Der Ernstfall, 1995, über seine Erfahrungen im 2. Weltkrieg. Wellershoff hielt poetologische Vorlesungen an in- und ausländischen Universitäten, zuletzt in Frankfurt a.M. Er erhielt u.a. den Hörspielpreis der Kriegsblinden, den Heinrich-Böll-Preis, den Hölderlin-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis und den Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik. Übersetzungen erschienen in bisher 15 Sprachen. Dieter Wellershoffs literarisches, essayistisches und autobiographisches Werk erscheint bei Kiepenheuer & Witsch, auch gesammelt in einer sechsbändigen Werkausgabe, hg. v. K. Bullivant und M. Durzak, die weitergeführt wird. In den letzten Jahren erschienen der Roman Der Liebeswunsch, 2000, der Essayband Der verstörte Eros. Zur Literatur des Begehrens, 2001, der Erzählungsband Das normale Leben, 2005 und zuletzt die Essaysammlung Der lange Weg zum Anfang, 2007. (Klappentext)

  • Danke für die Rezi, Buchkrümel. Ich habe vor langer Zeit den Roman "Der Liebeswunsch" gelesen. Ich weiß aber leider nur noch, dass er mir sehr gut gefallen hat. :) Daher denke ich, dieses Buch könnte auch was für mich sein. Mal sehen, ob ich in unserer Bücherei fündig werde.

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Ralf Henrichsen ist (evangelischer) Pfarrer in einer Kleinstadt in Norddeutschland. Dass er als Notfallseelsorger gelistet ist, hatte er schon fast vergessen, als in einer regnerischen Nacht sein Telefon klingelt und er zu einem tödlichen Unfall gerufen wird. Ein Auto ist in einen See gestürzt, der Fahrer, ein Lehrer namens Karbe, konnte sich retten, während seine Frau nur tot geborgen werden kann. Der gemeinsame Sohn kommt mit schweren Hirnschäden ins Krankenhaus.


    Henrichsen fährt pflichtbewusst zum Unfallort, erreicht den Unglücksfahrer aber nicht mit seinem Versuch, ihm beizustehen. Damit beginnt eine Phase des Zweifelns. Zweifel daran, ob es wirklich ein Unfall war, Zweifel an seiner Eignung für den Beruf des Pfarrers und, am allerschlimmsten für ihn, Zweifel daran, ob es überhaupt einen Gott gibt und ob er das, woran er doch schon alleine von Amts wegen glauben müsste, überhaupt noch glauben kann.


    In der Gemeinde zerreißt man sich inzwischen die Mäuler über das tödliche Unglück, wilde Theorien werden gesponnen, und Henrichsen fragt sich, was davon nun Klatsch und was Wahrheit ist, gerät in den Fokus der Presse und hat immer mehr das Gefühl, dass ihm alles über den Kopf wächst. Hinzu kommen noch überraschend persönliche Briefe von einer Frau, die er nur einmal kurz gesehen hat. Kurz, Henrichsens bisher zwar nicht gerade aufregend-erfüllendes, aber doch ganz brauchbares Leben steht völlig kopf.


    Ein zweifelnder Pfarrer, dessen Gemeinde anlässlich eines rätselhaften Autounfalls gespalten ist, der sich mit unverhofften Liebesbriefen auseinandersetzen muss und sich seinem Job nicht mehr gewachsen fühlt, ist eine interessanter Protagonist. Dachte ich jedenfalls, als ich anfing zu lesen. Mein erstes Problem war, dass ich diesen Ralf Henrichsen nicht wirklich mochte. Seine Zweifel und seine Unvollkommenheiten sind zwar menschlich und durchaus sympathisch, sein schon fast übergriffiges Verhalten, als er Karbe unbedingt besuchen und mit ihm über den Unfall und die anstehende Beerdigung seiner Frau reden will, ging mir aber gewaltig gegen den Strich.


    Aber ich muss eine Figur ja nicht zwingend mögen, um ihre Geschichte gerne zu lesen. Die ungeklärten Unfallumstände und die gegensätzlichen Aussagen verschiedener Seiten über das Verhältnis zwischen Karbe und seiner Frau waren überdies doch ziemlich spannend.


    Leider tritt der "Fall Karbe" dann aber erst einmal stark in den Hintergrund, während Henrichsen mit sich selbst kämpft, an einer Theologentagung teilnimmt und mit sich ringt, ob er die mysteriöse Briefschreiberin aufsuchen soll oder nicht. Diese reichlich bizarre Liebesgeschichte passte für mich so überhaupt nicht zu Henrichsen, wie er beschrieben wird, und die Tagung selbst ist zwar ein Aha-Erlebnis für den ins Wanken geratenen Pfarrer, liest sich aber sehr trocken und langweilig mit seitenlangen Ergüssen über Glauben, Kirche und Gottesbilder. (Nicht, dass ich diese Themen generell nicht interessant fände - aber hier waren sie einfach zum Gähnen.)


    Die Dialoge empfand ich über weite Strecken als hölzern und die Figuren als farblos und holzschnittartig, sie wurden für mich einfach nicht lebendig.


    Ein Buch, das man getrost nach seinem nichtssagenden Cover beurteilen kann!


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