Klappentext:
Paris, Anfang der siebziger Jahre. Louis, ein Außenseiter und Träumer, entdeckt an der Universität eine Anzeige: Gesucht wird ein Student für die Betreuung eines besonderen Jungen. In der Normandie, in einer Ferienvilla am Meer, trifft Louis zum ersten Mal auf Iannis und dessen Mutter Helena. Iannis ist außergewöhnlich schön, höchst empfindsam, jedoch völlig verschlossen und spricht nicht. Helena schreibt erotische Geschichten, trinkt gerne Whisky und beginnt Louis bald zu umwerben. Louis, unsicher, verwirrt und doch neugierig, ahnt, dass sich sein Leben nun ändern muss. (von der Verlagsseite kopiert)
Zum Autor:
Philippe Grimbert, geboren 1948 in Paris, ist Psychoanalytiker mit einem Schwerpunkt in der Jugendpsychiatrie. Neben zahlreichen Essays veröffentlichte er seit 2001 mehrere Romane. Sein zweites Buch ›Un secret‹ erschien in Frankreich im Jahr 2004, wurde vielfach ausgezeichnet und in mehr als 200.000 Exemplaren verkauft. Auch in Deutschland wurde ›Ein Geheimnis‹ in der Kritik hoch gelobt und ein Bestseller. Claude Miller verfilmte ›Ein Geheimnis‹ 2007. (von der Verlagsseite kopiert)
Allgemeine Informationen:
Originaltitel: Un garçon singulier
Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller
Erstmals erschienen 2011 bei Éditions Grasset et Fasquelle
Erzählt aus der Ich-Perspektive Louis’.
Aufgeteilt in drei nummerierte Kapitel: I (Vorgeschichte), II (der Aufenthalt in Horville), III (Abschied).
176 Seiten
Louis’ Erinnerungen und / oder Träume sind in kursiver Schrift abgesetzt.
Inhalt:
Louis, ewiger Student, hat schon mehrere Fächer abgebrochen und kann sich nicht entscheiden, was er mit seinem Leben anfangen will. Er meldet sich auf die Anzeige nur, weil Iannis in Horville in der Normandie lebt, dem Ferienort aus Louis’ Kindheit, wo er die langen Sommer mit seinen Eltern verbrachte.
Obwohl das Zusammensein mit Iannis Nerven kostet und Louis’ ganze Konzentration und Aufmerksamkeit fordert, gewinnt er den Jungen lieb. Problematischer sind für ihn Helenas erotische Avancen, gegen die er sich zwar innerlich sträubt, aber nicht zu wehren weiß.
Eigene Meinung / Bewertung:
Ein Drei-Personen-Stück als Roman. Iannis, der zu betreuende Junge, ist ein schönes Kind, doch er kann nicht sprechen, nicht lesen, verschließt sich anderen Menschen gegenüber und lebt in seiner eigenen Welt: Er ist Autist. Seine Eltern gaben sich Mühe, doch langsam verzweifeln sie. Für die Übergangszeit, bis der Platz in einer Einrichtung frei wird, suchen sie nun einen jungen Mann, der sich mit Iannis beschäftigt und den Eltern den Rücken freihält. Vor allem Helena leidet unter der Behinderung ihres Sohnes, und sie leidet auch darunter, niemals frei für ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Pläne zu sein. Jetzt endlich kann sie den ganzen Tag ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: Schreiben, rauchen und trinken.
Louis hat keine pädagogischen Erfahrungen mit Menschen wie Iannis. Nach (zu) wenigen Anweisungen durch Helena nähert er sich dem Jungen intuitiv. Vor allem: Er lässt ihn so sein wie er ist, versucht nicht, ihn zu Gefühlsregungen oder Reflexionen zu bewegen, dringt nicht in ihn, um seinen Panzer aufzubrechen, arbeitet nicht an Verhaltensänderungen.
Denn auch Louis selbst galt – gilt – als „besonderer Junge“; er ist eigenbrötlerisch, hat keine Freunde, keine Freundin, findet keinen Zugang zu seinen eigenen Gefühlen und Wünschen.
Der Autor entwirft die beiden Protagonisten als einander spiegelnde Figuren. Nicht nur durch die ähnlichen Veranlagungen, auch durch die sanfte, langsame Nähe, die sie zueinander finden, und auch durch Iannis Art, Louis’ unausgesprochene Gefühle zu resorbieren. Iannis offenbart Louis sein Geheimnis: Er kann schreiben! und bringt Louis dazu, sich seinen verschütteten Erinnerungen, die er als Geheimnis hütet, zu stellen.
Gegenüber der Geschichte Louis-Iannis fällt Louis-Helena ab. Das erotische Moment fehlt, das die Sache würzen würde. Der Gesamtkontext könnte auch ohne diese Nebenhandlung bestehen.
Das Ganze spielt sich ab im Herbst an der Küste der Normandie, die schon viele Autoren zu gelungenen Romanen inspiriert hat: Ein kräftige Brise bläst vom Meer, wirbelt Sand in jede Ritze, die Dörfer sind jetzt, in der Nachsaison, menschenleer. Man verliert sich unter dem grauen wolkigen Himmel. Und man findet immer etwas, zumeist das Unerwartete.
Ein beachtenswertes Buch: Leicht lesbar, aber nicht oberflächlich, gefühlvoll, aber nicht kitschig, tiefgründig, aber nicht tiefsinnig mit einem Ende, wie man es nicht passender erdenken könnte. Zu empfehlen allen Lesern außergewöhnlicher Erzählungen.
Fazit:
Ein warmherziges Buch über zwei besondere Jungen und ihre einzigartige Beziehung.