Benjamin Lebert - Im Winter dein Herz

  • Klappentext:


    Wenn der erste Schnee fällt, ziehen sich die Menschen zurück in ihre Häuser und halten Winterschlaf wie die Tiere. Robert, Annina und Kudowski, drei in dem kleinen Ort Waldesruh Gestrandete, bleiben wach und machen sich auf den Weg.
    In einem schwarzen Suzuki Samurai fahren sie durch ein weißes, vom Winter erfasstes Land. Es ist das Land, das man kennt, und doch ist es anders. Das Schweigen der Häuser, die verschlossenen Fensterläden erzählen von tiefen Träumen, und kaum ein Mensch zeigt sich auf den Straßen. Die drei Reisenden kennen sich nicht gut. Der Zufall hat sie zusammengeführt - jeder mit seiner Geschichte und seinen Geheimnissen - und ihre Fahrt durch den Schnee in Richtung Süden wird zu einer Reise dorthin, wo nicht nur der Winter zu Ende geht.


    Der Autor:


    Benjamin Lebert lebt in Hamburg. Er hat mit zwölf Jahren angefangen zu schreiben. 1999 erschien sein erster Roman "Crazy", der in 33 Sprachen übersetzt und von Hans-Christian Schmid fürs Kino verfilmt wurde.


    Roman, 160 Seiten


    Meine Meinung:


    Dieser kurze Roman (oder vieleicht eher Erzählung) ist in Abschnitte gegliedert, die in "fünf Hefte" aufgeteilt sind. Eingeschoben sind immer wieder Passagen, in denen die drei Protagonisten Robert, Annina und Kudowoski berichten, was für sie Geborgenheit bedeutet. Die Idee für diese Art Gliederung scheint daher zu rühren, dass an einer Stelle Annina von einer Freundin berichtet, deren Kinderzimmer sie sich angesehen hat, nachdem diese durch einen tragischen Unfall beim Fußballspielen ums Leben kam. Dort fand sie Notizhefte, in denen ihre Freundin Momente der Geborgenheit festgehalten hatte.


    Robert und Kudowski sind Patienten einer psychosomatischen Klinik und Annina arbeitet an einer Tankstelle. Die drei beschließen, in diesem Jahr keinen Winterschlaf zu halten. Dem geben sich nämlich mittlerweile große Teile der Bevölkerung hin. Dauer so gute drei Monate von Januar bis März. Nur einige wenige Wachgebliebene bewegen sich dann durch die wie ausgestorben wirkende Landschaft. Und wer krank ist, muss natürlich auch wach bleiben, um versorgt zu werden. So wie Roberts Vater, der an Krebs erkrankt ist und in einem Münchener Krankenhaus untergebracht wurde. Hierhin sind die drei Freunde unterwegs und kommen sich auf ihrer Reise näher. Rückblicke und Selbstrefelexionen bilden das Grundelement dieses Romans, der mich allerdings nicht wirklich überzeugen konnte. Irgendwie ziemlich langweilig und zum Glück nicht allzu lang.


    Überrascht hat mich dann aber einige Male der Bezug, den ich zu mir selbst herstellen konnte. Zum einen die Idee des Winterschlafts. Daran denke ich auch jedes Jahr wieder, wie toll das wäre, könnte man den Winter verschlafen und erst im Frühling wieder aufwachen. :sleep:
    Dann kam mir eine Erinnerung, als Robert eine Flasche Fresubin zückt (musste das Zeug selbst einige Zeit während eines Klinikaufenthaltes nehmen :puker: ). Und auch bei den Schilderungen der Momente der Geborgenheit kommt einem leicht die eigene Kindheit in den Sinn (so weit sie eine glückliche war).


    Fazit: Vieleicht weil ich nicht so recht in Stimmung für Poesie oder Philosophie war oder weil ich jetzt im Sommer nicht in Stimmung für Winterlektüre bin, hat mich der Roman nicht wirklich überzeugen können.
    Aber für die schöne Sprache und einige Déjà-vu Momente bewerte ich: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Außenstehende verstehen, mitempfinden können – und eine Art Komplizenschaft eingehen! Wer hält denn schon Winterschlaf?


    Nicht nur im fiktiven Rahmen kann Robert nicht schlucken, und dadurch nichts essen, sondern wohl auch Benjamin Lebert im realen Leben: >>Dem Gefühl, dass ich die Welt nicht mehr aufnehmen konnte. Ich konnte die Eindrücke und die Vehemenz der Welt nicht mehr in mich hineinlassen. Und das hatte bei mir ganz konkrete Folgen: Ich konnte buchstäblich keinen Bissen mehr hinunterkriegen.<< (http://www.zeit.de/2012/09/Benjamin-Lebert)
    Und so muss Robert aus seiner liebgewonnenen Stadt Hamburg in eine Klinik. Dort lernt er dann noch ein paar Außenseiter kennen, und zusammen fahren sie nach München um Roberts Vater zu besuchen, der dort im Sterben liegt.


    Die Atmosphäre im Buch ist düster. Die drei Figuren tragen allesamt ein dickes Päckchen mit sich, haben tiefe Lebenserfahrungen gemacht und ihre Mauern gebaut. Drum ist es nicht verwunderlich, wenn man nun 24 Stunden miteinander verbringt, dass es auch zu Reibereien kommt. Aber „Stein und Mörtel“ sind nicht für die Unendlichkeit gebaut und so wird man schließlich Freunde.


    Im Buch grenzt man sich von der Gesellschaft ab, indem man keinen Winterschlaf hält. Der Rest der Welt tut dies! Drum sind dann auch alle Straßen verschneit, dass man kaum den Weg findet. Es ist immer etwas diesig, trüb und es wird früh dunkel. Gibt es dennoch ein Ziel?


    >>Ich glaube, eine der wichtigen und zugleich schwierigsten Aufgaben im Leben ist es, zu erreichen, dass das Wort >man< einen nicht in die Knie zwingt.<<


    Benjamin Lebert lebt in Hamburg. Er hat mit zwölf Jahren angefangen zu schreiben. 1999 erschien sein erster Roman „Crazy“, der in 33 Sprachen übersetzt und von Hans-Christian Schmid fürs Kino verfilmt wurde. Sein zweiter Roman „Der Vogel ist ein Rabe“ erschien 2003, danach 2005 „Kannst du“ und zuletzt 2009 „Flug der Pelikane“.

  • Ein metaphernreicher Roman ist hier anzuzeigen voller Poesie und Kraft. Ein Roman, der sich auf die Suche macht nach dem, was Menschen Liebe und Geborgenheit vermittelt in einem Land und in einem Leben, das geprägt ist von Kälte, nicht nur während der Zeit, in der das ganze Land in einen Winterschlaf fällt.


    Dies ist die stärkste Methapher, mit der Benjamin Lebert in seinem neuen Roman „Im Winter dein Herz“ arbeitet. Ein Bild, das dem Leser auch am Ende des Buches nicht ganz erklärlich wird, das er deuten mag als einen Hinweis auf eine Gesellschaft, in deren Mitte es immer kälter wird und deren Mitglieder sich wie im Schlaf bewegen und in der Gedanken der Wachheit, Aufmerksamkeit und Liebe füreinander nur noch von einigen wenigen gepflegt werden


    Zu diesen Menschen, die sich nicht damit abfinden, in diese Winterstarre zu fallen, gehören die drei Protagonisten des Romans. Da ist Robert, der wegen einer Unfähigkeit, feste Nahrung zu sich zu nehmen, sich in eine psychosomatische Klinik begibt. Dort trifft er auf den ausgebrannten Polizisten und Macho Kudowski. Mit ihm und mit Annina, die sie auf einer Tankstelle in der Nähe der Klinik kennengelernt haben, machen sich die drei mit dem Suzuki Samurai von Annina auf den langen Weg von Göttingen nach München. Dort liegt Roberts Vater im Sterben, den er noch einmal sehen möchte.


    Auf dieser Reise stellen die drei schnell fest, dass sie, jeder für sich und dann auch in zunehmendem Austausch miteinander, sich selbst und ihrer Vergangenheit begegnen. Langsam entwickelt das Benjamin Lebert und nimmt den Leser immer mehr mit hinein in eine Welt voller persönlicher Geheimnisse. In insgesamt fünf Hefte ist das Buch gegliedert und am Ende jedes einzelnen lässt er seine drei Protagonisten nachdenken über ihre „Momente der Geborgenheit“. Für mich waren diese kleinen Texte die schönsten und dichtesten Stellen eines Buches, in dem Lebert nur langsam erkennbar werden lässt, unter welchen Verletzungen Robert, Kudowksi und Annina leiden und welche Sehnsüchte sie in sich tragen.


    In einer dichten, kräftigen, dabei unendlich zarten und poetischen Sprache lässt Lebert den Leser teilhaben an einem Selbstfindungsprozess der drei Ausreißer aus der Kälte, der noch lange nachdem man das Buch ausgelesen hat, nachhallt. Denn es gelingt dem Autor, über seine Figuren und vor allen Dingen deren „Momente der Geborgenheit“ dem Leser mehr und mehr zuzumuten von dessen eigenen Sehnsüchten nach Geborgenheit und Liebe, mit denen er sie zunehmend konfrontiert, ob sie das wollen oder nicht.


    Ein zartes, poetisches Buch von einer ganz eigenen Schönheit.

  • Ich weiß nicht recht, wie ich das Buch einordnen soll. Wirklich berührt hat es mich nicht, dafür waren mir die Protagonisten zu weit weg, zu unnahbar, zu weit von mir entfernt. Aber Protagonisten sind oft weit von mir entfernt und berühren mich doch, rühren mich an.

    Kann ich mir eine Welt im Winterschlaf vorstellen? Eigentlich schon, und manchmal hat diese Idee etwas verlockendes - aber ich glaube, eine Winterruhe wäre mir lieber, ich möchte nicht ein Viertel meines Lebens zusätzlich verschlafen.

    Ist es verlockend, in einer kalten schlafenden Welt wach zu bleiben? Das wäre es für mich wohl eher nicht - aber der Protagonist hat ja dafür einen sehr konkreten Grund. Haben Annina und Kudowski auch einen? Zumindest keinen, der sich mir erschlossen hat.


    Ist die Metapher der Kälte so gemeint, wie Winfried es interpretiert? Auch da bin ich mir nicht sicher, hab ich es nicht eindeutig so empfunden. Viel eher hatte ich manchmal das Gefühl, als wäre diese kalte Welt des Winterschlafs eine Art Traum des Protagonisten, nicht real, nur gefühlt. Ist es evtl. ein Gefühl des Autors, der damit autobiografisch gefärbt die damalige Zeit seiner Essstörung aufarbeitet? Dazu weiß ich zu wenig über Benjamin Lebert, um darüber ein abschließendes Urteil zu geben. Aber eines immerhin hat der Autor geschafft: zumindest ich beschäftige mich länger als gedacht mit der Geschichte, obwohl ich jetzt - zwei Monate nach dem Lesen - noch immer keine abschließende Beurteilung geben kann, noch immer nicht weiß, ob mir das Buch gefallen hat oder nicht. ?(

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Benjamin Lebert: Im Winter dein Herz“ zu „Benjamin Lebert - Im Winter dein Herz“ geändert.