Das Gute ist böse, das Böse ist gut?
Über das Erstlingswerk des 1973 geborenen und in Rom lebenden Autors Donato Carrisi, „Der Todesflüsterer“, hatte ich so viele positive Rezensionen gelesen, dass es auf meiner Merkliste landete. Doch diese ist lang und das Budget für den Kauf neuer Bücher permanent überzogen. Als ich nun kürzlich bei Amazon Vine seinen zweiten Thriller „Der Seelensammler“ entdeckte, musste ich einfach das Bestellknöpfchen betätigen.
Kurz zum Inhalt
Eine junge Notärztin aus Rom, wird zu einem Patienten mit vermeintlichem Herzinfarkt gerufen. Während des Versuches ihn zu retten, entdecken sie und ihre Kollegen nicht nur eine eigenartige Tätowierung auf der Brust des Bewusstlosen, sondern auch einen Gegenstand, den sie auch nach 6 Jahren sofort erkennt. Der ins Koma gefallene Patient ist ein lang gesuchter Serienmörder. Lebt sein letztes Opfer noch und wo ist es zu finden?
Mit der Suche nach der jungen Frau wird nun ein Mann beauftragt, der zwar sein Gedächtnis verloren hat, die eigenartige Begabung, sich in Täter versetzen zu können, aber noch zu haben scheint. Bei dieser Suche stößt er auf eine Vielzahl weiterer Verbrechen und auf eine Mailänder Polizeifotografin. Diese ist vor fünf Monaten Witwe geworden. Bislang glaubte sie, dass ihr Mann David, ein erfolgreicher Fotojournalist, in Rom tödlich verunglückte. Ein Anruf, der sie an einem Unfall zweifeln lässt, veranlasst sie endlich dazu, seinen Nachlass zu sichten. Unter einigen geheimnisvollen Fotos ist auch eines dieses Mannes…
Nichts ist wie es scheint.
Mit vielen verschiedenen Handlungssträngen in der Gegenwart, einem Weiteren, der in der Vergangenheit spielt, einigen sehr grauenvollen Morden und sehr vielen ungeahnten Wendungen hielt mich der Autor tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite in Atem. In der dritten Person und einfacher, bildhafter Sprache erzählt, ließen sich die Geschichten zwar flüssig lesen, auf die vielen verschiedenen Protagonisten und Szenenwechsel musste ich mich jedoch erst einmal einlassen. Da aber jeder für sich interessant war, sie alle nie langatmig wurden und jedes Mal gerade dann endeten, wenn ich sie gern auch noch weiter verfolgt hätte, fiel mir das nach einer kurzen Einlese-Phase immer leichter.
Die Charaktere der Hauptfiguren waren für mich überzeugend dargestellt. Ich konnte mich sowohl in die Weibliche, als auch in die Männliche gut einfühlen. Ihre Lebenssituationen, die Suche nach sich selbst und ihre Selbstzweifel machten sie mir sympathisch und ließen mich ihnen auch Dinge nachsehen, die ich unter anderen Umständen vielleicht verwerflich fände. Aber auch die Nebenrollen waren erstaunlich gut besetzt und hier schaffte es die eine oder andere ebenfalls, mich zu verblüffen.
Dabei wusste ich über die gesamte Lesezeit nicht, in welche Richtung das alles gehen wird. Dass es zwischen den anfangs grundverschieden wirkenden Geschichten Zusammenhänge geben muss, war mir klar. Doch wie sich die Kreise schließen würden, ich spekulierte mal in die eine, mal in die andere Richtung. Jedes Mal, wenn ich glaubte auf der richtigen Fährte zu sein, gab es eine Überraschung. Diese erstaunte mich dann aber nicht nur, sondern wirkte auf mich zusammen mit den gelieferten Erklärungen immer logisch und schlüssig.
Eine solide Grundspannung, die mich das Buch immer weiter lesen ließ, verspürte ich über den gesamten Verlauf dieses Thrillers, bei dem anfangs alles nach einem riesigen Verwirrspiel aussah und dann jedes Puzzleteilchen letztendlich doch ins andere passte. Zum Ende hin steigerte sich die Spannung noch weiter und in dem Moment, als ich schon dachte alles aufgelöst zu wissen und an einen ruhigen Ausklang glaubte, kam der endgültige Hammer.
Resümee
In der Gesamtheit hat mich dieser Thriller wirklich begeistert. Zum Einen griff der Autor Themen auf, über die ich im Genre bislang noch nichts gelesen hatte. Zum Anderen fühlte ich mich bei häufig behandelten Themen, wie Kirche und Glaubensfragen (und auch hier entdeckte ich Neues für mich), nicht so wie bei anderen Autoren genötigt, unbedingt deren Weltsicht annehmen zu müssen, um einen Zugang zu finden. Die Geschichte wurde nie langweilig und am verblüffenden Ende blieben bei mir keine Fragen offen. Das Debüt des Autors ist auf meiner Merkliste inzwischen ganz nach oben gerutscht, das wird als nächstes gekauft. Von mir gibt es für „Der Seelensammler“ eine klare Leseempfehlung.