"Die Versehrten ist ein besonderes Buch, und es verdient einen Platz unter den großen Werken der westlichen Literatur." (José Saramago )
Originaltitel: Jerusalém (Portugiesisch, 2004)
ZUM INHALT :
Gibt es eine Formel für den Schrecken? Theodor Busbeck, Arzt und Historiker, ist besessen von der Idee, das Übel folge einer inneren Logik, und er arbeitet fieberhaft daran, künftige Schrecken im Voraus berechnen zu können. Seine Exfrau und Patientin Mylia trotzt seit Jahren den Prognosen der Ärzte über ihren immanenten Tod; Ernst Spengler, ihr ehemaliger Geliebter, ist seit seinem Aufenthalt in der Nervenklinik ein gebrochener Mann und des Lebens überdrüssig, und Hinnerk Obst ist ein vom Krieg Gezeichneter. In einer schicksalhaften Nacht treffen all diese Personen aufeinander, und die Gewalt scheint unausweichlich …
Mit lakonisch eindringlicher Stimme erzählt Tavares eine verstörende Geschichte. „Die Versehrten” ist eine atemlos-spannende Tragödie und zugleich eine philosophische Parabel über das 20. Jahrhundert, »ein vielschichtiges und bewegendes Drama über die Entfremdung in der heutigen Welt« (Alberto Manguel).
(Quelle : amazon.de)
One morning late in May, between three and six A.M., a group of lonely men and women wait to be brought together, like the elements in an equation. Ernst Spengler is about to throw himself out his window. Mylia, terminally ill and in enormous pain, goes out to visit a church. Hinnerk Obst, who was always been told by the neighborhood children that he looks like a murderer, walks the streets with a loaded gun. As these characters are manipulated and brought together, a world of violence, fear, pain, and uncertainty is portrayed, where human nature itself, and the mechanisms determining our actions, our fictions, and the elements of our imagination, are laid bare. Jerusalem is a terrifying and grimly humorous summation of the possibilities and limits of the human condition at the beginning of the 21st century.
(Quelle : amazon.uk)
BEMERKUNGEN :
Auf der Suche nach einer Inhaltsbeschreibung fand ich die hier kopierten und, an anderen Orten, noch ganz anders geartete. Ganz unterhaltsam, auf diese Art und Weise schon mal einen kleinen Eindruck von der Facettenhaftigkeit dieses reichen Romans zu erhalten. Ja, tatsächlich ist es nicht leicht, diesen Roman zusammenzufassen, und wenn ja, dann unter welchem Gesichtspunkt ? Thematisch, chronologisch... ? Je nachdem kämen verschiedene Ansätze heraus.
Man könnte durchaus den Kern des Buches in den Begegnungen und Begebenheiten der Hauptpersonen in einer einzigen Nacht sehen. Dort konzentriert sich in Augenblicken wohl die Folgen der vorhergehenden Lebensentscheidungen und Begebenheiten. Parallel und immer wieder einschubartig, schauen wir also auf eben diese Vergangenheit zurück, die sich im Jetzt bündelt. Das könnte dann, chronologisch geordnet, einen Erzählstrang ergeben, in dem wir diese Hauptpersonen über Jahre hinweg begleiten :
Die psychisch angeschlagene Myla lernt bei einer Therapie Doktor Busbeck kennen, ihren späteren Ehemann und Theoretiker auf der Suche nach der/einer Weltenformel. Er läßt sie später in die Psychiatrie einweisen, wo sie bevormundet wird. Sie lernt ihre große Liebe Ernst Spengler kennen, mit dem sie, in der Klinik, ein Kind hat, das sie austragen (auf « Zustimmung » Busbecks hin) aber auch in Machenschaften an Busbeck verlieren wird, der zur gleichen Zeit die Scheidung einreicht. Myla und Spengler wird ihr eigenes Kind entzogen, das mit einer Behinderung bei Busbeck aufwächst...
Das Buch besteht aus einer Vielzahl von kleinen und kleinsten Kapiteln mit Unterabschnitten, jeweils ganz einfach übertitelt mit den darin vorkommenden Personen. Es ergeben sich verschiedenste Konstellationen. Die Sprache darin ist manchmal gar trocken, logisch, ohne emotionale Ergüsse. Gleichzeitig wird oft eine dunkle, schattige Atmosphäre vermittelt.
Dieses Buch gehört in die Tetralogie « Das Reich », und bildet den dritten Band. Die anderen Bände sind noch nicht auf Deutsch erschienen, doch lassen sie sich wohl auch einzeln gut lesen. In dieser Reihe beschäftigt sich der Autor weitgehend mit der Frage des Bösen in der Welt. Hier, in « Die Versehrten » geschieht das auf mehreren Ebenen gleichzeitig : einerseits arbeitet eine der Hauptpersonen, der Facharzt Theodor Busbeck, an einer Theorie, durch die er die Rhythmizität des Bösen in der Geschichte und eine Art « Logik » herausstellen will. Im Hinterkopf mag er dabei noch den Willen haben, dass diese « objektiven Daten eines Lebenswerkes » den zukünftigen Generationen eine Handhabe, ein Verstehen angesichts des Unsäglichen erlauben und gar eine Vorausschau ermöglichen wird. Allerdings : Wie weit kann so etwas gehen ? Kann man tatsächlich eine Formel finden, um dann mit Sicherheit gar vorauszusagen, wer die zukünftigen Täter und Opfer sein werden, wer auf der Empänger, wer auf der Austeilerliste steht ?
Doch alle Hauptpersonen dieses Romans sind mehr oder weniger Akteure, und teils auch Opfer, von Gut und Böse. Es gibt in jedem eine Mischung, auch einen unterschiedlichen Akzent, vom Bewußtheitsgrad einer Tat oder eben Unbewußtheit, von Teilhabe und Verantwortung oder halt Opferdasein. Wie Tavares dies für jeden anders und komplex gestaltet ist schon ein Geniestreich.
Angeschlagen, ja « versehrt », sind sie alle, die Personen des Buches. So oder so. Und jeder sucht auf die ein oder andere Weise nach Milderung seiner Leiden oder Stillung seiner Bedürfnisse.
Darin und in anderen Themenausarbeitungen (z.B. der Umgang mit den Behinderten in unseren Institutionen ; wie und wo vollzieht sich Heilung ?; welche Rechte hat wer auf das Leben der anderen ? etc) finden wir uns vor einer Fülle von überlegenswerten, zu verdauenden Gedanken. Am Ende stehen wir fast schwindlig da und mögen selber schon nicht mehr genau wissen, wo wir dabei vielleicht stehen oder wieweit der Autor Konsequenzen und Stränge ausarbeitet.
Ich werde kaum sagen wollen, dass es sich um ein « schönes » Buch handelt, aber welch andere Form an Kraft und Aussage wir hier doch finden ! Beeindruckend !
Der bedeutendste Preis für Tavares bisher war der Prémio José Saramago, der ihm 2005für eben oben vorgestellten Roman verliehen wurde. Bei der Laudatio sagte Saramago die in Portugal mittlerweile legendär gewordenen Sätze: „Goncalo M.Tavares hat kein Recht, im Alter von 35Jahren so gut zu schreiben. Man hätte Lust, ihn zu schlagen.“ Dieses Lob des Nobelpreisträgers erklärt, warum Tavares als würdiger Nachfolger von José Saramago und Antonio Lobo Antunes gehandelt wird. (Quelle letzter Abschnitt: wikipedia.de)
ZUMAUTOR:
Gonçalo M.Tavares wurde 1970 in Luanda, Republik Angola(damals noch portugiesische Kolonie), als Sohn eines Bauarbeiters geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Aveiro, bevor er mit 18Jahren nach Lissabon zog. Erstudierte zunächst Physik, Sport und Kunst und unterrichtet heute als Dozent Epistemologie an der Universität Lissabon.
Er hatte sein literarisches Debüt im Jahre 2001 mit dem Lyrikband Livro de Dança,seitdem hat er gut 20Bücher publiziert, die verschiedenste Gattungen umfassen, so Lyrik, Dramatik, Roman, Erzählung, Kinderbuch, Essays.
Tavares gliedert seine Literatur in Reihen, von denen "O Bairro"(Das Stadtviertel) sowie die Roman-Tetralogie "O Reino" (Das Reich)die bekanntesten sind. "O Bairro" bevölkert sich sukzessive mit bekannten Persönlichkeiten aus der Literaturgeschichte(Brecht, Henri, Valéry, Walser etc..), die er in Bänden mit Kurzprosa paraphrasiert.
Viele seiner Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden, auch ins Deutsche.
(Quelle und mehr unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Gon%C3%A7alo_M._Tavares)
Offizielle Webseite des Autors:http://goncalomtavares.blogspot.com/
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (23. April 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 342104502X
ISBN-13: 978-3421045027