Elio Vittorini – Erica und ihre Geschwister

  • Original : Erica e i suoi fratelli (Italienisch, 1936 unterbrochen, erst in den 50iger Jahren vervollständigt und 1956 herausgekommen)
    Deutsche Erstausgabe 1984


    ZUM INHALT :
    Vom Erwachsenwerden in einer schweren Zeit. Die Geschichte eines Mädchens, dem es trotz aller Demütigungen gelingt, sich seinen kindlichen Mut und seine unerschütterliche Zuversicht zu bewahren.


    Erica ist erst neun Jahre alt, doch spürt schon sehr genau, wie groß die Armut ihrer Familie ist. Als ihr Vater zum Arbeiten in die Berge geht und ihre Mutter ihn kurz darauf besucht, bleibt sie mit den Geschwistern allein zu Hause. Stolz und gewissenhaft übernimmt sie die Mutterrolle, obwohl sie selbst kaum der kindlichen Märchenwelt entwachsen ist. Die Zeit vergeht, die Mutter bleibt fort, die Vorräte werden knapp - und Erica hofft immer noch auf ein Wunder. Erst in der größten Not kommt sie zu dem Entschluß, daß es nur noch eine Möglichkeit gibt ... (Quelle : Amazon.de)


    BEMERKUNGEN :
    Realistisch und doch auch poetisch zugleich beschreibt der Autor in 22 Kapiteln die Verarmung einer Familie : immer weniger verdient der Vater, immer mehr werden aus den Fabriken entlassen. Dann wird auch die Mutter arbeiten gehen und Erica kümmert sich wie selbstverständlich, ohne Aufbäumen, um ihre zwei jüngeren Geschwister. Als schließlich der Vater ebenfalls die Arbeit verliert geht er in die Berge zum Strassenbau und sendet ab und an der Familie Geld. Die Lebensumstände werden kärglicher und die Familie zieht in ein leerstehendes, halbzerfallenes Haus. Als der Vater von einer Krankheit schreibt und die Mutter « herbeiruft », läßt sie Erica mit einigem Proviant und Geld zurück. Die inzwischen 14-Jährige haushaltet mit großer Verantwortung, doch es kommen keine Nachrichten von den Eltern und es bricht die große Not an. Was bleibt ihr übrig ?


    Es ist eine Verarmungsgeschichte, die durchaus als gesellschaftskritisches Werk gelesen werden kann. Doch dieser traurige Handlungsstrang wird mit einer solchen Feinfühligkeit und Schlichtheit erzählt, dass ich mich sprachlich teils an die ja ebenfalls oft thematisch ja sehr schweren Märchen oder ästhetischen Arbeiten erinnert fühlte. Eines kommt aufs andere, und zu mancher Überlegung lädt das Lesen ein, aber sicherlich nicht zum vorschnellen Urteil über Erica.


    So ist dieses Buch gleichzeitig eine Entwicklungsgeschichte, in der von der Hauptperson Verantwortung übernommen wird. Einerseits geht die Kindheit zu früh zu Ende in diesen anvertrauten Tätigkeiten, andererseits bewahrt sich Erica eine « unschuldige » Seele und ein kindliches Gemüt.


    In gewissem Sinne bleibt das Ende offen : wir wissen nicht, inwieweit es sich um provisorische Lösungen handelt oder ob die Eltern wieder auftauchen werden.


    Ich betrachte dieses kleine Büchlein als wahren Juwel eines großen italienischen Schriftstellers, den ich also von Herzen empfehle !!!


    ZUM AUTOR :
    Elio Vittorini, 1908 als Sohn eines Eisenbahners in Syrakus, Sizilien, geboren, war Schriftsteller, Publizist und Übersetzer. 1943 wurde er als Gegner des Mussolini-Regimes inhaftiert. 1945 trat er der kommunistischen Partei Italiens bei (PCI), von der er sich später wieder distanzierte. Nach dem Krieg war er eine der wichtigsten kulturpolitischen Stimmen Italiens. Er starb 1966 in Mailand. (siehe auch mehr unter http://de.wikipedia.org/wiki/Vittorini )


    Taschenbuch: 128 Seiten

  • Man kann sich natürlich auch die zweibändige Ausgabe seiner Erzählungen besorgen "Le opere narrative". Im ersten Band findet man Erica e i suoi fratelli. Siehe: http://www.bol.it/libri/Le-ope…ea978880411768/#altriDati


    (ISBN: 9788804117681)

  • Ich kann mich tom leos positiver Rezension nur anschließen. Elio Vittorini ist da ein unglaublich berührendes Buch gelungen. Es ist fast poetisch wie er die Geschichte dieses kleinen Mädchens erzählt. Und das niemals kitschig, sondern nachvollziehbar und realistisch. Was Armut, was völlige Verarmung bedeuten kann, dass wurde mir sehr deutlich vor Augen geführt.


    Die Entwicklung von Erica nachzulesen und wie sie zu einem Entschluss kommt und vor allem warum sie ausgerechnet diesen Weg einschlägt, dass ging wirklich unter die Haut. Das Ende bleibt offen. An die Möglichkeit, dass Ericas Eltern wieder auftauchen, glaube ich nicht. Da sprach einiges -in meinen Augen- im Buch dagegen. Offen bleibt für mich, wie sich Erica weiter entwickeln wird, welchen weiteren Weg sie noch einschlägt. Was mit ihren Geschwistern wird.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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