Monica Ali - Die gläserne Frau / Untold Story


  • Kann man, einmal berühmt geworden, das eigene Gesicht wöchentlich auf Dutzenden von Seiten in der Yellow Press wieder erkennend, aus dieser Form der totalen Öffentlichkeit fliehen und ein anderes Leben beginnen, abseits der Fotografen, und jenseits einer geliehenen Identität?

    Die Protagonistin in Monica Alis neuem Roman, die Engländerin Lydia, versucht genau das. Als Mitglied des englischen Königshauses war sie jahrelang immer wieder in Wort und Bild Thema in den Klatschblättern, sehr zum Missfallen der „Firma“, wie die königliche Familie oft genannt wird.

    Lydia ist aus dieser ungeliebten und persönlichkeitsverändernden Öffentlichkeit geflohen und hat in Kensington in den USA einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden, an dem sie ein bescheidenes und unspektakuläres Leben führt. Sie hat dort echte Freundinnen, die aber nichts wissen von ihrer Vergangenheit. Bis in die fernen USA waren die Bilder der Presse nicht gelangt.

    Als sie einen Mann kennen und lieben lernt, beginnt der schon nach kurzer Zeit sensibel zu spüren, dass sie etwas vor ihm verbirgt. Er lässt nicht nach in seinem liebevollen und zärtlichen Bemühen, die Frau, die er liebt, ganz zu kennen. Doch Lydia hat Angst, sich ihm zu offenbaren. Sie will die Freiheit, die sie sich geschaffen hat, nicht aufs Spiel setzen. Und in den Stunden, in denen sie nahe dran ist, dem geliebten Mann alles zu erzählen, fragt sie sich, ob er es je verstehen würde, wie es für sie war, damals im Rampenlicht einer brutalen Öffentlichkeit, vor dem sie geflohen ist. Sie fragt sich, ob er es nachvollziehen könnte, dass sie für die so lange ersehnte Freiheit von diesem Druck sogar ihre eigenen Kinder in England zurückgelassen hat.

    Und dann, während sie noch ringt mit sich selbst, taucht ein Fotograf aus England an ihrem neuen Wohnort auf, offensichtlich auf der Suche nach ihr und einer lukrativen Enthüllungsgeschichte. Plötzlich, über Nacht sieht Lydia ihr neues Leben, ihre neue Freiheit, ihre neue Identität in großer Gefahr. Denn der Fotograf, der alles aus ihrem früheren Leben weiß, hat sich wie ein Bluthund auf ihre Spur gesetzt.

    Monica Ali hat in ihrem Roman ein beeindruckendes Zeugnis gegeben von der Last des Berühmtseins und den möglicherweise vergeblichen Versuchen, dem zu entrinnen, und ein neues Leben sich zu schaffen. „Die gläserne Frau“ ist der gelungene und sensible Versuch, hinter die Kulissen, auch die charakterlichen, von Frauen zu schauen, die aus welchen Gründen auch immer der Versuchung erlegen sind, berühmt zu sein. In einer Zeit, in der jedes Jahr neu Zehntausende von Mädchen davon träumen zu einem Topmodel zu werden, das dann doch nur herumgereicht wird, könnte dieses faszinierende Frauenporträt die eine oder andere junge Frau vielleicht einmal zum Nachdenken bringen.

  • In der Kleinstadt in den USA, in der Lydia lebt, liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Ein unspektakuläres Nest, in dem das Leben seinen beschaulichen Gang geht und Lydia ihre Zeit hauptsächlich mit ihrer Arbeit im Tierheim und mit ihrem Trüppchen von Freundinnen verbringt.


    Was dort niemand weiß: die attraktive dunkelhaarige Mittvierzigerin war einmal die meistfotografierte Frau der Welt. Damals, als sie noch blond und kreuzunglücklich mit dem britischen Thronfolger verheiratet war und noch nicht Lydia Snaresbrook hieß. Damals, bevor sie sich aus dem goldenen Käfig befreien und untertauchen konnte, mit Hilfe eines loyalen Untergebenen, einfach abhaute aus einem Leben voller Verpflichtungen, Erwartungen, Konventionen (und Paparazzi).


    Durch einen unglücklichen Zufall droht ihre erfolgreiche Tarnung jetzt aufzufliegen, ausgerechnet zum zehnten Jahrestag ihres Verschwindens, zu einem Zeitpunkt also, zu dem damit zu rechnen ist, dass die ganze mysteriöse Geschichte noch einmal kräftig von der Regenbogenpresse und anderen Medien aufgewärmt wird, und Lydia steht vor der schwierigen Frage, wie sie damit umgehen soll oder ob ihr überhaupt eine andere Wahl bleibt, als erneut zu verschwinden.


    Monica Ali stellt ein reizvolles Gedankenexperiment in die Mitte ihres Buches: Was wäre, wenn Prinzessin Dianas Tod nur vorgetäuscht gewesen wäre (denn dass es sich um die Prinzessin von Wales handelt, ist sonnenklar, auch wenn ihr Name nie genannt wird) und sie stattdessen in einem vollkommen unspektakulären Leben an einem unscheinbaren Ort Zuflucht gesucht hätte?


    Sie hat eine recht plausible Idee, wie das Ganze vonstatten gegangen sein könnte, und auch Lydias Seelenzustand im Verlauf ihres neuen Lebens schildert sie einfühlsam und glaubhaft - von der ersten Euphorie über die schwierige Phase der tatsächlichen Neuorientierung und ein stets schlechtes Gewissen ihren zurückgelassenen Söhnen gegenüber bis hin zu dem Punkt, an dem sie sich in ihrer selbst gewählten Identität gut eingelebt hat.


    Das plötzliche Auftauchen des alten Bekannten, das ihre Anonymität gefährdet, reißt alte Wunden wieder auf, weckt aber schließlich auch ihren Kampfgeist. Die Entwicklung dieses Handlungsstrangs konnte mich am Ende aber nicht so richtig begeistern, weil sie doch ziemlich plakativ ausfällt.


    Gut gemacht ist der Aufbau des Buches mit seinen drei Perspektiven. Neben Lydia erzählt in der Gegenwart auch der Mann, der sie ganz unerwartet wiedererkennt, ein etwas abgewrackt erscheinender Ex-Paparazzo, dessen Kapitel ein bisschen gewollt auf harten Kerl gebürstet sind. Die Briefe und Tagebucheinträge des Angestellten, der Lydia damals zur Flucht verholfen hat, bilden hingegen einen gelungenen Gegenpart zu Lydias Erzählstimme und dröseln allmählich die tatsächlichen Geschehnisse während und kurz nach ihrem Verschwinden auf.


    Ein spannendes Gedankenexperiment, das solide umgesetzt ist, aber zum (etwas überstürzt wirkenden) Ende hin nachlässt.

  • Der Originaltitel lautet:
    Untold Story

    Vielleicht könnte noch einer der Moderator(inn)en den Originaltitel in der Threadüberschrift nachtragen? Danke!

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Monica Ali, Die gläserne Frau“ zu „Monica Ali - Die gläserne Frau / Untold Story“ geändert.