Titus Müller - Tanz unter Sternen

  • 1912. Schon in Berlin kreuzen sich die Wege der Barfußtänzerin Nele Stern, des Pastors Matheus Singvogel, seiner Frau Cäcilie und deren gemeinsamen Sohn Samuel sowie des undurchsichtigen britischen Jounalisten Lyman Tundales. Die Ehe von Matheus und Cäcilie steckt in einer tiefen Krise, wenn nicht gar in einer Sackgasse. Cäcilie ist die Tochter des kaiserlichen Hofbankiers Dellbrück und hat weit unter ihrem gesellschaftlichen Stand geheiratet. Sie wollte beweisen, dass ihr Geld und dekadenter Lebenswandel nichts bedeuten. Aber in ihrer Rolle als Frau eines Pastors ist sie auch nicht glücklich. Der Ehemann geht voll und ganz in seinem Beruf auf und kann weder ihr noch dem Sohn die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen. Sie sehnt sich aber nach einem starken Mann, an den sie sich lehnen kann. Matheus wird aber immer mehr zum eingebildeten Kranken. Ihre Streitereien tragen sie auf den Schultern des Jungen aus, der unter Gleichaltrigen ein Außenseiter ist und unter der familiären Situation leidet. Sehr gelegen kommen Cäcilie da die Avancen des Briten Lyman Tundale. Als Matheus eine Einladung des Moody Bible Instituts in Chicago erhält, kauft er für die Überfahrt Tickets 2. Klasse für die Jungfernfahrt der Titanic und ist stolz, seiner Frau auch ein wenig Luxus bieten zu können. Nele Stern ist eine ehrgeizige Tänzerin. Aber bei ihrem ersten Soloauftritt im Berliner Varieté Wintergarten scheitert sie, für das Publikum ist sie zu prüde. Als sie auch in Paris kein Engagement bekommt, kauft sie für die Titanic ein Ticket 3. Klasse und will in Amerika einen Neuanfang wagen. Auch Lyman Tundale, der sich schnell als britischer Spion entpuppt ist auf der Titanic und versucht Cäcilie mit den Annehmlichkeiten der 1. Klasse zu beeindrucken.
    Zum 100. Jahrestag des Untergangs der „Titanic“ legt Titus Müller seinen neuen Roman „Tanz unter Sternen“ vor. Bisher spielten seine Romane in früheren Zeiten, aber auch diesem jüngeren Thema hat er sich gekonnt genähert. Sehr bildhaft schildert er das Leben und den Alltag im Berlin des Jahres 1912. Man bekommt durch Nele Stern und ihr Umfeld einen Einblick in das Alltagsleben der armen Leute, die ihr tägliches Brot hat arbeiten müssen. Die Mittelschicht, vertreten durch die Familie Singvogel, hat bereits einen viel höheren Lebensstandard erreicht. Es geht nicht mehr nur um das Sattwerden, sie können sich auch schon kleinen Luxus leisten. Die Eltern von Cäcilie Singvogel, die Bankiersfamilie Dellbrück, stehen für die Dekadenz und das ausschweifende Leben der Oberschicht. So rundet sich aus sozialer Sicht das Bild, das in meinem Kopf entstand, vollends ab. Deutlich wird auch der Ehrgeiz der „kleinen“ Leute, die die gesellschaftliche Treppe empor steigen möchten und die Arroganz der Oberen, die zu ihrem Reich keinen Zutritt gewähren wollen. Über all dem schwebt die latente Kriegsstimmung und die sich zuspitzende Situation zwischen den Großmächten. Durch seine gekonnte, der Zeit angemessene Wortwahl und die angenehme sprachliche Gestaltung des Romans kommt auch beim Leser das Gefühl für die Zeit auf, nach wenigen Seiten fühlte ich mich dazugehörig. Ich hörte die Champagnergläser klingen und das Rascheln edler Stoffe in der 1. Klasse ebenso, wie ich die bedrückende Enge der 3. Klasse empfand. Auch seine Protagonisten hat Titus Müller sehr facettenreich charakterisiert. Alle hatten Stärken und Schwächen. Ihr Handeln war nachvollziehbar und, was ich ganz besonders schätze, sie machten im Laufe der Handlung eine Entwicklung durch. Sie durchlebten innere Kämpfe und mussten sich in der Katastrophe auf ihre eigene charakteristische Weise bewähren. Einzig Lyman Tundale erschien mir etwas stereotyp. Sehr geschickt flocht der Autor die Ereignisse, die zum Untergang der Titanic führen in die Handlung mit ein.
    „Tanz unter Sternen“ ist in 5 logische Abschnitte gegliedert, die zum inhaltlich Geschehen sehr gut gewählt sind. Lediglich den letzten Abschnitt, in dem der Autor die Geschichte der das Unglück Überlebenden zu Ende bringt, hätte ich mir etwas weniger skizzenhaft gewünscht. Aber da ich mich oft an den Schlussszenen von Romanen reibe, ist das wohl meinem persönlichen Geschmack zuzuschreiben.
    „Tanz unter Sternen“ ist ein wirklich gelungener Roman über ein ziemlich bekanntes Thema. Trotzdem fand ich den Reiz des Unbekannten, weil der Autor die Szenerie aus neuen Blickwinkeln betrachtete. Dieser historische Roman bietet alles was ich von einem solchen erwarte, historische Genauigkeit, Spannung, Unterhaltung und neue Erkenntnisse.


    Über den Autor (Quelle: amazon.de)


    Titus Müller, geboren 1977 in Leipzig, studierte in Berlin Literatur, Geschichtswissenschaft und Publizistik. 1998 begründete er die Literaturzeitschrift “Federwelt”. 2002 war er Mitbegründer des Autorenkreises Historischer Roman “Quo vadis”. Im gleichen Jahr veröffentlichte er, 24 Jahre jung, seinen ersten Roman: “Der Kalligraph des Bischofs”. Es folgten sechs weitere historische Romane wie “Die Brillenmacherin” (2005978-3896674562), “Das Mysterium” (2007) und zuletzt “Die Jesuitin von Lissabon”. Titus Müller wurde mit dem C. S. Lewis- Preis und den Sir Walter-Scott-Preis ausgezeichnet.

  • Was fuer eine tolle Rezension zu einem tollen Buch!
    Ich bin sehr gespannt, was es noch Neues zum Jahrestag der Katastrophe geben wird. Dass aber ein besserer Roman als der von Titus Mueller dabei ist, kann ich mir kaum vorstellen.


    Ich platziere ihn knapp hinter meinem All-time-Titanic-Favoriten "Choral am Ende der Reise" von Eric Fosnes Hansen.


    Eine froehliche Woche wuenscht Charlie

    "Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nee, in Paris regnet's ja jetzt auch." Ararat - "Und sie werden nicht vergessen sein" Knaur, 1. März 2016
    www.charlotte-lyne.com

  • Wie von Titus Müller gewöhnt, vertquickt er meisterhaft Tatsachen mit Fantasie - empfehlenswert.


    Der Mythos "Titanic" ist Schauplatz dieses gelungenen Romans. Titus Müller heizt für diesen Roman die Dampfkessel der „Titanic“ nochmals an.


    Die dreiköpfige Berliner Familie Singvogel, die Tänzerin Nele Stern und der undurchsichtige Engländer Lyman Tindale: sie alle treffen auf dem für „unsinkbar“ erklärten Dampfschiff aufeinander.


    Cäcilie, die Tochter eines reichen Bankiers, kennt Tindale von einigen Rendezvous in Berlins Kaffeehäusern. Wird sie ihren Mann und ihren Sohn verlassen?


    Allen ist gemeinsam, dass sie in Amerika ihr bisheriges Leben hinter sich lassen und ein neues beginnen wollen.


    Als die „Titanic“ den Eisberg rammt und untergeht, kommen die Charakterzüge der Hauptpersonen ans Tageslicht …


    Titus Müller schildert präzise – wie die Leser es von ihm gewohnt sind – historische Ereignisse, stützt sich auf Dokumente, Augenzeugenberichte und verquickt die Tatsachen mit den Figuren aus seiner Fantasie.


    Gut gelungen ist auch der „Nachspann“ in dem der Autor auf reale Ereignisse und Personen hinweist.


    Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und musste es in einem durch lesen.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)