Per Petterson - Ist schon in Ordnung / Det er greit for meg

  • Kurzmeinung

    tom leo
    Manchmal unauffaellig, aber geschickte Erzaehltechnik! "Pferde stehlen" wohl ein Touch besser.
  • Inhalt:
    Auch wenn die Familie zerrüttet ist und der Alltag knallhart: Audun lässt sich nicht unterkriegen. Schon mit dreizehn hat er während der Ferien in ein paar Pappkartons am Bahndamm gehaust. Jetzt lebt er mit der Mutter in einem Arbeiterviertel in Oslo und trägt Zeitungen aus. Egal, was passiert, Audun schluckt den Schmerz und die großen Gefühle hinunter: „Ist schon in Ordnung.“ Per Petterson aus Norwegen hat einen großartigen Roman über die Jugend, das Erwachsenwerden und die Gesellschaft der 70er Jahre geschrieben: Brutal und zärtlich, schonungslos und poetisch.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Der Autor:
    Per Petterson, 1952 in Oslo geboren, arbeitete als Buchhändler und Übersetzer, bevor er sich als Schriftsteller etablierte. Für seinen Roman Pferde stehlen (2006) wurde er mit dem Independent Foreign Fiction Prize ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen außerdem die Romane Sehnsucht nach Sibirien (1999), Im Kielwasser (2007), Ich verfluche den Fluss der Zeit (2009), für das Petterson den bedeutendsten norwegischen Literaturpreis, den Brage-Preis, den Norwegischen Kritikerpreis und den Preis des Nordischen Rats erhielt, sowie Ist schon in Ordnung (2011).
    (Quelle: Verlagsseite)


    Originaltitel: Det er greit for meg
    Übersetzt aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
    Erscheinungsdatum: 25.07.2011
    224 Seiten


    Mein Eindruck:
    In "Ist schon in Ordnung" erzählt Per Petterson von einem Jungen, der es nicht einfach im Leben hat und der niemanden wirklich an sich heranlässt.
    Der Roman spielt Mitte bis Ende der 1960-er Jahre; die Zeit, wo "Hey Joe" von Jimi Hendrix im Radio läuft.
    In den Zeitungen liest man über den Vietnamkrieg, die Schüler diskutieren über die Nato und den amerikanischen Einfluss auf Norwegen.
    Audun, der Ich-Erzähler, trägt Jeans und Sonnenbrille, die er selbst im Klassenzimmer nicht ausziehen mag. Mit seinem Freund Arvid diskutiert er über Bücher, liest Jack London und andere Autoren.
    Um Politik kümmert er sich nicht so sehr, er hat seine eigenen familiären Probleme. Um finanziell besser dazustehen, trägt Audun Zeitungen aus.
    Sein Vater ist ein Trinker, ab und an verprügelt er seine Kinder, versetzt die Familie in Angst und Schrecken. Doch ist er nicht immer zuhause, streicht umher.
    Die Mutter putzt, daheim hört sie Opern und schaut TV. Ihre Zukunft hat sie hinter sich, so heißt es im Roman. Im Gegenzug zur Oper hört Audun "Like a rolling stone" von Bob Dylan.
    Trotz erschwerter Verhältnisse und trotz Schicksalsschlag lässt Audun sich nicht unterkriegen und schafft es irgendwie; bekommt Zuspruch von anderen Menschen. Ab und an reißt er aus der Familie aus, schläft in Kartons im Wald. Er will die Schule abbrechen. Sein Traum, Schriftsteller zu werden, erfüllt sich nicht.
    Ohne Sentimentalität, eher nüchtern erzählt Per Petterson über einen Heranwachsenden; auch hier ist der Vater ein problematischer. Geschrieben wurde der Roman 1992, noch vor "Pferde stehlen". Schon hier beweist der Autor schriftstellerisches Talent; ich habe den Roman sehr gerne gelesen.


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  • Der Norweger Per Petterson ist ein großer Erzähler. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet. Besonders bekannt wurde er hierzulande mit dem Roman „Pferde stehlen“ (2006), dem der Hanser –Verlag das leider weniger beachtete Buch „Im Kielwasser (2007) folgen ließ, bevor mit „Ich verfluche den Fluss der Zeit“ (2009) wieder ein viel verkauftes Buch erschien. Wenig beachtet geblieben ist auchein Buch, mit dem ich zum ersten Mal mit Per Petterson bekannt wurde. Es erschien 1999 unter dem Titel „Sehnsucht nach Sibirien“. In einer Rezension damals bezeichnete ich es als ein Buch von außergewöhnlicher innerer Schönheit und Anmut, das von einer Geschwisterliebe ganz eigener Art, von politischem Widerstand gegen die Nazis im besetzten Dänemark und von den Träumen zweier Geschwister erzählte und nannte dieses damals fälschlicherweise so genannte Debüt „Die Geburtsstunde eines begnadeten Erzählers“.

    Was ich damals nicht wusste: schon 1992 debütierte Per Petterson mit einem Roman, der unter dem Titel „Ist schon in Ordnung“ nun von Hanser dem deutschen Publikum präsentiert wird. In diesem Roman erzählt ein dreizehnjähriger Junge namens Audun seine Geschichte:
    „Vielleicht war etwas in der Luft, was sich veränderte, ich weiß es nicht, aber ich behielt die Sonnenbrille auf. Ich beschloss, sie ständig zu tragen, zumindest tagsüber. Ich mochte den Abstand, den sie erzeugte.“

    Der renitente Junge, der die Sonnenbrille nicht abnehmen will, ist dem Schuldirektor suspekt. Audun verweigert sich und will nicht reden, weder über die Brille noch über seine Familie, auch nicht über den Umzug vom Land in die Stadt. Zusammen mit seiner Mutter lebt er im Arbeiterviertel von Oslo, er steht früh auf, um die Zeitung auszutragen. Obwohl er kaum Kontakt sucht, findet er einen Freund im politisch interessierten Arvid. In diesem Freund findet er sozusagen einen Ausgleich für alle das familiäre Elend, das er bisher erlebt hat. Der Vater ist verschwunden, aber immer bedrohlich nah, die Schwester ist zu einem Schläger gezogen und sein Bruder tödlich verunglückt
    Audun beginnt sich für Literatur zu begeistern und bricht die Schule ab, um in einer Druckerei am Fließband zu arbeiten. Seine Zukunft ist prekär, doch er kämpft sich durch. Er will keine weiteren Verletzungen mehr ertragen:
    „Kann sein, dass meine Mutter hübsch ist, es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Auf dem Land habe ich einmal gesehen, wie sich auf der Straße ein Mann nach ihr umgedreht hat, aber vielleicht war auch nur ihr Lippenstift verschmiert, oder sie hatte an dem Tag ein blaues Auge. Das hatte sie manchmal. Ich auch. Wenn mein Vater lange genug am Stück zu Hause war, hatten wir alle eins.“ Der Alkohol und Gewalt sind alltägliche Gäste in einer Familie, in der die Kinder schon früh die Spuren des Missbrauchs ausleben. Per Pettersons Hauptfigur Audun ist ein typischer Teenager, zutiefst verunsichert und auf Zuneigung angewiesen, gleichzeitig aber wegen der Umstände frühzeitig eigenständig und unabhängig.

    „Ist schon in Ordnung“ ist ein frühes Werk Pettersons, voller Hoffnung und Resignation und bis zum Überlaufen gesättigt mit Wut und Bitterkeit. Und dennoch immer dem Leben zugewandt mit einer Ich-erzählenden Hauptfigur, die trotz aller Schläge immer wieder auf ihren Füßen landet.

  • Nach Pferde stehlen und Nicht mit mir habe ich nun an den Erstling von Per Petterson gewagt. Das schwierige Verhältnis zum Vater kommt in all seinen Werken eine richtungsweisende Bedeutung zu, ohne dass dieses Thema wiederkäuend wirkt. Die Wucht, die aus den nüchtern melancholischen Zeilen des Autors entspringt, ist auch schon in Ist schon in Ordnung präsent.


    Audun ist 18 und weiß naturgemäß noch nicht wohin mit sich. Es brodelt in ihm, doch immer wieder sagt er die titelgebenden Worte. Petterson ist ein präzises wie realistisches Porträt eines jungen Menschen gelungen, dessen Schulzeit sich dem Ende zuneigt. Die erzählerische Kraft haut mich auch diesmal um, man spürt die Rastlosigkeit, die Furcht und die innere Wut. Zugleich ist es das lebensbejahendste, was ich bisher vom Autoren gelesen habe. Die Episode um Auduns erste richtige Arbeitsstelle hätte ein wenig kürzer gefasst sein können, ansonsten war es ein gewohnt guter und nachdenklich stimmender Roman.


    Fazit
    Wunderbarer Erstling, ich wurde nochmal 18 :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Was für ein schönes Geburtstagsgeschenk ! Danke ! Nach wohl drei gelesenen Romanen von Petterson traf dieses Buch wiederum meinen Lesegeschmack.


    Der Roman erschien im Original ja schon 1992, und dann auf Deutsch wohl erst nach dem Erfolg von Per Petterson: Pferde stehlen , das ich vielleicht noch ein Quentchen ausgereifter und besser finde.


    Aber schon in diesem Werk erkennt man die Feder des norwegischen Autors, seinen Stil : Petterson lässt seine Erzählung auch hier « hin- und herpendeln ». Themen überschneiden sich, Dinge und Personen der verschiedenen Zeitebenen verweisen aufeinander und ergeben trotz des Springens einen Erzählfluss. Eventuell könnte man sich manchmal leicht verwirrt fragen, wo man gerade steht. Denn mal ist Auden dreizehn, mal ein Kind, mal achtzehn… Auden ist Ich-Erzähler. Und scheinen manchmal die Karten nicht gut auszusehen, wird er wohl wieder auf die Beine kommen.


    Sein Vater, Alkoholiker, schlägt die Frau und Kinder als er noch daheim war. Bis es zur Trennung kommt und Auden ihn nur wie von nferne und quasi als Phantom ab und an wahrnimmt. Fehlt dieser Vater aber doch ? So wie vielleicht auch der kleine Bruder Egil, der, zwei Jahre jünger, bei einem Autounfall gestorben ist ?


    Freundschaft und Gesten der Zuneigung, sei es von Freund Arvid oder dem alten Mann, wechseln mit Phasen der Abgrenzung und einer auflehnenden Haltung. Wird er zurechtkommen ? Ist das alles « normal » oder « in Ordnung » ?


    Ein feines Buch.