Jürgen Seibold - Kinder

  • Klappentext:
    Annette und Rainer Pietsch leben mit ihren drei Kindern in der Nähe von Stuttgart. Als nach den Sommerferien ein neues Schuljahr beginnt, richtet sich die Familie wieder im Alltag ein. Doch nach einigen Wochen beginnen sich die Kinder zu verändern. Sarah wird zunehmend abweisend, und auch Michael und Lukas entwickeln merkwürdige Verhaltensweisen. Der Familienfriede wird immer mehr von dem aggressiven Auftreten der Kinder erschüttert. Haben die Veränderungen etwas mit den beiden neuen Lehrern, Rosemarie und Franz Moeller, und deren ziemlich unkonventionellen pädagogischen Methoden zu tun? Als schließlich ein Mitschüler unter seltsamen Umständen ums Leben kommt, beschleicht die Eltern ein schlimmer Verdacht...


    Über den Autor:
    Jürgen Seibold, 1960 geboren, lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stuttgart. Er ist gelernter Journalist und arbeitet als Schriftsteller. Unter anderem ist er der Autor einer erfolgreichen Regionalkrimireihe.


    Allgemeines zum Buch:
    „Kinder“ umfasst 411 Seiten und gliedert sich in einen Prolog und zehn Kapitel. Mit durchschnittlich 40 Seiten sind die Kapitel sehr umfangreich. Zum bequemeren Lesen sind sie daher zusätzlich in eine Vielzahl an Abschnitten unterteilt. Diese dienen zugleich dem Spannungsaufbau und dem Sprung zwischen mehreren Handlungssträngen, aus denen sich das Buch zusammensetzt.


    Abgerundet wird der Roman durch eine sympathische Danksagung des Autors.


    Geschrieben ist das Buch aus Sicht eines allwissenden Erzählers in der Vergangenheitsform.


    „Kinder“ ist im Februar 2012 als Taschenbuch im Piper Verlag erschienen.


    Meine Meinung zum Buch:
    Die Pietschs sind eine intakte Familie. Annette und Rainer führen eine zufriedene Ehe und vervollkommnet wird ihr Glück durch ihre drei wohlerzogenen Kinder, die ein freundliches und fröhliches Wesen haben. Die Eltern staunen nicht schlecht, als ihre Zöglinge nach Beginn des neuen Schuljahres plötzlich so fleißig sind. Nachdem sie von der Schule nach Hause gekommen sind, gehen sie sofort auf ihre Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Und auch im Haushalt helfen sie plötzlich, ohne dass sie von ihren Eltern darum gebeten werden müssen. Mit diesen Entwicklungen sind Annette und Rainer sehr zufrieden, vor allem mit den guten Noten, die die Kinder plötzlich schreiben, auch wenn sie nicht wissen, woher es kommt. Doch schon bald legen die Kinder ein Verhalten an den Tag, mit dem die Eltern nicht einverstanden sind und das sie vor allem nicht verstehen. Die Stimmung ist plötzlich sehr gereizt, das Auftreten der Kinder schwankt zwischen Aggressivität und Zurückgezogenheit. Die neuen Lehrer, die mit Beginn des Schuljahres den Unterricht übernommen haben, haben die Pietschs dabei leider nicht im Verdacht.


    Rosemarie und Franz Moeller wirken auf den ersten Blick komisch mit ihren langen dunklen Mänteln und der Art, wie sie die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Gruselig, irgendwie. Und das zeigt sich auch in ihren Lehrmethoden. Bereits am ersten Schultag müssen die Kinder Fragebögen ausfüllen, in denen sie detailliert über ihre Vorlieben und Schwächen ausgefragt werden, über Freundschaften und ihr Familienleben. Es sind merkwürdige Fragen, die da gestellt werden, aber die Kinder denken sich nichts dabei. Und die Eltern auch nicht. Leider. Denn diese Fragebögen nimmt das Lehrerehepaar zur Grundlage, um ein feines Netz aus Intrigen, Machtkämpfen und Verschwörungen zu spinnen. Es ist beängstigend, mitanzusehen, wozu die Lehrer fähig sind und wozu sie ihre Schüler antreiben. Sie wissen genau, welcher Schüler Streicheleinheiten braucht und welcher Schüler Strenge und Härte. Sie spielen die Schüler gegeneinander aus, setzen Gerüchte in die Welt, stacheln die Lehrer an. Es beginnt mit Beleidigungen, Mobbing, Ausgrenzung. Und endet in Gewalt und einem großen Desaster.


    Das Buch beinhaltet eine Vielzahl an Charakteren und dementsprechend eine Vielzahl an Einzelschicksalen. Nicht nur die Schüler, die unter dem Einfluss des Lehrerehepaars stehen, werden beleuchtet, sondern auch die Eltern der Kinder. Diese stehen den Entwicklungen zunächst hilflos und vor allem machtlos gegenüber, lernen aber schnell, dass sie handeln und eingreifen müssen. Doch diese Entwicklungen bleiben den Moellers nicht unbemerkt und ihr Verhalten beschränkt sich nun nicht mehr allein auf die Schule und die Schüler, sondern auch die Eltern werden von ihnen ins Visier genommen. Es ist wahrer Psychoterrer, den sie ausüben, und dem kann nicht jeder standhalten, manche gehen darunter zu Bruch.


    Die Handlung springt zwischen den vielen Handlungssträngen hin und her und so wird ein umfassendes Bild geschaffen von den Einflüssen, die die neuen Lehrer haben und den Entwicklungen, die daraus folgen. Dadurch fällt es relativ schwer, eine Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Die vielen Sprünge zwischen den Handlungssträngen sorgen für eine sehr episodenhafte Handlung und die Figuren bleiben zu distanziert. Gelungen ist dem Autor aber, das Verhalten der Charaktere nachvollziehbar zu gestalten. Die Handlung ist sehr lebendig und der Spannungsbogen wird konstant aufrechterhalten.


    Der Stil des Autors ist sehr einfach und angenehm, sodass sich das Buch leicht und flüssig lesen lässt. Was etwas stört, ist, dass die Charaktere immer mit ihrem Vor- und Nachnamen benannt werden. Das ist zu Beginn des Buches ganz hilfreich, aber im Verlauf der Handlung lernt man die Figuren doch so gut kennen, dass man sie auch allein anhand ihres Vornamens zuordnen könnte. Es wirkt etwas steif und gestellt, wenn vor allem die Hauptcharaktere Annette und Rainer Pietsch stets bei ihrem vollen Namen benannt werden. Jürgen Seibold schafft es durchaus, mit seinem Stil zu fesseln, aber besonders ausgefeilt ist dieser nicht. Das braucht es für einen Thriller aber auch nicht.


    Mein Fazit:
    Ein erschreckender Thriller, der toll konstruiert ist, dessen Charaktere aber etwas blass bleiben.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Vielen Dank für die Rezi, gaensebluemche.
    Auch wenn Du nicht zu 100% überzeugt warst, pack ich das Buch mal auf die Wunschliste. Ich beobachte es schon eine ganze Weile und habe auf Rezis und Meinungen gewartet. Ich finde die Handlung hört sich einfach sehr spannend an. :)

  • @ Kapo: Ich schieb die Bewertung zum größten Teil auf die vielen Sprünge in der Handlung und die recht blassen Charaktere. Das ist aber Geschmackssache. Von der Handlung her ist das Buch dagegen enorm fesselnd und sehr erschreckend. Vieles passiert im Hintergrund, von dem der Leser gar nicht so viel mitbekommt. Aber die Auswirkungen bekommt er heftig zu spüren. Könnte mir vorstellen, dass das Buch was für dich ist. :D

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  • Das hört sich wirklich sehr spannend an. Danke für die auführliche Rezi! :thumleft: Meine Wunschliste wächst gerade irgendwie ziemlich ins uferlose...

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • @ Hiri:


    Freut mich, dass ich dich für das Buch interessieren konnte! Dann lass es mal nicht zu lange auf deiner Wunschliste. :wink:

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  • Annette und Rainer Pietsch leben mit ihren drei Kindern im Großraum von Stuttgart. Bisher mussten sie lediglich mit den typischen Elternsorgen kämpfen, aber seitdem die Sommerferien vorbei sind, werden diese Probleme scheinbar immer größer. Bei Sarah könnte man das noch auf die Pubertät schieben, aber auch die jüngeren Söhne verhalten sich plötzlich auffällig und aggressiver. In der ganzen Schule scheinen Sticheleien und Mobbing immer mehr zuzunehmen, bis die Situation sich zuspitzt und ein Schüler ums Leben kommt. Ob die Veränderungen an der Schule etwas mit dem neuen Lehrerehepaar Moeller und deren unkonventionellen pädagogischen Methodenzu tun haben könnte?


    Bevor man den neuesten Thriller von Jürgen Seibold liest, sollte man sich von seinen bisherigen Erfahrungen mit Psychothrillern verabschieden und Neuem gegenüber offen sein, denn Seibold nimmt eine ganz andere Fährte auf. In diesem Roman geht es nicht um einen Psychopathen im "herkömmlichen Sinne", der Menschen entführt, quält oder tötet, sondern es geht um die Lehrer Franz und Rosemarie Moeller, die ein bestimmtes pädagogisches Ziel verfolgen und mit aller Macht umsetzen wollen. Sie möchten Kinder fordern und fördern und sind bereit dafür einige schwache Schüler zu "opfern", um die erfolgversprechenderen Schüler weiter voran zu treiben. Die Resultate sprechen zunächst für das Lehrerehepaar. Die Noten vieler Schüler werden besser, sie sind konzentrierter und auch respektvoller den anderen Lehrern gegenüber. Jedoch wirbeln sie auch etlichen Staub auf, den manche Eltern gekonnt schnell wieder unter den Teppich kehren, zumindest dann, wenn ihre Kindern auf einmal zu den Schülern gehören, die nun bessere Noten nach Hause bringen.


    Zitat

    "Das ist nett von dir, aber ich will euch Schülern nichts vorwerfen, was allein eure Eltern losgetreten haben. Und vielleicht haben sie ja auch
    recht und wir haben zu viel von euch verlangt." (Seite 132)


    Der 411 seitenstarke Roman ist in zehn Kapitel unterteilt, die damit ziemlich umfangreich sind. Jedoch bestehen die einzelnen Kapitel aus einer Vielzahl von kleinen Absätzen, die jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert werden und im Durchschnitt eine Länge von weniger als einer Seite haben. Durch diesen ständigen Perspektivwechsel war es zunächst etwas schwieriger den Überblick zu behalten, da Seibold nicht nur auf die Eheleute Pietsch, deren Kinder und das Lehrerehepaar eingeht, sondern auch auf andere Lehrer, viele Mitschüler sowie deren Eltern. Zu Beginn des Romans musste man daher erst einmal alle Charaktere sortiert bekommen, aber dann hat mir dieser Erzählstil gefallen, da er dem Autor die Möglichkeit bietet die Einflüsse des Lehrerehepaares auf viele Personen zu schildern und es stets interessant zu lesen war, wie unterschiedlich die zahlreichen Charaktere reagieren.


    Die Grundidee des Thrillers gefällt mir richtig gut und die Thematik wurde auch recht gut umgesetzt. Die Handlungsstränge laufen gekonnt nebeneinander her, verweben sich zum Teil und ergeben ein interessantes Gesamtbild. Auch die Motivation des Lehrerehepaares wird nach und nach deutlicher und die Reaktionen der Schüler, Eltern und Lehrer sind zum Teil sehr erschreckend. Seibold vermag mit seinem Roman aufzuzeigen, wie sehr Menschen manipuliert werden können und zwar nicht nur Kinder oder Jugendliche, sondern Erwachsene gleichermaßen, und wie gerne Personen die Augen vor negativen Auswirkungen verschließen, solange diese sie nicht persönlich betreffen. Ich hätte mir lediglich noch gerne ein paar weitere Informationen darüber gewünscht, wie die Methoden der Moellers im Detail aussehen. Der Leser erhält lediglich Aussagen darüber, welches Ziel die Lehrer verfolgen und welche Auswirkungen das hat, aber es gibt nur kleine Einblicke in die tatsächlichen Handlungen im Klassenraum.



    Leseprobe


    Fazit: Ein Roman, der gekonnt präsentiert, welche erschreckenden Folgen es haben kann, wenn fanatische Lehrer versuchen eine Elite zu formen und ihnen dabei alle Mittel recht sind. 4/5 Sterne.


  • Ich schieb die Bewertung zum größten Teil auf die vielen Sprünge in der Handlung und die recht blassen Charaktere.

    Da muss ich zustimmen, das waren auch für mich die schwächsten Punkte. Ich würde vielleicht nicht so weit gehen und die Charaktere "blass" nennen, aber "stereotyp" trifft es für mich am Ehesten. Vor allem bei der Familie Pietsch. Vor den Einwirkungen des Lehrerehepaars war dies so eine typische Bilderbuchfamilie. Die Sprünge in der Handlung fand ich vor allem später leicht störend, denn teilweise wurde da nicht einmal ein Absatz gemacht.
    Aber trotzdem würde ich dieses Buch als wirklich gut bezeichnen. Es hat einfach Spaß gemacht, es zu lesen und mitzubekommen wie die Geschichte ihren Lauf nimmt. Die Seiten sind nur so vorbeigeflogen und "Kinder" war eins dieser Bücher, bei denen ich die Zeit vergessen habe. Der Autor konnte auch viele Emotionen bei mir hervorrufen und ich hab ganz schön mitgefiebert mit Familie Pietsch und den anderen Betroffenen, dass sie aus dem Schlamassel, der von Seite zu Seite immer größer wird, wieder herauskommen. Auch die Bösewichte fand ich richtig gut und ich hab einen regelrechten Hass auf das Lehrerehepaar entwickelt. Das waren doch wirklich mal richtig fiese, teuflische und diabolische Bad Guys, denen man es nicht auf den ersten Blick angemerkt hat, was sie für Monster sind. Das Ende war vielleicht etwas dick aufgetragen und ging mir etwas zu schnell über die Bühne, aber letztendlich konnte ich auch mit diesem gut leben.


    Fazit: Ein absolut fesselnder Psychothriller, bei dessen Genreeinteilung man das "Thriller" auch durch "Drama" ersetzen könnte. Aber das Wort "Psycho" ist selten so zutreffend wie hier: Wahrhaftig böse Wölfe-im-Schafspelz-Täter ziehen langsam, aber sicher eine ganze Schule in ihren Bann und als Leser muss man hilflos zuschauen und kann nur mitfiebern.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Prima, Kapo, dass dir das Buch so gut gefallen hat, das freut mich. :D Und du hast Recht: Die Bösen sind hier wirklich böse und als Leser entwickelt man eine enorme Abneigung gegen das Lehrerehepaar Das hat der Autor wirklich gut hinbekommen.

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


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