Inka Parei - Die Schattenboxerin

  • Zitat

    Hell, «die Frau mit der Pfeife», haust illegal und inzwischen ganz allein im desolaten Hinterflügel eines abbruchreifen Berliner Mietshauses. Bevor die Nazis ihr wahres Gesicht als Massenmörder zeigten, hatte es einer wohlhabenden jüdischen Familie gehört. Nichts geschieht in diesem verschimmelten Gemäuer an der Lehniner Strasse, das – wie so vieles in der ehemaligen «Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik» – beim «Aufbau des Sozialismus» glattweg übersehen wurde. Die junge Hell hat dessen Potemkinsche Dörfer nicht mitbekommen. Erst seit 1989, dem magischen Jahr der längst entzauberten deutschen Wiedervereinigung, lebt sie im Ostteil jener Stadt, nach der nun gern eine neue Republik benannt wird. Vorher, so jedenfalls meint sie jetzt, sei ihr Leben «an der westlichen Achse» der damals noch geteilten Kapitale «völlig unwirklich gewesen», eine «riskante und sorglose Täuschung» eben. (Ute Stempel, Neue Zürcher Zeitung via Amazon)


    Die Schattenboxerin von Inka Parei ist ein Roman über eine junge Frau in Berlin der 1990er Jahre in einer zerfallenden, fast böswilligen Stadt. Eine harte Geschichte aber nie ausgesprochen deprimierend durch eine geschickte Struktur mit einer markanten Stimme der Protagonistin erzählt. Tief verwurzelt im Alltag Berlins der Wendezeit stützt es sich vorallem auf den Rhythmus von Kriminalliteratur wodurch ein Roman ensteht der spannend, düster und witzig zugleich ist.


    Das Buch erscheint wie ein Film noir, deutscher Expressionismus gepaart mit der Tradition US-Amerikanischer Kriminalliteratur. Die Protagonistin Hell bemerkt das ihre Nachbarin Dunkel verschwunden ist (extra Augenmerk auf die bildhaftenden, sprechenden Namen sollte durchaus gelegt werden). Bevor das Buch zu Ende gelesen ist werden wir erfahren haben das durchaus ein Verbrechen geschehen ist, allerdings ein anderes als man ursprünglich erwartet hatte. Inka Parei beweist hier eine Fingerfertigkeit die erstaunt; dicht geknüpft webt sie ein Netz das dennoch auch locker ist und genau an den richtigen Stellen verwaltet sie die Details und Ereignisse das man beinahe selbst das Gefühl bekommt gestrandet zu sein im allzu grauen Berlin der schmutzigen Strassen in dem ein Großteil der Geschichte spielt.


    An anderen Stellen tritt sie weg von Ereignissen, versucht erst gar nicht zu erklären was es mit diversem auf sich hat. Im wechselseitigen Rhythmus aus scharfer, verletzender Klarheit und albtraumhafter Dunkelheit verursachen Hell kleine Objekte aus ihrer Vergangenheit Erinnerungen. Der Wechsel aus Realität und Erinnerung aus der Vergangenheit verwirrt das eine oder andere Mal, vorallem weil durchgehend im Präsens erzählt wird, egal in welcher Episode ihres Lebens Hell sich gerade befindet. Inka Parei schreibt in relativ einfacher Grammatik, mit einfachen Beschreibungen während gleichzeitig es auch faszinierend zu sehen ist welche überraschende und interessante Wendungen sie benutzt. Manchmal allerdings wirkt die Form des Präsens etwas unbeholfen und Inka Parei kämpft durchaus damit in ihrem Erstlingswerk. Es scheint nicht leicht die Form der Erzählung durchgehend elegant und stilsicher zu halten.


    Eine klare und saubere Storyline beginnt aus den Fugen zu geraten. Die Vergangenheit, erinnert in kurzen, intensiven Momenten, beginnt zu bluten in der Gegenwart. Kleine Scherben eines größeren Mosaiks, weitgehend in chronologischer Reihenfolge angeordnet, arbeiten sich zum Höhepunkt zu. Katastrophale Ereignisse aus der Vergangenheit aus der Hölle die Hell traumatisiert haben. Deutlich wird das sie ihr ganzen Leben nach den Ereignissen der Vergangenheit ausrichtet und versucht damit umzugehen was ihr widerfahren ist.


    Die Schattenboxerin ist ein kleines Buch in Bezug auf Größe und Umfang aber am Ende, nach dem Höhepunkt, wenn die ganze Struktur des Romans in sich zusammengebrochen ist, nimmt die Heldin dieser Geschichte einen tiefen Atemzug, und gleichzeitig öffnet sich auch das Buch angefüllt mit Licht und auch Erleichterung.


    Der Roman ist voll von offensichtlicher und weniger offensichtlicher Symbolik und allegorischen Szenen die jedoch dem naturalistischen Eindrücken nicht schaden. Die Atmosphäre wird zusammengehalten von einem dreckigen, ungepflegten, zerfallenden aber auch liebenswerten Berlin.


    Es ist ein beeindruckendes und originelles Buch und für ein Debüt das ein "Versprechen" genannt wurde, trotz kleinerer Makel und Fehler, durchaus eben dies: ein Versprechen einer großartigen Schriftstellerin die mittlerweile zwei weitere Bücher veröffentlicht hat.