Jan Brandt, Gegen die Welt

  • Gegen die Welt ist ein Außenseiterroman unserer Zeit.
    Er spiegelt im Protagonisten die große Welt und die Welt der Provinz gleichermaßen.


    Daniel wächst als Sohn eines Drogeriebesitzers in dem fiktiven Ort Jericho in Ostfriesland auf, in einem familiären Umfeld, in dem neu Hinzugezogene eingeladen werden, weil sie potentielle Kunden sind, wo der Vater jeden Tag all seine Räder vor der Drogerie abstellt, um den Eindruck zu erwecken, sein Geschäft sei gut besucht und wo ein Kaltlufteinbruch und ominöse Kornkreise zu einem Medienereignis ersten Ranges werden. Ist es hier ein Wunder, dass ein von seinen Mitschülern ausgegrenzter Junge, der sich in die Allmachtsvorstellungen einer Fantasy-Welt flüchtet, von einer Clique gewalttätiger Schüler zusammengeschlagen und anschließend dargestellt wird als jemand, der sich von Außerirdischen verfolgt fühlt?
    Mit diesem Ruf lebt Daniel weiter, und es kommt, wie es kommen muss: Aus dem Opfer wird ein Täter. Zusammen mit seinen "Freunden" demütigt er einen Mitschüler, der sich einige Zeit später vor den Zug wirft.
    Daniel wächst weiter heran und führt ein Leben zwischen Anpassung und Widerstand.
    Als er Hakenkreuz-Schmierereien im Ort auf den Grund gehen möchte, stößt er nicht nur bei seine Eltern auf Ablehnung, sondern wird von den Dorfbewohnern auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht. In seinem Kampf gegen die Welt hat er keine Chance.
    Sprachlich-stilistisch geht Jan Brandt in seinem Debütroman ganz neue Wege.
    Da finden sich gleich am Anfang schon einmal sechs leere Seiten, bevor die Hauptfigur mit den Worten ins Geschehen eingeführt wird: "An einem Mittwoch im Juni bekam Daniel sein erstes Zeugnis". Soll damit ausgedrückt werden, dass Daniel bis dahin (sechs Jahre) ein unbeschriebenes Blatt war?
    An späteren Stellen verblasst die Druckschrift in dem Roman fast bis zur Unleserlichkeit. Auch hier kann ein Bezug zum Inhalt hergestellt werden, denn beispielsweise heißt es zuvor: Daniel hockte stumm zwischen den anderen, ab und zu nahm er einen Zug [und nun verblassend] , dann starrte er wieder in die Glut ...." Er versinkt sozusagen in sich selbst.
    Mir hat der Roman insgesamt gut gefallen, wenn ich auch teilweise Schwierigkeiten mit der Detailversessenheit und der allzu ausgeprägten epischen Breite hatte.
    rainy

  • Jan Brandt erzählt in seinem beachtenswerten Debütroman die Geschichte des im fiktiven ostfriesischen Jericho lebenden Daniel Kuper. Der Leser begleitet Daniel rund 20 Jahre lang. Er sieht ihn aufwachsen, beobachtet ihn bei Jungenstreichen und begleitet ihn durch seinen Alltag. Durch häufige Perspektivwechsel ermöglicht es Jan Brandt dem Leser, das gesamte Umfeld des Jungen kennenzulernen und zu erfahren, wie er auf andere Menschen wirkt. Eigentlich ist er ein ganz normales Kind - mit ein bisschen viel Fantasie und nur wenigen Möglichkeiten, diese in die richtigen Bahnen zu lenken. So werden ihm von den Bewohnern Jericho’s schnell alle möglichen sonderbaren Ereignisse zur Last gelegt, Nazischmierereien, Schneefall im Sommer, Kornkreise. Je mehr er versucht, seine Unschuld zu beweisen, umso mehr zieht er die Verdachtsmomente auf sich. Er wird zum Außenseiter und wirkt schon wie ein junger Don Quichote, der einen Kampf gegen Windmühlenflügel oder auch gegen die Welt aufgenommen hat. Mit großer Liebe zum Detail, man kann es auch fast schon als Detailversessenheit nennen, beschreibt der Autor das Leben in der Kleinstadt, charakterisiert die Bewohner, bis man schlussendlich glaubt, man kenne die Gegend, ihre Menschen und wäre den Weg vom Bahnhof zur Drogerie Kuper selbst schon x-mal gegangen. Das mag einerseits ein Vorteil sein, denn es schafft Nähe, andererseits entstehen durch die Ausführlichkeit unweigerlich Längen, die den Lesefluss hemmen. Besonders die schier endlosen und im ganzen Roman vorkommenden Aufzählungen haben meinen guten Gesamteindruck doch etwas getrübt. Ungewohnt, weil unüblich, ist auch das Layout des Romans. Er beginnt und endet mit jeweils 6 unbedruckten Seiten. Andere Seiten sind nur zum Teil mit Text gefüllt. In einer ganzen Passage existieren in einem oberen und einem unteren Teil unterschiedliche Handlungsstränge. Dann wieder verblasst das Druckbild.
    Ungezählte Male gibt es Verweise auf Musik, Bücher und Filme der damaligen Zeit. Das lässt das Buch authentisch wirken, denn der Leser begibt sich in Gedanken auf die gleiche Zeitebene wie die Protagonisten.
    Für mich ist "Gegen die Welt" ein unkonventionelles, mutiges Buch, das die Experimentierfreudigkeit eines jungen Autors belegt, der zum Teil mit Althergebrachtem und literarischem Einerlei bricht. Trotz meiner Kritik wird Jan Brandt bei mir nicht in Vergessenheit geraten. Auf einen neuen Romanen von ihm bin ich sehr gespannt.


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  • Vielleicht sollte ich zunächst einmal ein wenig ausholen, und die Geschichte des Josua aus dem AT erwähnen. - Nach dem Tod von Moses wurde Josua sein Nachfolger, und wieder einmal wurde die Stadt „Jericho“ in Schutt und Asche gelegt. Es wurde gemordet, die Stadt wurde ausgeraubt und von Josua verflucht: „Verflucht sei, wer sich aufmacht, wer ihren Grund legt, dem soll der älteste Sohn sterben.“ Nebenbei sei auch noch erwähnt, dass Josua zuvor dem Tanz um das goldene Kalb als Diener von Moses, beiwohnte.
    Und dann schreibe ich auch gleich, dass im „Buch Daniel“ die Geschichte des Sehers Daniel beschreibt >>„Sie enthalten u. a. umfangreiche Zahlenmystik, Symbolbilder und Metaphern, die auf die Endzeit gerichtet sind und in der Offenbarung des Johannes aufgegriffen werden.<< (wiki Buch Daniel)

    So jetzt zum Buch!


    Der Protagonist Daniel ist ein sonderlicher Junge. Er hat eine glänzende Phantasie, ist gerne für sich allein und schreibt seine Geschichten nieder. Richtig gute Freunde hat er nicht, wohl auch, weil er sich mit Ausgegrenzten beschäftigt. Neben Peter sitzt er in der Schule und mit Volker, dem Dickerchen, spielt er nach der Schule, das wird ein wenig geheim gehalten. Die Rabauken der Schule Eisen & Co. haben aus diesem Grund Daniel ganz oben auf ihrer Liste für Schikanen stehen.


    Dann kommt der Tag in dem es in „Jericho“ (unsere fiktive Stadt Leer in Ostfriesland) mitten im September schneit, ein Maiskreis im Maisfeld entsteht und Daniel nur mit einem Handtuch bedeckt sowie mit zahlreichen blauen Flecken und einem Schleudertrauma verspätet nach Hause kommt.


    Daniel wird verflucht und das gleich dreimal: Einmal von der Gemeinde als Unheilsbringer im Maisfeld, etwas später sogar vom Pastor, und letzlich von Peter mit den Worten „Du auch“.


    Aber wie gesagt der ganze Ort „Jericho“ ist verflucht von Josua. Die ältesten Söhne werden sterben, denn das goldene Kalb tanzt wieder in der Gemeinde, denn der braune Rosing baut die Stadt wieder auf …


    Das Buch ist genial! Noch nie habe ich so ein spannendes und zugleich auch noch ein so intelligentes Buch gelesen! Wirklich ein Ereignis und kein Debüt! Es ist ja noch nicht einmal der biblische Rahmen, der das Besondere ausmacht, nein der Stil des Buches mit unterteilten Ebenen, leeren Seiten und sehr schwach bedruckten Absätzen bringen zudem noch viel Atmosphäre ein. Außerdem wird der Leser in die Zeit der 80er katapultiert mit Fondor, Tschernobyl und dem Original Parker. Wie in einem Sog liest man die 900 Seiten runter wie nichts. Danach bleibt nur noch das Warten auf neuen Stoff, den uns Jan Brandt hoffentlich schnell vorlegt! (Obwohl, an diesem Buch hat er Jahre geschrieben.)


    Jan Brandt, geboren 1974 in Leer (Ostfriesland) und studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in Köln, London und Berlin und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seine Erzählungen sind in der FAZ sowie SZ erschienen. „Gegen die Welt“ ist sein erster Roman.

  • Von mir gibt es 4,5 Sterne für Jan Brandt`s "Gegen die Welt".
    Das Buch hat mir an sich sehr gut gefallen, doch die bereits erwähnten "Besonderheiten" (die 2 verschiedenen Handlungsstränge die parallel auf einer Seite laufen, die teils nur mit einem Satz bedruckten Seiten, die teils verblassende Schrift gegen Ende des Buches) lassen mich dann doch einen halben Stern wegen überflüssigem Schnick-Schnack abziehen.
    Das Buch wäre bequem ohne dies ausgekommen, mich hat es ein bisschen genervt.
    Von diesen peripheren Dingen abgesehen fand ich das Buch absolut lesenswert und empfehle es hier gerne weiter.