Istvan Örkeny - Minutennovellen

  • Klappentext (weil er bei diesem Buch einfach äußerst zutreffend ist):
    Der ungarische Schriftsteller Istvan Örkeny (1912 -1979) hat eine literarische Form erfunden: die Mininovelle, deren Lektüre nicht mehr als eine Minute beansprucht und deren Titel unmißverständlich ist wie die Nummer einer Straßenbahn. Er schrieb sie >>während der wenigen freien Stunden, die er der Geschichte abtrotzen konnte<< -einer Geschichte, die ihm vor allem Verfolgung, Krieg, Gefangenschaft und den unberechenbaren Alltag in einer repressiven Gesellschaft zugedacht hatte.Diese >>Märchen aus dem 20. Jahrhundert<< (György Konrad), deren Humor und Rätselhaftigkeit an Kafka erinnern, gehören zu den Klassikern der osteuropäischen Moderne. In wenigen Zeilen die Essenz eines Lebens, in einem simplen Dialog die Absurdität einer Epoche festzuhalten - das ist die hohe Kunst dieses Autors, der seine Texte gern mit Brühwürfeln verglich, aus denen der Leser sich eine Suppe kochen soll.


    Meinung:
    Die Minutennovellen, die nicht immer in einer Minute zu lesen sind, sind keine - eben mal so im Vorbeischauen - zu lesenden Geschichtchen. Sie trafen mich oft ins Herz und genauso oft musste ich einige von ihnen ein zweites Mal lesen, weil einmal einfach nicht ausreichte. Der Humor ist schwarz oder auch absurd, überraschend und intelligent. Das ist ein Buch, das man immer wieder mal in die Hand nehmen kann, um noch einmal zu "genießen". Um den Humor dieses Mannes zu verdeutlichen, beschreibe ich einmal eine Seite mit dem Titel "Leere Seite": oben der Titel mit einem Sternchen versehen - unten das Sternchen mit folgendem Text:
    Solche >>leeren Seiten<< erzählen entweder von nicht existenten Dingen oder von solchen, über die der Autor nichts zu sagen hat.
    Auch die "Gebrauchsanweisung" zum Lesen seiner Minutennovellen ist ausgezeichnet. Ein wirklich lesenswertes kleines Buch aus der Bibliothek Suhrkamp!

  • Danke dir für die Vorstellung dieses Buches! Das klingt sehr interessant, vor allem die "leere Seite"... :) Dazu noch absurde, kurze Geschichten? Her damit! Bibliothek Suhrkamp zählt übrigens schon seit Jahren zu meinen Favoriten, auch aufgrund der schlichten Cover.

  • Original : Egyperces novellák (Ungarisch, 1968, 1984, 1991)


    Örkeny wurde mir von ungarischen Freunden stark empfohlen und ich landete erst bei zwei anderen Werken István Örkény – Soeur Gloria und Istvan Örkeny - Familie Tot; Katzen-Spiel bevor ich mir dann aber sein Haupt- und Meisterwerk besorgen konnte, das ich nun über einige Wochen hinweg gelesen habe. Es handelt sich, wie schon gesagt wurde, um Minutennovellen, die man meines Erachtens nicht einfach so herunterlesen sollte. Es ist also eine Sammlung, und in der hier eingestellten Fassung aus dem Suhrkam Verlag ist es ebenso eine Auswahl solcher Kürzestgeschichten. Nach einem Hinweis im wikipedia-Artikel zu Örkeny gibt es im Ungarischen insgesamt gesehen mindestens derer 400 ! Und wenn ich die ungarische Seite recht interpretiere gab es mindestens drei (verschiedene) Sammlungen, die in verschiedenen Jahren mit demselben Titel herausgegeben worden sind. Die hiesige, deutsche Auswahl besorgte Terezia Mora, die ja inzwischen auch anderweitig bekannt geworden ist, aber halt ebenso als Vermittlerin, Übersetzerin ungarischer Literatur.


    Meine ungarischen Freunde sprachen allesamt von DEM Meisterwerk schlechthin Örkenys, und vielleicht einer ganzen Schriftstellergeneration. Es scheint üblich zu sein, einander zu fragen : « Und was ist Deine liebste Minutennovelle ? », (so gehört).


    Ich kann nicht alles in den selben Topf schmeissen. Einerseits spricht Örkeny in seinem Vorwort an, dass ein nicht erkannter « Sinn » seiner Geschichte irgendwie seine Schuld wäre. Andererseits kann ich durchaus verwirrt sein und muss und kann nicht alles verstehen. Aber es steht fest, dass ich zu einigen dieser kleinen Arbeiten unmittelbaren Zugang hatte und entweder lachen musste oder auch nachdenklich wurde etc. Andere konnten mich nicht erreichen.


    Von Ferne erinnern diese Miniaturen, die in sich abgeschlossen sind, an Kafka-Arbeiten oder den Keuner-Geschichten von Bert Brecht. Lesenswert und etwas für einen längeren Aufenthalt auf dem Nachtkommödchen !


    AUTOR :
    István Örkény (* 5. April 1912 in Budapest; † 24. Juni 1979 in Budapest) war ein ungarischer Schriftsteller und Dramatiker und gilt als hervorragender Repräsentant des ungarischen absurden Dramas. Er wurde im Jahr 1912 als Sohn eines Apothekers in Budapest geboren. Nach dem Schulabschluss studierte er angewandte Chemie und wechselte anschließend zur Pharmazie. Er schloss dieses Studium im Jahr 1934 ab. Nach einigen Jahren im Ausland (u. a. Paris und London) kehrte er 1940 nach Ungarn zurück, wo er das begonnene Chemieingenieur-Studium ebenfalls abschloss.

    Im Jahr 1942 wurde er als Jude eingezogen und musste während des Krieges in einem Arbeitsbataillon an der russischen Front dienen. Fünf Jahre in russischer Gefangenschaft. 1946 kehrte er nach Budapest zurück, wo er zu schreiben begann. Seine Kurzgeschichte Violette Tinte wurde vom sozialistischen Ideologen József Révai angegriffen und kritisiert. Er wurde Mitte der fünfziger Jahre mit einem Schreibverbot belegt. Als schließlich in Ungarn die Revolution ausbrach, kritisierte er das ungarische Radio mit folgender Aussage: „wir haben des Tags gelogen, wir haben des Nachts gelogen, wir haben auf jeder Wellenlänge gelogen“. Zusammen mit anderen Schriftstellern wie Déry, Gyula Illyés, László Benjámin und Zoltán Zelk suchte er dann um Asyl in der polnischen Botschaft an, das Asylgesuch wurde aber abgelehnt. Als die Sowjetrussen schließlich den Aufstand niedergeschlagen hatten, veröffentlichte er mit fünf Kollegen eine selbstkritische Schrift, um ihre Tätigkeiten während des Aufstandes zu vertuschen. Dennoch wurde er 1957 mit einem Schreibverbot belegt. 1960 schließlich wurde dieses aufgehoben und er konnte Anerkennung gewinnen. (Quelle : http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96rkeny )


    Hier ein Link zu einer ungarischen Ausgabe; Sie scheint relativ komplett zu sein, denn sie umfasst über 570 Seiten...:
    http://www.libri.hu/konyv/egyperces-novellak.html

  • Ich habe eine Vorliebe für kurze und absurde Geschichten, von daher war das Buch ein Volltreffer für mich gewesen.


    Schon allein das "Vorwort" des Autors war amüsant zu lesen. Örkény spricht auch nicht von einem Vorwort, sondern sogar von einer Gebrauchsanweisung. Eine Gebrauchsanweisung für ein Buch? Das konnte nur meine Neugier wecken, weil es sich absurd anhört. Ich erlaube sie mir mal komplett zu zitieren:



    Die Novellen selbst sind, wie es schon meine Vorgänger beschrieben haben, schräg bis schwarzer Humor. Manche musste ich zweimal lesen, manche erreichten mich direkt, die eine oder andere sprach mich inhaltlich nicht so sehr an, aber dafür wiederum die Art wie sie geschrieben wurden. Perfekt war für mich auch die Kürze, denn im Moment bin ich nicht gerade die allergeduldigste Leserin.


    Eine Anmerkung auch noch zu der Suhrkamp Ausgabe. Ich liebe einfach diese kleinen und durch ihre Schlichtheit sehr schön aufgemachten Bücher. Sie haben fast etwas von "Handschmeichler" an sich.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Nach einem Hinweis im wikipedia-Artikel zu Örkeny gibt es im Ungarischen insgesamt gesehen mindestens derer 400 !

    Knapp 70 dieser Minutennovellen sind in dieser Suhrkamp-Ausgabe enthalten. Schade, ich könnte gut und gerne täglich 2-3 dieser Geschichten lesen. Natürlich sind nicht alle Erzählungen gleich gut, aber die Auswahl ist gelungen und bieten eine gute Abwechslung - thematisch und auch von der Wirkung her. Persönlich fand ich die absurden Geschichten ganz gut, aber gerade die Novellen, in denen es um Kriege und Leid geht, fand ich wahnsinnig gut. Ich denke da bspw an das Kind, das seiner Mutter bei deren Hinrichtung zusieht oder der Soldatenfreund, der inmitten eines neu erdachten Lieds erschossen wird - und sein Reimen für immer unentschlüsselbar bleibt. Empfehlenswert, und zum immer wieder mal in die Hand nehmen.