Charles Lewinsky, Gerron

  • Inhalt (Klappentext):
    Die faktenreiche und doch erfundene Lebensgeschichte des Schauspielers Kurt Gerron, Star von Brechts Dreigroschenoper und des Blauen Engels mit Marlene Dietrich. Aufgewachsen in Berlin, wird er als Frontsoldat verletzt, versucht sich als Kabarettist und Chansonnier und feiert dann als Publikumsliebling im Film und auf der Bühne riesige Erfolge. 1944 bekommt er den Auftrag, einen Film zu drehen, der das erniedrigende Leben der in Theresienstadt eingesperrten Juden als Paradies schildern soll. Eine Weigerung würde sein Ende bedeuten, mitzumachen hätte zumindest eine aufschiebende Wirkung, aber wie soll er es verantworten, seine Kunst und seine Leidenschaft für so etwas herzugeben?


    Autor:
    Charles Lewinsky, geboren 1946, lebt in Frankreich und Zürich. 2006 erschien sein Roman "Melnitz", von dem in zehn Sprachen bereits mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft wurden. In China wurde Melnitz zum besten deutschsprachigen Roman des Jahres gewählt, in Frankreich mit dem Preis für den besten ausländischen Roman und in der Schweiz mit dem Prix Lipp ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Johannistag, Zehnundeine Nacht und Doppelpass sowie die Erzählung Der Teufel der Weihnachtsnacht.


    Meine Meinung und Bewertung:
    Als ich das gelesene Buch zuklappte, dachte ich mir aus diesem Stoff hätten andere Autoren gut drei Bücher machen können, und es wäre noch für jedes dieser Bücher genug Material für jedes Einzelne zur Verfügung gestanden. Charles Lewinskys Roman "Gerron" erzählt nicht nur die Lebensgeschichte des Kurt Gerson, sondern ist ein Stück Zeitgeschichte über die Jahrzehnte, über zwei Weltkriege hinweg. Er schildert die Kindheit, das Heranwachsen, das Verhältnis zu den Eltern, seine Liebe zum Großvater, seine Freundschaften. Erschreckend und unverblümt die Ausbildung und Zeit als Soldat mit Verlust, Angst und Erstarrung. Es folgt ausführlich die Darstellung des Filmbetriebs vom Stummfilm bis zur Vertonung, der tägliche Ablauf, über berühmte Persönlichkeiten, Regiseure, Schauspieler. Viele sind mir ein Begriff, aber einige liegen doch zu weit vor meiner Zeit, bedürfen der zusätzlichen Information, was aber bei der großen Anzahl nicht immer möglich ist. Ich denke dabei, je jünger der Leser um so ferner die Bekanntheitsgrade. Dazwischen immer wieder der Rückblick nach Theresienstadt, die entsetzlichen Zustände und die Gewissenskonflikte einen Film entgegen der Wirklichkeit zu drehen. Doch auch die Hoffnung des Hinauszögerns für andere, die man zur Mitwirkung berufen kann. Er war ein Star und ist jetzt nur noch ein Häftling ohne Rechte, einer unter Tausenden mit einer plötzlichen großen Verantwortung für das Leben.
    Ein sehr umfassendes, brillantes Buch über Erfolg und Verzweiflung, Liebe und Hoffnung, Freundschaft. Genial und unbedingt erwähnenswert erscheint mir noch die doppelten Situationsbeschreibungen, so hätte es sein können und so ist es dann gewesen. Einige Schauspieler kommen dabei nicht gut weg. Es zeigt sich Wut und Enttäuschung, keine Solidarität, die Angst steht im Vordergrund.
    Das Cover ist hervorragend gewählt. Für mich steht es für Einsamkeit, Trauer, Verlassensein und Auflösung. Das Schaukelpferd findet auch im Buch seinen Platz.
    Eindringlich und kraftvoll wird mir diese Geschichte im Gedächtnis bleiben. Lesenwert! :thumleft:
    Meine Bewertung: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Margaret Mazzantini, Das schönste Wort derWelt

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Haha, dann nimmst du es eben beim nächsten Mal mit. Es lohnt sich!
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Margaret Mazzantini, Das schönste Wort der Welt

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    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ich kann mich der Bewertung von Wirbelwind nur anschließen.


    Ein beeindruckendes Buch. Die fiktive Lebensgeschichte des realen UFA-Schauspielers Kurt Gerron spannend, eindrücklich und abwechslungsreich erzählt, sodass es schwer fällt, das Buch zwischendurch aus der Hand zu legen. Gerade das Wechselspiel zwischen den Rückblicken auf das Leben vor Theresienstadt und den Beschreibungen des Alltags im Vorzeige-Ghettos ist sehr gut gelungen. Besonders gut zum Ausdruck kommt die Illusion, der sich viele Juden damals hingegeben haben, dass das alles, was mit Ihnen geschieht ein Irrtum sein muss. Auch Kurt Gerron verpasst die Chance, nach Amerika zu emigrieren, verschließt die Augen vor der Gefahr. Aber das ist nur eine Facette des Buchs. Vielschichtig und wunderbar angelegt nimmt man hautnah Teil an einer wichtigen Epoche Deutschlands. Absolut empfehlenswert!


    Lieben Gruß
    Wuselsusi :geek: