Paolo Bacigalupi - Biokrieg / The Windup Girl

  • Originaltitel: The Windup Girl
    Originalverlag: Night Shade Books, deutsch bei Heyne 2011
    Aus dem Englischen von Hannes Riffel, Dorothea Kallfass
    gelesen als eBook


    Inhalt


    Die Zukunft, wie sie sein könnte


    Bangkok in naher Zukunft: Klimawandel und die Profitgier der internationalen Großunternehmen haben die
    Welt, wie wir sie kennen, für immer zerstört. Künstlich generierte Krankheiten, Bioterrorismus und Hungersnöte gehören zum Alltag, die Lebensmittelkonzerne beherrschen die globale Marktwirtschaft. Anderson Lake, Mitarbeiter der Firma AgriGen, versucht, Zugang zu thailändischen Genlaboratorien zu bekommen – weltweit die
    einzigen, die noch Stammkulturen unverseuchten Getreidesamens besitzen. Doch Thailands Regierung setzt alles daran, das Eindringen der westlichen Konzerne in ihr Land zu verhindern ... [Verlagsklappentext]


    weiteres


    Aus der Sicht von 5 unterschiedlichen Personen wird die Geschichte erzählt:


    Anderson Lake - ein verdeckt für einem der grossen Lebensmittelkonzerne arbeitender "Aromenjäger", der durch Intrigen und Bestechung Zugriff auf die thailändischen Getreide- und Obst-Stammkulturen erhalten will und sich zu einer künstlichen Gheisha und Prostituierten higezogen fühlt, nämlich


    das titelgebende Aufziehmädchen Emiko - einst Gespielin eines japanischen Wirtschaftsbosses, dann in Thailand gestrandet und als eine Art extrem-Prostituierte von einem alten Unterwelt-Farang (Ausländer) gehalten. Leidet unter ihrer Künstlichkeit und den eingebauten genetischen Verhaltensmustern, dass sie fliehen und ohne Herr und Gebieter leben will.


    Hock Seng - chinesischer Assistent und Kalfaktor für Anderson Lake, der eine Fabrik für Energiespindeln betreibt, und vor einem Genozid an den Chinesen in Malaysia ein bedeutender Geschäftsmann war. Will wieder zu Geld kommen und seinen illegalen Status in Thailand verbessern und sucht desshalb nach Wegen, seinen Chef Lake zu hintergehen und bestehlen und lässt sich mit einem mächtigen Unterweltboss ein.


    Kapitän Jaidee Rojjanasukchai - der "Tiger" des Umweltministeriums. Ein erfahrener, gewiefter und
    rücksichtsloser Cop, der alles erdenkliche Versucht, die Unabhängigkeit Thailands von den Lebensmittelkonzernen und damit Ausländern zu sichern. Er stirbt im Lauf der Handlung, steht aber seiner Nachfolgerin als"beratender" Geist zur Seite. Seinen Part also übernimmt


    Kanya- die einst als Bauernmädchen einen brutale und für ihre Familie tödliche Seuchen-Säuberungsaktion des Umweltministeriums überlebte und daraufhin vom Handlsministerium als Doppelagentin in die Einsatzgruppe von
    Kapitän Jaidee Rojjanasukchai eingeschmuggelt wurde. Sie wird im Lauf der Geschehnisse an ihrer Loyalität
    zweifeln und zwischen den Fronten fast zerrieben.


    Vor einer unglaublich bedrückenden Kulisse, dem hunger- und hochwasserbedrohten Bangkok, des einzigen noch von den Lebensmittelkonzernen unabhängigen Landes, ringen 2 Ministerien um die Macht: das ältere, den Status Quo bewahrende Umweltministerium und das zu Veränderungen drängende Handelsministerium. Dazwischen fungieren einige Ausländer inihren eigenen, nicht immer klaren Interessen, stets bemüht, sich
    gewinnbringend an den gerade Oberhand gewinnenden Behördenleiter zu werfen. In den Strassen aber herrscht unbarmherzig der Dreck, der Hunger, die Überbevölkerung und die Angst vor Seuchen, denn mit dem Versiegen des Erdöls und dem Aussterben der meisten Pflanzen- und Tierarten muss alles genetisch hergestellt werden, was durch Unachtsamkeit oder Terrorismus bereits zu tödlichen Mutationen und verheerenden Seuchen geführt hat.


    Wird das Königreich Thailand seine Unabhängigkeit behalten und den Lebensmittelkonzernen den Zugang zu seinen fast heilig verehrten und geschützten Agrar-Stammzellen verweigern können? Und wird Bangkok, vom steigenden Meeresspiegel nur durch gigantische Mauern und Pumpen geschützt, weiter bestehen können?


    eigene Meinung


    Vor einer wirklich beängstigenden und ob ihres Realismus bedrohlichen Kulisse wird ein unheimlich dichtes
    athmosphärisches Puzzlespiel, eher ein Agententhriller als typische Fiction, aufgezogen, dass es einem, der bereits (mehrfach) in Thailand bzw. Asien war, den Atem raubt. Dabei macvht der Autor es einem allerdings nicht leicht. Weder verzichtet er auf viele thailändische Begriffe, noch auf eine Vielzahl handelnder Personen und schon gar nicht beschreibt er diese gar nicht ferne Welt chronologisch und schnell nachvollziehbar, sondern im Gegenteil, er setzt sie quasi als bekannt voraus, und man muss sich erst im Lauf des Romans viele Infos darüber zusammenreimen, wie es soweit kommen konnte und warum es so ist.


    Das alles und die mosaikartige Handlungsstruktur machen den Roman zu keiner einfachen Lektüre, ganz im
    Gegenteil. 2 Bekannte von mir, viel erfahrenere SciFi-Leser als ich, waren dann auch eher wenig von diesem Brocken angetan.


    Fazit


    Kraftvolles und erschreckendes Buch über eine nicht so ferne Zukunft, wenn das Erdöl versiegt und die Zeit der
    Expansion vorüber ist. Düster und oft verwirrend erzählt, aber enorm dicht in seiner Beschreibung und reich an Fabulierkunst. Ein Meisterwerk - aber wie gesagt: es hilft ungemein, den thailändischen (asiatischen bzw. chinesischen) Charakter etwas zu kennen.
    Also auch etwas für Thailandliebhaber, Endzeitfreunde und SciFi-unkundige wie mich.


    P.s. der dt. Titel BIOKIEG ist voll daneben, aber "Aufziehmädchen" hätte wohl zu sehr an Mr.Aufziehvogel von Murakami erinnert, dachte man sich scheinbar beim Verlag.


    ** sawasdee **

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

    Einmal editiert, zuletzt von thraka ()

  • Dabei macvht der Autor es einem allerdings nicht leicht. Weder verzichtet er auf viele thailändische Begriffe, noch auf eine Vielzahl handelnder Personen und schon gar nicht beschreibt er diese gar nicht ferne Welt chronologisch und schnell nachvollziehbar, sondern im Gegenteil, er setzt sie quasi als bekannt voraus, und man muss sich erst im Lauf des Romans viele Infos darüber zusammenreimen, wie es soweit kommen konnte und warum es so ist.

    Genau das war mein Problem und deswegen habe ich schon nach knapp 130 Seiten aufgegeben. Zu dieser vorgegebenen Welt, zu der man keinerlei Erklärungen bekommt, konnte ich keinen Bezug aufbauen. Haufenweise Fachbegriffe und thailändische Wörter, ein verkopfter und beim flüssigen Lesen störender Schreibstil, nicht wirklich interessante, geschweige denn sympathische Charaktere (einzig das "Aufziehmädchen" ließ mich etwas aufhorchen), philosophische Dialoge,und eine Handlung, die mich nicht vom Hocker reisst. So manches hat mich an die Bücher von Margaret Atwood erinnert, aber die kann das meiner Meinung nach viel, viel besser.


    "Biokrieg" mag sicherlich seine Berechtigung haben und wer gern einen schwer verdaulichen, nicht leicht zu lesenden Science-fiction-Wälzer ließt, kann es ja mal austesten. Mit einer Bewertung halte ich mich zurück. Ansonsten gäbe es nur einen Stern und das wäre vielleicht nicht fair.

  • @ Kapo


    Ja, ich dachte mir, dass so eine "Bewertung" kommen könnte. Hatte ich in der Rezension ja schon angedeutet.
    Mein Vater, seit mindestens einem halben Jahrhundert begeisterter Leser von SF und Phantastischer Literatur, konnte BIOKRIEG auch so gar nix abgewinnen, zu speziell asiatisch, zu labyrinthisch erzählt, zu (wie Du es treffend nennst) verkopft. Kann ich durchaus nachvollziehen.


    Gradliniger und mit ähnlichem Szenario einer dem Öl beraubten Menschheit erzählt Bacigalupi in seinem All-age-Romanzyklus SCHIFFSDIEBE, wovon ich den ersten hier besprochen habe. Vielleicht der leichtere Einstieg in des Autors Fabulier- und Fantasiefreude.

    Es gibt keine grössere Einsamkeit als die des Samurai. Es sei denn die des Tigers im Dschungel

  • Spinnt man die Gedanken um globale Erwärmung, Klimaveränderung und Verknappung der Ressourcen ungehemmt weiter, gelangt man unweigerlich an den Punkt, an dem Paolo Bacigalupi mit seiner Romanhandlung einsetzt. Wir sagen, gegenwärtig wäre es 5 Minuten vor 12 Uhr, aber in „Biokrieg“ ist es bereits 15 Minuten später. Es sind schon beeindruckende Gedankenspiele, die der Autor in seinem Roman umsetzt. Aber für mich sind diese nicht zur Gänze verarbeitet. Es gibt ein Energieproblem. Wir wissen, das steht uns auch in der Gegenwart bevor. Aber an keiner Stelle im Roman wird von der Nutzung von Solar- und Windenergie oder Wasserkraft gesprochen. Da wurden Riesenelefanten als „Kraftwerke“ designt und Spannfedern als Energiespeicher genutzt. Das ist unterhaltsam und amüsant zu lesen, mehr aber nicht, ich denke da existieren weitaus mehr Alternativen. Die Story wird aus Sicht von 5 Hauptpersonen, die eher keine Sympathieträger sind und alle verschiedenen Gesellschaftsschichten angehören, in sich mehr und mehr verflechtenden Handlungssträngen erzählt. Ich fand es nicht einfach mich in dieses Buch einzulesen. Probleme hatte ich mit den Namen der diversen Personen, besonders aber mit den häufig verwendeten Thai-Begrifflichkeiten. Sie erschlossen sich auch nur sehr langsam aus dem Text. Diese Begriffe waren zwar kursiv geschrieben, ein Glossar fehlte jedoch in meiner Taschenbuchausgabe, das wäre sehr hilfreich gewesen. Auch wird die Geschichte nicht chronologisch erzählt, erst zum Ende hinkann man die einzeln gesammelten Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Dadurch war der Roman für mich auch nicht besonders flüssig zu lesen. „Biokrieg“ verlangte mir einiges an Konzentration und Durchhaltevermögen ab. Das hätte ich so nicht erwartet, denn die Grundidee des Romans fand ich außerordentlich gut.


    „Biokrieg“ ist auch von der Wirkung her ein typischer Post-Doomsday-Roman, düster, bedrückend und besorgniserregend. Diese Stimmung hat Paolo Bacigalupi sehr gut beschrieben, sie war für mich auch deutlich spürbar und wirkte auch noch nach. Trotzdem überwog die Enttäuschung bei mir, nur aus dichter Atmosphäre, einem exotischen Handlungsort und einer klugen Idee, wird nicht automatisch guter Roman. Mir fehlte ein mitreißendes Element, Spannung oder vielleicht auch nur ein Protagonist, mit dem ich mitfiebern könnte.

  • Interessantes Thema, aber ich hätte mal eine Frage: wenn es keine Elektrizität und Computer und Roboter mehr gibt- oder kaum was, wie werden dann die Genmanipulationen durchgeführt? Ich bin Molekularbiologe und die Labore sind heutzutage so anfällig, dass selbst ein kurzer Stromausfall eine mittlere Katastrophe sein kann, wenn die Kühlaggregate hinterher nicht mehr einspringen. Dann sind unter Umständen Proben im Wert von zehntausenden Euros im Eimer. PCR-Cycler und Sequenziermaschinen brauchen nicht nur Elektrizität, sondern auch Computerprogramme und vor allem das Internet. Wenn man Genomsequenzen nicht sequenzieren und miteinander vergleichen kann, kann man mit der eigentlichen DNA nicht viel anfangen.

  • Hier ist der Link zum (ungleich schöneren) Originaltitel.
    Erstaunlich, dass das deutsche Publikum mit diesem Hugo und Nebula Award Gewinner und Liebling der US Science Fiction-Leser anscheinend wenig anfangen kann.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño