Dieser im Jahr 1919 zum ersten Mal erschienene „romanartige Reigen aus Erzählungen“ über die verschiedensten Menschen einer fiktiven Kleinstadt in den USA, Winesburg, Ohio gilt als eines der wichtigsten Werke der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts und hat viele Schriftsteller beeinflusst, darunter William Faulkner, John Steinbeck, Ernest Hemingway und J.D. Salinger mit seinem „Fänger im Roggen“.
In diesem Frühjahr kann der geneigte Leser zwischen zwei Neuausgaben wählen. Der Manesse Verlag legt eine Fassung in der Übersetzung von Eike Schönfeld und einem Nachwort des Schriftstellers Daniel Kehlmann vor. Schöffling & Co. hat hingegen für seine Ausgabe den jungen, 1965 geborenen und mit zahlreichen Auszeichnungen prämierten Autor und Übersetzer Mirko Bonné für eine Neuübersetzung gewonnen und ihm sehr viel Raum gegeben für einen zwanzigseitigen literaturgeschichtlichen Essay, nach dessen Lektüre man dieses Buch erst richtig wertschätzen lernt, ein Buch, das der israelische Schriftsteller Amos Oz als einen „der schönsten Erzählbände der modernen Literatur“ bezeichnet hat.
Sherwood Andersons nüchterner Stil beschreibt mit wenigen Worten ganz komplexe Seelenzustände von Menschen, ihre existentielle Einsamkeit und ihre vollständige Unfähigkeit, miteinander in irgendeiner Weise wirklich zu kommunizieren. Bei der Lektüre wähnt man sich nicht im Jahr 1919, sondern eher ein Jahrhundert später, so aktuell lesen sich seine Texte im Jahr 2012. Ich denke, auch deshalb haben zwei Verlage gleichzeitig sich zu einer Neuausgabe entschlossen.