Christos Tsiolkas -Nur eine Ohrfeige -

  • Christos Tsiolkas geboren 1965 im australischen Melbourne als Sohn griechischer Immigranten, arbeitet u. a. fürs Theater und Fernsehen. Mit »Nur eine Ohrfeige« legte er sein bislang erfolgreichstes Buch vor, das auch über Australien hinaus für Furore sorgte und mit dem »Commonwealth Writers‘ Prize« bedacht wurde sowie für den »Man Booker Prize« nominiert war. Tsiolkas lebt in Melbourne.



    Hektor 43 Jahre, Sohn griechischer Einwanderer und wahrscheinlich mitten in der Midlife Crisis hat eine wundervolle Frau und 2 tolle Kinder. Das reicht ihm aber scheinbar nicht, also hat er auch noch eine junge Geliebte. Seine Frau die sich soweit um alles zu kümmern scheint, organisiert ein Barbecue um sich bei allen Verwandten, Freunden und Arbeitskollegen für die zahlreichen Einladungen zu diversen Partys usw. zu bedanken.
    Auf der Party von Aisha und Hektor kommt es dann zu Zwischenfall den auch schon der Romantitel verrät. Der dreijährige Hugo, der von seinen Eltern augenscheinlich statt erzogen verhätschelt und vertätschelt wird, wird bockig. Harry, der Cousin von Hector gibt ihn eine Ohrfeige. Nun fängt die „ Party“ erst richtig an. Erzählt wird die Geschichte um die Ohrfeige von 8 verschiedenen Charakteren, die jeder eine andere Sichtweise zum Leben haben. Jeder Charakter, hat sein eigenes Kapitel. Es tun sich Abgründe auf und man ist teilweise schockiert wie offen Christos Tsiolkas das ganze Geschehen beschreibt. Es geht um Drogen, Alkohol, Fremdgehen, Erziehung, Toleranz, Freundschaft usw. Die Ohrfeige zwingt alle Beteiligten dazu, ihr eigenes Familienleben, all ihre Erwartungen, Überzeugungen und Wünsche infrage zu stellen



    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist klar und flüssig geschrieben. Wer sich nicht an der direkten Schreibweise stört, kann ich dieses Buch nur empfehlen.
    Hier wird das wahre Leben beschrieben ohne irgendetwas wegzuschminken. Ein Gesellschaftsroman erster Klasse.

  • Originaltitel: The Slap
    Klappentext:
    Ein heißer Sommertag, ein Barbecue mit Freunden und Familie – es hätte ein perfektes Fest werden können, doch dann verliert Harry die Beherrschung. Er verpasst dem dreijährigen Hugo eine Ohrfeige. Dieser Vorfall hat ein folgenreiches Nachspiel für alle, die seine Zeugen wurden.


    Der Roman ist in acht Kapitel gegliedert und spielt in Melbourne/Australien. Das Besondere ist, dass jedes Kapitel einen anderen Protagonisten sich vornimmt. Der Leser erhält so die Möglichkeit, acht verschiedene Charaktere näher kennenzulernen, mit all ihren Macken und Fehlern. Die im Klappentext erwähnte Ohrfeige spielt dabei jedoch nicht die wesentliche Rolle. Eher ist sie der Aufhänger, an dem sich so manch eine Diskussion entzündet. Aber hinter den Kapiteln steckt viel mehr. Der Autor, selbst Australier griechischer Abstammung, versteht es, die Sorgen und Probleme der Figuren auf sehr eindrucksvolle Art und Weise zu beschreiben. Da wird geflucht, betrogen, geschlagen, gesoffen und Drogen genommen, dass man sich unweigerlich fragt, wie die Leute überhaupt zu irgendetwas anderem gekommen sind. Das allerdings ist auch mein einziger Kritikpunkt. Es war schon etwas zu viel des Guten. Man hatte den Eindruck in Australien hält man es nur zugedröhnt aus und das mag bzw. möchte ich nicht glauben. :loool:
    Der Autor hat einen Roman geschrieben, der zum Nachdenken anregt. (Ich weiß, eine fürchterliche Phrase.) Aber hier stimmt sie. Das perfekte Vorstadtleben wird hinterfragt, nichts ist so wie es zu sein scheint. Jeder hat eine Leiche im Keller, keiner ist so richtig vom Herzen glücklich! Der Autor scheut sich nicht, den latenten Rassismus in Australien zu benennen oder die eine oder andere politisch inkorrekte Frage zu stellen. Trotz dieser eher negativen Herangehensweise erzählt der Autor auch von Liebe, Familie und Freundschaft und wie wichtig ein fester Rückhalt sein kann.
    Nach jedem Kapitel war ich traurig, nicht noch mehr von dem jeweiligen Protagonisten zu erfahren und so einiges bleibt ungesagt oder ohne Auflösung, so dass man als Leser manchmal etwas ratlos zurückbleibt. Dennoch ist Nur eine Ohrfeige ein großartiger Roman, den ich sehr gerne gelesen habe und ebenso gerne weiterempfehle!

  • Hier wird das wahre Leben beschrieben ohne irgendetwas wegzuschminken. Ein Gesellschaftsroman erster Klasse.


    Oh ja, aber hallo! Ich hab knapp 150 Seiten des Buches gelesen und bin teilweise wirklich schockiert, was bei den Charakteren so abgeht. :shock: Der Drogenkonsum ist die eine Sache, die mich stört, die ständigen sexuellen Anspielungen bzw. Andeutungen oder auch konkrete Beschreibungen die andere... Damit kann ich selten etwas anfangen und auch bei diesem Buch wird es wohl mein einziger Kritikpunkt sein, wenn das Buch so weitergeht wie bisher.


    Denn insgesamt ist das Buch wirklich toll. Ich finde den Schreibstil des Autors auch sehr direkt und unverblümt, aber es passt einfach zur Handlung und den Charakteren.


    Etwas erstaunt war ich darüber, wie wenig Umfang die eigentliche Ohrfeige einnimmt. Sie ist wohl mehr der Auslöser für alles, was danach passiert. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Für mich ist die Ohrfeige vielleicht nicht gerechtfertigt, aber durchaus verständlich!


    Wer war denn euer Lieblingscharakter? Bislang mag ich Aisha sehr und auf irgendeine Art auch Harry.

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Ich habe das Buch gerade beendet und vergebe am Ende doch :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: . Einen halben Stern ziehe ich wie angekündigt für die vielen Sex- und Drogenszenen ab, der andere halbe Stern geht durch die fehlende Auflösung verloren. Irgendwie fand ich das Ende unbefriedigend. Das letzte Kapitel war zwar meinem neuen Lieblingscharakter Richie gewidmet, aber im Großen und Ganzen fehlt mir ein befriedigendes Ende.


    Im Großen und Ganzen fand ich das Buch aber wirklich klasse. Es ist ein sehr interessanter und auch spannender Gesellschaftsroman, der nichts verschönt, sondern die Dinge direkt beim Namen nennt. Mit einigen Entwicklungen war ich nicht einverstanden, manche Charaktere mochte ich lieber als andere, aber insgesamt wurde ich sehr gut unterhalten und habe das Buch sehr gerne gelesen.

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Ich habe das Buch gestern beendet und bin ebenfalls begeistert. Damit hätte ich gar nicht gerechnet, das es mir so gut gefällt.

    Da wird geflucht, betrogen, geschlagen, gesoffen und Drogen genommen, dass man sich unweigerlich fragt, wie die Leute überhaupt zu irgendetwas anderem gekommen sind. Das allerdings ist auch mein einziger Kritikpunkt. Es war schon etwas zu viel des Guten. Man hatte den Eindruck in Australien hält man es nur zugedröhnt aus und das mag bzw. möchte ich nicht glauben.

    Da habe ich auch Bauklötze gestaunt. Ich habe mich schon gefragt, ob ich da so besonders zurückhaltend bin. Eigentlich fand ich es bisher immer normal, keine Drogen zu nehmen. :wink:
    Aber da fängt man mit Gras an, nimmt dann ein bisschen Speed und spült den mit Bourbon / Bier / Wein / What ever runter und ganz zum Schluss schmeißt man sich dann noch eine Schlaftablette ein... :sleep:

    Etwas erstaunt war ich darüber, wie wenig Umfang die eigentliche Ohrfeige einnimmt. Sie ist wohl mehr der Auslöser für alles, was danach passiert. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Für mich ist die Ohrfeige vielleicht nicht gerechtfertigt, aber durchaus verständlich!

    Naja, so eine Ohrfeige ist ja schnell geschehen und für manche war sie auch nicht wichtig - da denke ich zum Beispiel an Anouk.
    Verständlich fand ich die Ohrfeige aber auch.


    Andererseits ist es bei den grauenhaften Eltern auch kein Wunder.
    Von mir bekommt das Buch die volle Punktzahl! :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:


    Was sagt ihr eigentlich zum dem Cover? Mir gefällt es recht gut und es ist ja auch auf vielen englischen Ausgaben zu finden. Richtig genial finde ich aber diese Ausgabe - Hugo, wie er leibt und lebt! :lol:

  • @ Hermia:


    Uah, das Cover ist ja gruselig! :shock: So würde ich das Buch nicht in meinem Regal stehen haben wollen - da würde ich ja regelmäßig Aggressionen bekommen. :wink:

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • Christos Tsiolkas. Wer zum Teufel ist das? Zumindest literarisch bekommt der geneigte Leser Auskunft. Im vergangenen Jahr haben mich vom Klett Cotta Verlag schon die grandiosen Romane von Silvia Avallone und Lauren Grodstein positiv überrascht, mit Christos Tsiolkas Gesellschaftsroman „Nur eine Ohrfeige“ toppt der Verlag meine Erwartung noch. Dafür ziehe ich, den virtuellen Hut.


    Schlicht gesagt, geht es in dem Buch um eine Ohrfeige, die ein Erwachsener, dem kleinen Hugo verpasst, einer monströsen kindlichen „ich“-Maschine, die von einer labilen Mutter groß und größer gesäugt wird. Das ganze geschieht, während eines belanglosen Grillfestes in einem der sterilen Vororte Melbournes. Mein Haus, mein Auto, mein Job, meine Vorzeigefamilie, darüber definieren sich die unterschiedlichsten Ethnien im Schmelztiegel Australien und richten sich in ihrer Langeweile ein. Da kann so eine lapidare Ohrfeige schon Risse in den Putz des modernen Mittelschichtbürgers sprengen.


    Erzählt wird die Geschichte aus acht verschiedenen Perspektiven. Der Hausherr Hector, passives Muttersöhnchen, verbeamteter Frauenschwarm in der Midlife Crises ansonsten viriler Allesvögler ist stoned, als das Ereignis eintritt, scharf auf eine anwesende Minderjährige und versucht nicht auf das Minenfeld zu treten, dass sich zwischen seiner Mutter seiner indischen Ehefrau auftut. Immerhin verschafft ihm seine griechische Abstammung die Möglichkeit einmal eindeutig Stellung zu beziehen. Der Täter muss unschuldig sein, er stammt aus der eigenen Familie. Für Anouk, eine toughe Schreiberin für schwachsinnige Fernsehserien und Jungmannschwäche ist die Sache schon komplizierter. Eigentlich will sie lieber den Roman ihres Lebens schreiben. Eigentlich will sie Klartext mit Hugos Mutter sprechen, wenn die Freundschaftsbande dreier Frauen nicht ihren Verständnistribut einfordern würden.


    Harry, der hitzige Ohrfeigenverteiler, ist erfolgreicher Geschäftsmann und Macher kann es nicht fassen, wegen einer lächerlichen Backpfeife vor den Richter ziehen zu müssen. Was kann er für Rosies verzogene Göre? Das ausgerechnet Er, der unsozialste, die Morallawine los tritt ist folgerichtig. Connie, Kindermädchen der kindlichen „ich“- Maschine träumt den Traum aller Heranwachsender von der besten Party der Stadt und dem coolsten Typen, des Universums. Es ist kein leichtes Los in dem Alter zu sein, schon gar nicht ohne die verstorbenen Eltern, die keine Richtung, keinen Halt mehr geben können. Egal, in dieser Vorstadthölle übernehmen die Teenager, die eigene Erziehung, von Drogen benebelt, gleich mit. Ihre Arbeitgeberin Rosie lässt es zum Äußersten kommen, den Gerichtsprozess gegen Harry. Was einmal so schmerzvoll aus ihrem Unterleib gefahren kam, gebührt der Aufmerksamkeit einer hingebungsvollen Mutter, die allerdings mit einigen charakterlichen Schönheitsfehlern ausgestattet ist, welche nicht ganz unschuldig an dem Geschehen sind.


    Manolis, Hectors Vater, betrachtet das Leben aus dem Blickwinkel eines mit sich hadernden Rentners, dessen beste Zeit schon weit zurück liegt. Irgendwie hat sich die Welt verändert, Freunde sterben weg. Alte Gewissheiten geraten ins Wanken. Vielleicht hätte er weniger Kompromisse machen sollen, sicher sogar. Zeit für Ordnung zu sorgen. Er startet einen Vermittlungsversuch. Das erwachsene Menschen, die ihr Geld als Ärzte und Geschäftsleute verdienen, nicht in der Lage sind eine Lappalie in Sekundenschnelle aus der Welt zu bringen, wenn der Qualm der ersten Ärgers einmal verraucht ist, kann er nicht glauben. Aisha, Hectors Frau und somit Gastgeberin des Barbecues bezieht klar Stellung, weil sie ein Geheimnis kennt. Auf einer Asienreise begegnet der resoluten Vernunftfrau eine männliche Alternative, ein Zweitleben in Canada erscheint auf dem Wunschzettel, jetzt wo der Angetraute schwächelt und Gefühle zeigt, die sie überflüssig und abstoßend findet. Sie muss sich entscheiden. Und da wäre noch Richie, eine blendend auserzählte Figur mit zerrütteter Kindheit und einer gesunden Beziehung dazu. Die Katastrophe ist quasi der Normalzustand, worüber sich aufregen, wenn der gelegentlich auftauchende Erzeuger, dem Asthmatikerjüngling die rauchende Kippe unter die Nase hält. Sein wirkungsvollster Trost, immerhin weiß Richie das er schwul ist. Während sein ständig betrunkener Vater nicht einmal weiß, dass er doof ist und seinen Sohn mit einem halben ipod zu versöhnen sucht.


    Es ist schon ein besonderes Erlebnis für mich gewesen, den Roman zu lesen. Christos Tsiolkas schaut hinter die Fassade einer total durch individualisierte Gesellschaft, in der kein kleinster gemeinsamer Nenner mehr gefunden werden kann. Zwischen gelungenen und gescheiterten Lebensentwürfen bekommen hier Bagatellen ein Hochhausgewicht. Der Lebensinn muss, gespeist durch den jeweiligen kulturellen Hintergrund, mühevoll konstruiert werden, nachdem der Broterwerb gesichert ist. Dazu dienen neben sexuellen Erlebnissen und Bedürfnisbefriedigung jedweder Couleur, überlieferte Grundüberzeugungen, die man täglich selbst mit den Füssen tritt.


    Die „ich“-Maschine erreicht mit dem kleinen Hugo einen Höhepunkt. Wer immer da zuschlägt, schlägt zunächst einmal sich selbst. Schriftstellerisch ist „Nur eine Ohrfeige“ eine Meisterleistung, wobei zu konstatieren ist, das Christos Tsiolkas, den Anlass für die Konflikte etwas aus dem Auge verliert. Gegen Mitte des Romans flacht das Buch leicht ab, weil die Spannungserwartungen des Lesers nicht erfüllt werden und sich die Geschichte außerhalb des Erwartungsrahmens auflöst. Als sehr angenehm habe ich den Schreibstil empfunden und die fehlende Zuteilung in gut und böse Charaktere. Man darf bei Tsiolkas alle Menschen mögen, man darf über sie die Nase rümpfen, man darf nur nicht behaupten, dass sie unglaubhaft sein. Darin liegt eine Stärke, des Autoren. Ganz im Gegensatz zu seinem wenig emphatischen Personal, taucht er metertief in die Psyche von Männlein und Weiblein ein und fördert das Gold der Erkenntnis zu Tage. Ein feines Buch!