Eugène Green – La communauté universelle

  • Original : Französisch, 2011


    ZUM INHALT :
    Emile, Arzt, kommt spät nach Hause und trifft seine Frau Adrienne nicht an. Aus einem Indiz entnimmt er, dass sie wohl zu ihrer Familie nach England gefahren ist, entstammt sie doch einer aristokratischen Schicht alteingessener Katholiken, die beim anglikanischen Schisma Rom treu geblieben sind. Er macht sich auf den Weg nach London.


    Wir folgen parallel diesen beiden Hauptakteuren und dazu insbesondere einer anderen Person, Ronas, die wie eine Brücke zwischen ihnen spielt. Beide gehen verschiedene Wege, kreuzen sich fast, gehen sich aus dem Wege... Wozu diese Flucht (bei Adrienne), welche Suche bei Emile ? Alle Personen des Romans sind auf die ein oder andere Weise auf der Suche nach (dem) Sinn... Die religiöse Fragestellung wird unter überraschender Perspektive angegangen und ist allgegenwärtig.


    BEMERKUNGEN :
    Die Erzählpassagen sind relativ kurz, erinnern manchmal an Regie- oder Theateranweisungen. Dafür nimmt die Dialogform eine herausragende Stellung ein. Der Aufbau wirkt sehr studiert : Prolog (Freitag ; Themeneinführung) ; Parodos (erster « Gesang » einer griechischen Tragödie, hier : symbolische Rede von Seine und Themse). Es folgen drei Episoden aus den aufeinanderfolgenden Tagen (Samstag bis Montag) in London, mit abwechselnden Ich-Erzählpassagen der drei Hauptakteure. Diese Episoden werden jeweils gefolgt von einem « Stasimon » (ebenfalls Begriff aus der griech. Tragödie). In ihnen erzählt jeweils eine der drei Hauptfiguren grundsätzliche, ihn in seiner Spiritualität und religiösen Sozialisation prägende Elemente aus der Kindheit und Jugend. Abschließend ein Ausgang (« Exodus »).


    Von Beginn an werden Welten miteinander verknüpft. Die Ehe zwischen dem aus nicht praktizierender jüdischen Familie stammenden, aber religiöse sehr offenen, Emil aus Paris und der recht praktizierenden, katholischen Adrienne aus reicher englischer Aristokratie ist das eine. Der verbindende Eurostar zwischen dem Kontinent (Paris) und England (London) ein « Mittel der räumlichen Annäherung ohne unbedingt schon die Menschen einander näher zu bringen ».
    Neben der Vielfalt, die diese beiden Hauptfiguren implizieren kommt rasch die Internationalität der Großstädte hinzu, und in der Figur des Gärtners (mehr als symbolisch?!) Ronas, auch eine orientalische, islamisch-alevische, mystische Komponente.
    Und ehe wir uns versehen stehen wir unvermittelt vor einer Art Austausch und Dialog der drei Monotheismen und einer modernen Form der Infragestellung, des Mißtrauens gegenüber jedweden Formen des religiösen Extremismus'!


    Wir finden zu manchen Themen schöne Überlegungen, so auch über den tiefen Wert, die tiefe Schönheit der Liebe(sbeziehung), die uns die Augen auch für anderes öffnen kann. Ja, auch der Einzelne ist nicht nur abgetrenntes Individuum, sondern « ich selbst bin ich, und mehr als ich selbst ». Jeder Mensch erscheint dann auch als Träger anderer Geschichten, die uns vorhergehen oder uns nachfolgen.


    Dieser Roman spielt nicht nur auf eine diffuse spirituelle Sehnsucht an, sondern gibt auch, manchmal überraschende, kleine Pisten und Antworten. Er schließt – oder sollte ich sagen : er weitet sich zum Ende mit einem Ausblick, der Neubeginn verheißt. Und das paßte, ohne dass ich es geahnt hätte, plötzlich sehr gut mit der (Vor-)Weihnachtszeit zusammen ! Und man findet sowohl die Sehnsucht nach « der universalen Gemeinschaft » (Titel des Buches), die die Grenzen übersteigt als auch das Ausschauen nach jemandem, der noch kommen soll und geheimnisvoll schon kommt.


    Wer die religiöse Komponente von vorneherein nicht ins Auge nehmen will, kann das Buch ignorieren. Der spirituell interessierte Leser wird einige interessante Ansätze finden.


    Frohe Weihnachten !


    ZUM AUTOR :
    Eugène Green (* 28. Juni 1947 in New York City) ist ein französischer Theater- und Filmregisseur.Er spricht über seine frühe Lebensgeschichte wenig und begann seine Karriere als Dozent für Philosophie und als Maler. Ende der 1970er Jahre gründet er in Paris die Theatergruppe Théâtre de la sapience. Sein Ziel ist es, die Theatertraditionen des Barock neu zu beleben. Erst zu Beginn der Nuller Jahre wendet er sich dem Kino zu. Ohne kinospezifische Ausbildung dreht er 2001 seinen Debütfilm Toutes les nuits. Neben seiner Arbeit für das Kino veröffentlicht er weiterhin zu anderen Themen, etwa zum barocken Theater, zur Theorie des Kinos und schreibt Prosa (auf Französisch).



    Broché: 184 pages