Dietmar Wachter - Das Zingulum

  • Wie still ist der Tod?


    Der Geschichte vorangestellt wird die scheinbar unbedeutende Persönlichkeit Johannes Eder, die in Landstein aufgewachsen ist. Er saß fast zwanzig Jahre wegen Mord und wird im Dezember 2008 entlassen. Er ist ein Sonderling und wird von der Landsteiner Bevölkerung zutiefst verachtet.


    Nun beginnt mit dem Sommer 1972 die eigentliche Geschichte. Erzählt wird von einem 14-jährigen Jungen ohne Namen, der sich später selbst einmal als „Professor Mord“ bezeichnet. Der Junge wird von seinen Schulfreunden gemieden, gehänselt und auch verprügelt. Sein Vater schenkt ihm zum Geburtstag einen Kassettenrekorder. Der Junge beginnt mit Experimenten verschiedener Tonaufnahmen, zunächst in der Natur, später in der Mädchentoilette. Als er aber einige Jahre älter wird, verursacht sein Hobby ein krankhaftes Bedürfnis nach absoluter Stille, denn seine Ohren sind derart geräuschempfindlich geworden, dass das Hören zu einer Qual wird.


    Professor Mord reicht es nicht mehr, stundenlang unter einem Baum zu sitzen, um im entscheidenden Moment die „absolut sanfte, kaum hörbare Landung eines fallenden Blattes“ akustisch festzuhalten. Nein, er will eine „Sinfonie des Todes“ schaffen, die „immer schwächer werdenden Geräusche eines Sterbenden“ hörbar machen.


    Es geschieht ein Mord nach dem anderen, Professor Mord will seine Tonaufnahmen schließlich perfektionieren. Seinen Gegenspieler, den schwerfälligen, faulen Kriminalinspekter Matteo Steiniger, fürchtet er nicht, sieht er in ihm doch einen einfältigen Stümper. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem Mörder und der Polizei, die ihm nur wenig entgegenhalten kann.


    Steininger und sein Team verfolgen zwar jeden Hinweis, aber anstatt ihre Ermittlungsarbeiten dadurch gezielter auszurichten, stoßen sie auf immer mehr Tatverdächtige. Da sind zum Beispiel die berüchtigten Kirchstätterbrüder, die anscheinend mehr über die Morde wissen als sie vorgeben; Albin Gatterbauer, der sich auf dem Rosenmontagsball plötzlich wie eines der Mordopfer verkleidet; dann Richard Fischer, der allem Anschein nach noch eine Rechnung offen hatte; und selbst die 96-jährige Agathe von Bruckner scheint in die Mordserie verwickelt zu sein, deutet doch alles darauf hin, dass sie den Mörder persönlich kennt. Schließlich gesteht dann endlich ein Mann die Morde, doch Steininger glaubt ihm nicht. Vielleicht liegt es ja daran, dass es da auch noch diesen dubiosen Johannes Eder gibt?


    Dietmar Wachter wechselt ständig die Perspektiven: mal erleben wir den emotionalen Höhepunkt des Mörders bei seiner Tat; mal erleben wir die verzweifelten Grübeleien Steiningers, der zunehmend unter Druck gerät. Der oberflächliche Kommandant Knittel rückt ihm nämlich auf den Pelz. Dann hetzt auch noch die Presse und die Landsteiner Bevölkerung verlangt endlich Antworten. Zu guter Letzt reagiert auch der Touristikexperte mit ungewohnter Schärfe: „Welcher Gast fährt schon gern in eine Urlaubsregion, in der reihenweise Frauen abgeschlachtet werden?“


    Dietmar Wachter baut seine fesselnde Geschichte sehr geschickt auf und führt den Leser offenbar gerne wie einen ahnungslosen Touristen auf eine Fährte, die dann endlich mal Hoffnung auf neue Erkenntnisse weckt, aber eigentlich wieder nur eine untröstliche Sackgasse ist. Im Geiste habe ich mir dann immer Wachters spitzbübisches Augenzwinkern vorgestellt.


    Der Schreibstil ist sehr gehaltvoll und kurzweilig und überrascht stellenweise durch erfrischenden Humor. Die hervorragende Charakterisierung eines Psychopathen ist eine große Stärke dieses Buches. Ich konnte mich sehr gut in diese Figur und ihre Denkweise hineinversetzen. Hervorzuheben ist auch die krankhafte Tötungsmethodik, mit der Dietmar Wachter seinen Mörder vorgehen lässt. Wie es sich für einen gepfefferten Kriminalroman gehört, endet die Geschichte spannungsgeladen und mit einem rasanten Wettlauf gegen die Zeit, denn wenngleich Steininger den Fall am Ende aufklären kann, so hat der Mörder längst das fünfte Opfer in Gewahrsam.


    „Wie still ist der Tod?“, habe ich als Überschrift für diese Rezension gewählt. Warum lassen wir diese Frage nicht von einem Schriftsteller beantworten, der sich als Vorreiter in diesem Genre etabliert hat und mit dem sich Dietmar Wachter meiner Ansicht nach durchaus messen kann: Der Tod ist unendlich still, wenn er eingetreten ist, aber das Sterben kann sehr gewalttätig sein. (Jussi Adler-Olsen: Erbarmen, S. 8 )


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