Edith Beleites: Die Hebammen von London - Historischer Jugendroman

  • Dieses Buch wird als "Jugendroman" bezeichnet, kann aber auch gut von Erwachsenen gelesen werden, da die Thematik sich nicht besonders auf die Interessen Jugendlicher bezieht. Deshalb stelle ich es in dieser Rubrik vor.


    Kurzbeschreibung bei amazon


    London im 18. Jahrhundert. Bei ihrer Ausbildung zur Hebamme gerät die
    junge Schülerin Lilly zwischen die Fronten, denn Hebammen und männliche
    Geburtshelfer streiten erbittert um die «richtige» Art der Geburtshilfe.
    Während die Hebammen für die natürliche Geburt kämpfen, propagiert der
    Arzt Smollett den Einsatz der neuen Geburtszangen, welche große Risiken
    für Frau und Kind bergen. Um sich selbst ein Bild zu machen, schleicht
    sich Lilly als Junge verkleidet in Smolletts Geburtshaus, wo ihre
    schlimmsten Befürchtungen wahr werden – und sie selbst in höchste Gefahr
    gerät.




    Eigene Beurteilung


    Edith Beleites hat sich wieder einmal ein historisches Hebammenthema vorgenommen wie schon bei ihren Romanen um Clara, die Hebamme von Glücksstadt.Im Mittelpunkt dieses Romans steht die 16-jährige Lilly aus der englischen Provinz, die, aus einfachen Verhältnissen stammend - ihr Vater ist Stallmeister bei Lady Fenton - auf Veranlassung dieser gräflichen Lady eine Ausbildung als Hebamme macht. Nach dem zweiten Lehrjahr wird sie zu der berühmt-berüchtigten Hebamme Elizabeth Hill nach London geschickt, um ihre Kenntnisse zu erweitern. Mrs Hill, deren Mann und Sohn eine Apotheke führen, in der die für die Geburtshilfe erforderlichen Heilkräuter zubereitet werden, ist eine sehr kompetente und einfühlsame Hebamme, aber sie ist auch von einem gewissen Geltungsdrang beseelt, der sie zum erbitterten Kampf gegen die männlichen Geburtshelfer antreibt. Im 18.Jahrhundert hörte die Geburtshilfe auf, eine reine Frauendomäne zu sein, als sich die studierten Ärzte (seinerzeit natürlich ausschließlich Männer) immer mehr spezialisierten und Instrumente entwickelten, um bei schwierigen Geburten eingreifen zu können. Dr. Smollett betreibt ein Geburtshaus, in dem er mit Frauen der unteren sozialen Schichten experimentiert, indem er an ihnen seine Instrumente und neuen Behandlungsmethoden ausprobiert, wobei viele Mütter und Kinder getötet werden. Seine gewonnenen Erkenntnisse setzt er dann bei reichen, d.h. zahlenden Patientinnen um, denen er ein guter Geburtshelfer ist. Mrs Hill und Dr.Smollett stehen sich unversöhnlich gegenüber und diffamieren sich gegenseitig in Büchern und Pamphleten. Auch Lilly, die etwas über "männliche Geburtshilfe" lernen will, gerät zwischen die Fronten und muss heimlich an der Seite eines Medizinstudenten am Unterricht im Geburtshaus teilnehmen. Von den Methoden der Ärzte ist sie gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Trotz ihrer Aversion gegen die kaltschnäuzige Geburtshilfe der Männer ist sie neuen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossen, ganz im Gegensatz zu ihrer Lehrherrin, die sich erst vorsichtig kompromissbereit zeigt, als sie bei einer dramatischen Geburt eine Gebärende samt Kind zu verlieren droht...


    Der Erzählstil des Romans ist anschaulich und teilweise auch recht drastisch, in die Figur der Protagonistin Lilly kann man sich gut einfühlen. Auch die Hebamme Elizabeth Hill wird glaubwürdig dargestellt und nicht glorifiziert, trotz oder gerade wegen ihrer unbestreitbaren Verdienste zum Wohl der Schwangeren wird sie auch als streitbare, ja sogar verbohrte und ungerechte Person beschrieben. Die Handlung lässt die Spannung nicht vermissen, denn Lilly gerät mehrfach in beträchtliche Gefahr. Auch eine Prise sehr diskreter Romantik und ein altes "Familiengeheimnis" hat der Roman zu bieten.
    Vermisst habe ich ein Nachwort der Autorin. Nach meinem Eindruck wird der Wandel in der Geburtshilfe realistisch dargestellt, aber es wird nicht klar, ob die Hauptfiguren historisch verbürgt sind oder an welchen historischen Persönlichkeiten sie orientiert sind. Mir scheinen die Protagonisten fiktiv zu sein, vielleicht soll Dr.Smollett für die Familie Chamberlen stehen, die die Geburtszange erfunden und als Familiengeheimnis gehütet hat?
    :arrow: Für mich ist das Fehlen eines erhellenden Nachworts ein großes Manko, ansonsten hat man hier aber als Interessent an Medizingeschichte ein lesenswertes Buch vor sich, dem ich :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb: gebe.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

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