Thomas Glavinic - Unterwegs im Namen des Herrn

  • Mit seinem Freund Ingo meldet sich der Ich-Erzähler und Atheist, der überraschenderweise Thomas Glavinic heißt, zu einer Busreise nach Medjugorje an. Weil er sehen möchte, „welche Menschen Pilgerreisen unternehmen“, und er erfahren will, „ wie es auf einer solchen Reise zugeht“. Er will „Menschen in ihrem Glauben erleben“, vielleicht auch, weil er sie „irgendwo tief in sich drin darum beneidet“. Soviel zu seinem frommen Wunsch. Eigentlich hätte es Lourdes werden sollen, doch die lange Anreise schreckt ihn ab, so wird Medjugorje als Ziel gewählt, und wie sich herausstellt, ist die Reise lange genug. Vor allem für den Leser. Denn der ungläubige Thomas, wie er sich gerne selber bezeichnet, wird nicht müde, Belanglosigkeiten und oberflächliche Beschreibungen der Mitreisenden zum Besten zu geben und nebenbei wie irr Sms in sein Handy zu tippen oder auf Netzsuche zu sein und dabei zu erwähnen,wieviel Alkohl er schon intus hat. Zudem sieht er sich als Nabel des Universums, sieht ständig die Blicke des Reiseleiters auf sich gerichtet, fühlt sich ständig persönlich angesprochen, was weniger auf sein gewinnendes Wesen als vielmehr auf seine ausgeprägte, ich würde sagen fast krankhafte, Egomanie zurückzuführen ist.
    Und so begleitet der ungläubige Thomas diese – vor Klischees nur so strotzende – Pilgergruppe, die hauptsächlich aus alten frommen Bäuerinnen zu bestehen scheint, die rosenkranzbetend die Fahrt verbringt. Endlich am Ziel angekommen wird er von einer Angina dazu gezwungen, neben Alkohol auch noch Unmengen an Schmerztabletten zu konsumieren, sodass der Wallfahrt ein jähes Ende beschieden ist und er auf Freunde seines Vater zurückgreifen muss, die ihn über Mafia-Umwege nach Wien zurückbringen.


    Aus der Thematik dieses Buches kann ein talentierter Schriftsteller viel herausholen. Wallfahrten und Pilgertum geben genug Stoff für eine gleichsam ironische wie auch ernsthafte Betrachtungsweise, doch was Glavinic hier vorlegt, hat mich eher fassungslos zurückgelassen. Das Buch ist lieblos, oberflächlich und belanglos, seine halbherzigen Versuche, die Angelegenheit mit Humor zu betrachten, scheitern kläglich. Er beleuchtet weder die Menschen, die Pilgerreisen unternehmen, er möchte eigentlich auch gar nicht wissen, wie es auf so einer Reise zugeht, noch weniger will er Menschen in ihrem Glauben erleben. Es dreht sich einzig und allein alles um einen Herrn Thomas Glavinic, der hauptsächlich mit seinem Handy befasst ist, sms-schreibend oder auf Netzsuche, und dessen Augenmerk in erster Linie darin liegt, den Alkoholfluss nicht versiegen zu lassen.


    Es drängt sich mir der Verdacht auf, dass Herr Glavinic noch schnell ein Buch veröffentlicht hat, um vielleicht als Trittbrettfahrer ein wenig auf dem einträglichen (aber sinkenden) Markt der Pilgerberichte mitzufahren. Für mich ist das Buch eine Enttäuschung, ich kann den Hype rund um den Autor nicht nachvollziehen, und ich lasse nun endgültig die Finger von ihm.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Danke für die aufschlussreiche Rezi, die an sich wahrscheinlich schon komischer gehalten ist, als das Buch letztendlich ausfällt. Ich habe auch schon Erfahrung mit Autoren gemacht, wo der Humor derart überspitzt wird, dass es letztendlich nur noch albern und somit unkomisch wird. So wie du es beschreibst, geht es dem Autor wohl eher nicht um einen Erfahrungsbericht, sonder mehr um die Karikatur der Unternehmung sowie der Mitreisenden.

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • So wie du es beschreibst, geht es dem Autor wohl eher nicht um einen Erfahrungsbericht, sonder mehr um die Karikatur der Unternehmung sowie der Mitreisenden.


    Wenn es denn so wäre! Eine Karikatur hätte mir ja schon gereicht! Aber es wird kaum näher Bezug genommen auf irgendwelche Mitreisende oder deren Beweggründe. In der zweiten Hälfte des Buches hat er überhaupt die Pilgergruppe verlassen und versucht, krankheitsbedingt, nach Hause zu kommen, auf Umwegen über Mafiaparties, etc. Aber dazu kann ich gar nicht genau Stellung nehmen, denn diesen Teil habe ich dann nur mehr überflogen .....

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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  • Danke für deine Buchvorstellung, Rosalita - ich habe mich ja gedrückt.
    Ich war ebenfalls enttäuscht von dem Roman, habe ihn mir bissiger und nicht so oberflächlich vorgestellt.
    (Im Nachhinein würde ich den Roman auch strenger bewerten, habe mich wohl nicht so richtig getraut...)
    Mit dem Autoren schließe ich allerdings deshalb nicht ab, da mir z.B. "Der Kameramörder" gut gefallen hat - noch hat er eine Chance bei mir.


    Liebe Grüße


  • (Im Nachhinein würde ich den Roman auch strenger bewerten, habe mich wohl nicht so richtig getraut...)


    Wenn Du die Sternchenbewertung im Bücherregal meinst, so habe ich festgestellt, dass man sie im Nachhinein nochmals korrigieren kann. Es geht mir auch manchmal so, dass ein Buch bei gewissem Abstand noch gewinnt, oder aber verliert.

  • Conor: "Die Arbeit der Nacht" fand ich völlig überbewertet, den "Kameramörder" fand ich ja auch ganz gut (und nur deshalb hab ich nochmals zu einem Glavinic gegriffen). Liegt aber vielleicht auch daran, dass beim Kameramörder ausnahmsweise nicht der Autor als Alter Ego auftritt und vielleicht deshalb erträglicher ist?

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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