Ama Adhe - Doch mein Herz lebt in Tibet

  • Klappentext:
    Hier bekommt Geschichte, die Wahrheit hinter den Fakten, ein Gesicht. Jung verheiratet und schwanger ist Ama Adhe, als die Chinesen Tibet überfallen. Ihre Familie wird unter Druck gesetzt, ihr Mann offenbar ermordet, sie selbst verhaftet. Fast dreißig Jahre dauert ihr Leidensweg. Vom Dalai Lama selbst hat sie den Auftrag erhalten, ihre unglaubliche Geschichte zu erzählen: Die Geschichte von einer glücklichen Kindheit im Hochgebirge Osttibets, von einem jungen Mädchen, das langsam hineinwächst in die spirituellen Grundlagen des Buddhismus und Geborgenheit findet in der Kultur seines Volkes. Sie erzählt von einer jungen Frau, der man alles genommen hat und die eine Welt des Leidens zu sehen bekam, die sie sich nie hat vorstellen können.


    Zur Autorin:
    Ama Adhe ist um die 70 Jahre alt (genauer kann man es nicht sagen, weil die Tibeter keinen Wert auf das individuelle Datum des Geburtstags legen). Als junge Frau wurde sie verhaftet und lebte über 20 Jahre in verschiedenen Gefängnissen und Arbeitslagern. 1987 gelang es ihr, nach Indien zu entkommen, wo sie heute in der Nähe des Dalai Lama lebt und sich um tibetische Flüchtlinge kümmert.


    Allgemeines:
    Originaltitel: Ama Adhe. The voive, that remembers. The heroic Story of a Woman’s fight to free Tibet.
    Niedergeschrieben von Joy Blakeslee.
    Erstmals erschienen 1997 bei Wisdom Publication, Summerville, MA
    Übersetzt von Angelika Dörr
    Vorwort des Dalai Lama, Einleitung von Joy Blakeslee.
    278 Seiten einschließlich Nachwort, Anhang Historische Zusammenfassung, Anhang Kontaktadressen, Glossar der Namen, Orte und Ausdrücke, insgesamt 299 Seiten.


    Eigene Meinung / Beurteilung:
    Das Thema „Völkermord“ verläuft sich gern in Berichten mit Zahlen, Daten, anonymen Fakten; es wird erst dann konkret und für einen Fremden fassbar, wenn ein Einzelner seine Geschichte erzählt; nicht umsonst erinnerte mich das Buch an die unzähligen Erfahrungsberichte KZ-Überlebender.


    Mitte der 1950er wird Ama Adhe von Angehörigen der chinesischen Besatzungsmacht verhaftet und weggeschleppt – mit nichts als dem, was sie am Leib trägt. Sie ahnt nicht, dass sie von ihren beiden Kindern (3 Jahre und wenige Monate) über 20 Jahre lang nichts sehen oder hören wird; dass sie zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt und auch danach noch nicht freigelassen wird; dass sie von chinesischen Bewachern gequält und den Tod unzähliger Leidensgenossen miterleben wird. Bis sie es 1987 schafft, Tibet zu verlassen, ist ihr Land von den Chinesen verwüstet, Häuser und Felder sind enteignet, die Wälder gerodet, die Kostbarkeiten aus den Tempeln und Klöstern geraubt, die Bauwerke zerstört. Sie hat überlebt, aber neben ihr verhungerten ihre Landsleute, wurden erschossen oder von Krankheit und unhygienischen Zuständen dahingerafft. Kraft schöpfte Adhe aus Begegnungen mit Mitgefangenen, die Freunde wurden, und aus ihrer Religion, dem Buddhismus. Und aus der Hoffnung, dass die Leiden ihres Volkes eines fernen Tages zu dessen Befreiung beitragen.


    Tibet ist weit weit weg. 2008 war das Land zum letzten Mal intensiv in Fernsehnachrichten und Zeitungsberichten vertreten, als das Volk, angeführt von Mönchen, auf die Straße ging, um gegen die chinesische Besatzung und für Selbstbestimmung und die Rückkehr des Dalai Lama zu protestieren. Schlagzeilen für ein paar Wochen, und das wars auch schon wieder.
    Was die Okkupation und ihre Folgen für den Einzelnen bedeuteten, erzählt dieses Buch.


    Ama Adhe ist Analphabetin, sie hat ihr Buch der Geisterschreiberin aus der Erinnerung diktiert.
    Die Folterszenen, die Beschreibung der Zustände in den Gefängnissen und Arbeitslagern gehen unter die Haut. Man schüttelt sich bei dem Gedanken, dass die Gefangenen sich jahrelang nicht waschen, ihre Kleidung nicht wechseln durften, auf engstem Raum aneinandergepfercht lagen. Ohne Nachrichten von Daheim, immer in Angst vor dem nächsten Verhör, der wiederholten Vergewaltigung, der Willkür der Bewacher. Jeden Tag die Möglichkeit, exekutiert zu werden, vor Hunger oder Erschöpfung zu sterben.
    Wieder steht man als Leser vor dem Phänomen, zu was Menschen fähig sind: Was sie aushalten können, um zu überleben, und was sie anderen antun können.


    Es sind natürlich die Einzelheiten der langen Gefangenschaft, die beim Lesen aufwühlen; andererseits hätte ich Ama Adhe einen besseren Schreiber gewünscht, der aus ihren Berichten eine literarisch ansprechende Geschichte gemacht hätte. Vor allem hätte ich ihr einen besseren Übersetzer gewünscht und keinen, der den Genitiv nicht beherrscht oder den Kampf mit anderen Tücken der deutschen Grammatik verliert.
    Das umfangreiche Glossar ist zu begrüßen, andererseits sind mir Fußnoten lieber, denn ständig nach hinten zu blättern stört den Lesefluss.


    Ich habe zuerst den historischen Teil im Anhang gelesen und kann dies allen, die mit der tibetischen Geschichte nicht allzu vertraut sind, empfehlen.


    Wer sich für Ama Adhe interessiert, kann sich ein Interview mit ihr ansehen.


    Fazit:
    Ein erschütterndes Buch, dessen handwerkliche Gestaltung zu wünschen übrig lässt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)