Barbara Slawig - Flugverbot

  • Der erste Satz
    Verehrte Gäste, die Standortkommandatur der Volganischen Flotte und die Leitung der örtlichen Hospederia heißen Sie in der planetaren
    Station von Jargus II willkommen.
    (Das ist der Anfang von so einer Art Vorwort, die Handlung beginnt mit: „Der dicke Mann vor David Woolf trug eine zu enge Jacke.“)


    Inhalt


    Kommissar Woolf wird auf den Mond Jargus geschickt, um dort – einen ganz anderen Auftrag vorgebend – herauszufinden, ob die Probleme mit dem Computersysteme einer Forschungsstation auf Sabotage des Feindes zurückzuführen sind … Was er dann tatsächlich herausfindet, ist ein kompliziertes zwischenmenschliches Drama.


    Eindruck


    Hintergrund der Handlung ist eine Art Kalter-Krieg-Szenario … Die Republik Volga hat sich nach einem Bürgerkrieg von dem alten Regime,
    gegen das sie erst rebellieren mussten … also vom sogenannten „Synarchon“ getrennt. Im Synarchon errechnen Hochleistungscomputer die
    Auswirkungen jeder Aktion und verbieten schon mal gewisse Handlungen … wenn sie zu dem Ergebnis kommen, dass es ein schlechtes Ende nehmen könnte (ja, das klingt schon ein bisschen nach Orwell und Huxley…) In der Republik Volga sind dementsprechend solche (gefährlichen…) Computer komplett verboten … die Regierung besteht stattdessen aus einem zerbrechlichen Gleichgewicht aus militärischer und ziviler Verwaltung.
    Um rätselhafte Störungen im Rechnernetzwerk einer volganischen Forschungsstation aufzuklären – und herauszufinden, ob Sabotage vorliegt – entsendet man den frischgebackenen Kommissar und ehemaligen Offizier Woolf. Dort findet er sich schnell in eine verzwickte, sowohl politisch wie auch menschlich komplizierte Situation verstrickt. Der Kommandant lässt eine Frau festsetzen, die früher mal mit ihm für die Republik gekämpft hat, sie dann aber (… scheinbar …) an den Gegner verriet. Wer hier zu wem loyal steht und nicht, wird langsam immer undurchschaubarer …bis am Ende fast alles fast ganz anders ist, als es zunächst schien … fast wie im wirklichen Leben also (hey, dreimal „fast“ in einem Satz … passt scho‘).


    [Blockierte Grafik: http://ravenport.ch/wordpress/wp-content/uploads/2011/04/cover_ntav-8b-jargus.png]Das Cover zu Slawigs Roman, wie es bei Heyne hätte erscheinen sollen.


    Was Verlag und Autorin geritten hat, das Buch Flugverbot zu nennen, bleibt völlig unbegreiflich… Niemandem wird irgendein Flug
    verboten … auch die Lebenden Steine des Untertitels spielen eine völlig untergeordnete Nebenrolle (indem sie die Daseinsberechtigung der Station liefern). Aber da der Roman eine Odyssee hinter sich hat, mag das entschuldbar sein … zunächst gab es eine Test-Ausgabe im Eigenverlag … kurz nach der ersten Auflage bei Haffmans verhinderte die Pleite des Verlags die weitere Auslieferung … eine bei Heyne fest eingeplante Taschenbuchausgabe wurde sehr kurzfristig aus dem Programm geworfen, obwohl es bereits ein Cover gab (das man im Internet noch finden kann; [siehe oben]) … und dann kam das Buch bei Argument heraus (es gibt also drei Versionen des Titelbildes).


    Gern wüsste man mehr über diese kristallinen Lebewesen, die vorzugsweise die Batterien vorbeikommender Astronauten (und tief fliegender
    Raumschiffe) leersaugen … aber die Steine interessieren nur am Rand und könnten auch durch … sagen wir … vampirische Flugfrösche ersetzt werden.
    Die Autorin wirft einfach ihre Figuren in das von ihr erdachte Szenario aus zwei unvollkommenen Utopias wie Zierfische in ein Aquarium … und beobachtet, wie sich ihre Versuchsfische … äh … Personen … darin verhalten. Das erreicht immer wieder die Intensität eines „Kleinen
    Fernsehspiels“ im ZDF-Nachtprogramm (in den 90er Jahren … als die noch gut waren), ohne jemals dröge zu werden. Wer also action sucht, wird hier kaum welche finden … obwohl die Szenen nach dem knapp überlebten Flugzeugabsturz zeigen, dass die Verfasserin auch das drauf hätte … aber man findet hier ein Kammerspiel, das geschickt montiert ist und spannend allein wegen der Charaktere und ihren Verstrickungen bleibt.
    Allein, wie die (Geschlechter)Rollen vertauscht werden, der Kommissar als weich, auf friedliche Konfliktlösung versessen und verständnisvoll daherkommt, während Jeanne gern mal wortkarg und schroff bleibt und Männer verprügelt … macht das Buch zu etwas Besonderem (ohne in feministisches Gebrabbel zu verfallen).


    Fazit


    Ein Lesetipp für Leute, die ihr Hirn beim Lesen auch benutzen wollen … und in der Lage sind, das "ich-muss-jetzt-tausend-Seiten-schaffen"-Lesetempo auf eine "Hier-ist-jedes-Wort-wichtig"-Aufmerksamkeit zu drosseln.