Heidrun Jänchen: Simon Goldsteins Geburtstagsparty

  • Erster Satz
    John begann zu schwitzen.


    Inhalt


    Als ein netter Mann namens John Dove („John Doe“ nennen amerikanische
    Polizisten namenlose Mordopfer …) durch Andorra spaziert, fliegt
    plötzlich eine Bombe in die Luft … Sie tötet und verstümmelt viele
    Menschen. Das geht John Dove echt ans Gemüt … denn er hat die Bombe
    selbst gelegt. Das allein ist schon ein seltsamer Anfang für einen Roman
    … der Hintergrund dazu ist noch seltsamer. Andorra ist in der hier
    geschilderten Zukunft ein Staat, der neben dem heutigen Andorra auch das
    heute spanische Catalunya (also Katalonien) umfasst. Die EU ist längst
    in eine reiche nördliche Kern-EU und verarmte Südstaaten zerfallen.


    Zu dieser prophetischen Hellsicht kann man Heidrun Jänchen - der Roman
    erschien 2008 - nur gratulieren, denn mit Griechenlandkrise, Italienzoff
    usw. steuern wir ja heute genau auf solche Verhältnisse zu!


    Zurück zu John … Er ist Berufsterrorist (und ein neurotisches
    Missbrauchsopfer) … er begeht Attentate, um der Öffentlichkeit die
    Existenz jener Terroristengruppen vorzuspiegeln, der der grosse Konzern
    und Auftraggeber für seine politischen Zwecke gerade „braucht“. Die
    Nachrichten werden halt samt den Ereignisse darin ganz gezielt
    produziert … Auf dieses Geheimnis stösst auch die irische Journalistin
    Fiana, die Belege dafür findet, dass der mit diktatorischen
    Machtbefugnissen ausgestattete Europa-Präsident getötet und durch einen
    Schauspieler ersetzt worden ist. Was sie nicht weiss: Ihr eigener
    Arbeitgeber hängt mit drin. Sie wird zur Zielscheibe für Johns nächsten …
    na ja, Auftrag. Aber John will aussteigen. Eine wilde Flucht beginnt …
    Die dritte Hauptperson ist der deutsche Computer-Nerd Frank Böttger, der
    im staatlichen Institut für Medienforschung(-fälschung) das WWW nach
    Meinungen durchsiebt und vor allem nach Möglichkeiten, die Meinung der
    weltweiten Netz-Öffentlichkeit zu manipulieren. Seine Blog-Bots
    pflastern Webseiten in aller Welt mit Hoax-Mails und CGI-Filmen zu, die
    eigens zu diesem Zweck getürkt werden … er ist die Rückseite derselben
    Medaille wie John.


    Die drei werden aus ganz unterschiedlichen Gründen zu Aussteigern und
    beschliessen, nachdem sie erfolgreich den Häschern des Systems entkommen
    sind, die Welt mit genau den Methoden zu retten, die sie beherrschen:
    Fälschung, Desinformation, Schaffung einer für echt gehaltenen
    Scheinwelt. Sie bauen eine monströse Bedrohung auf, die die ganze
    Menschheit betrifft, und zwingen so die Mächtigen, auch mal an etwas
    anderes als nur ihren eigenen Arsch zu denken … und die Dinge zum Guten
    zu wenden …


    Fazit


    Ein aktionsreicher, rasant geschriebener Thriller voller leisem Humor
    und einigen grimmigen Szenen, der so manchen überraschenden Blick auf
    unsere Wirklichkeit wirft … z. B. Banden verarmter Rentner, die
    marodierend durch die Städte ziehen und gestohlene Kreditkarten per
    Smartphone leerräumen, so wie sie es in ihrer Jugend gelernt haben.


    In der zweiten Hälfte gibt sich die Autorin nicht mit dem nackten
    Überleben ihrer Figuren zufrieden … sondern wagt es, das Thrillerformat
    zu sprengen und eine Hoffnung für eine bessere Zukunft auszubauen … ja,
    das nennt man dann wohl „eine utopische Idee verfolgen“. Wird viel zu
    selten gemacht… Schwarzmalen ist wohl deutlich einfacher. Für diesen
    Ausblick gibt’s Bonus-Punkte …. außerdem für die sorgfältig gehandhabte
    Sprache.


    Punktabzug hingegen für eine überflüssige Nebenhandlung um eine
    Weibersekte im Dschungel, die pubertierende Jungs kastriert oder
    verstößt, weil “Mann” sein “böse” ist. Hätte man streichen können.


    Um den mysteriösen Titel des Romans zu verstehen, muss man einfach nur das Buch lesen ... Die Auflösung ist dann sehr logisch.


    Gesamteindruck


    Sehr eigenständiger deutscher SF-Roman, der ohne Raumschiffe und
    Aliens auskommt (und auch das Zeitreisethema nur nebenbei veralbert).
    Unbedingt lesenswert und sehr spannend … auch und vor allem in den
    Passagen, in denen es nicht kracht ….

  • Danke für die schöne Rezi! Eigentlich mag ich überhaupt kein Science Fiction, aber das klingt wirklich sehr vielversprechend! Werd mal sehen, ob ich mir das Buch nicht demnächst zulegen werde!